09.06.2025 12:36
ARD-Doku-Drama "Robert Lembke - Wer bin ich?"
epd Unser öffentlich-rechtliches Fernsehen hat sich seit einigen Jahren der Geschichte des Mediums, der Biografik seiner erfolgreichsten Entertainer und damit zugleich der jüngeren Geschichte dieses Landes mit besonderer Sorgfalt angenommen. Es sind bemerkenswerte Stücke dabei herausgekommen, etwa "Kulenkampffs Schuhe" von Regina Schilling (2018) und der ZDF-Film "Rosenthal" von Oliver Haffner. Jetzt wird uns mit "Robert Lembke - Wer bin ich?" noch einmal vorgeführt, wie das Fernsehen als Unterhaltungsmedium die furchtbare Vorgeschichte der munteren 50er Jahre zugleich verdrängt und mitgeschleppt hat und mit welchen tiefen Verlusten die Spaßgesellschaft der jungen Bundesrepublik bezahlt wurde.
Als Moderator der Quiz-Sendung "Was bin ich?", ein "Heiteres Berufe-Raten", war Robert Lembke Institution und Legende in der wieder zu Atem, Geld und Humor gekommenen Bundesrepublik der 50er und 60er Jahre. Seine Sendung brachte es bis 1989 auf 337 Ausgaben. Jeder im Lande kannte ihn.
Dass er nach dem Krieg zuvor in München mit Hans Habe und Erich Kästner eine Zeitung gegründet hatte, dass er auch Hörfunkleiter und stellvertretender Chefredakteur beim Bayerischen Rundfunk war und Funktionen ausübte wie die internationale Koordination bei Fernseh-Großereignissen etwa bei der Fußballweltmeisterschaft 1974 oder zuvor bei den Olympischen Spielen 1972 in München, interessierte das Publikum weniger.
Seine Vorgeschichte, was er während der Nazi-Diktatur und des Krieges getan und erlebt hatte, kannte niemand. Denn darüber schwieg Lembke eisern, sogar gegenüber seinen nächsten Angehörigen. Er war ein besonders konsequenter Vertreter der "sprachlosen Generation".
Dem Fernsehvolk war das egal, für die Leute war Lembke der freundlich-joviale Rate-Onkel mit der großen Brille und dem schönen bayerischen Akzent, so jemand wollten sie haben. Also bot sich für den Film, der den 1913 in München geborenen Robert Weichselbaum hinter der Fassade des TV-Lieblings hervorholen wollte, die leichte Abwandlung seiner beliebten Show zu "Wer bin ich?" als Titel an. Und ja, man kann sagen, Filmemacher Martin Weinhart und sein Team haben die Frage beantwortet: auf eine sehr feinsinnige, tiefgründige und zugleich elegante Art.
Lembkes Vater war Jude, er führte unter seinem Namen Weichselbaum ein Modegeschäft in München. 1936 flüchtete er nach London, da war er von Roberts Mutter schon getrennt. Die heiratete ein zweites Mal, der Stiefvater nahm ihr das Geschäft weg und warf den Jungen aus dem Haus. Später ging er so weit, den verhassten Stiefsohn zu denunzieren.
Der Junge lebte mit eingezogenem Kopf, zu Hause und im Staat gleichermaßen ausgestoßen. Er nahm den Mädchennamen seiner Mutter an, heiratete 1937, Frau Heidi schützte ihn und Tochter Ingrid, so gut sie es vermochte. Als "Halbjude", wie er laut den Nazi-Rassengesetzen eingestuft wurde, besaß er keine vollen Bürgerrechte. So wurde er als "Mischling" aus der Luftwaffe ausgeschlossen, fand keine Stelle als Journalist, war 1944 genötigt, sich in einem bayerischen Dorf zu verstecken, um dem KZ zu entgehen.
Die Sprache vom Hitler-Ton befreien.
Nach dem Krieg wird er sofort aktiv und baut mit Habe und Kästner zusammen "Die Neue Zeitung" auf. Die Besatzer engagieren ihn als PR-Mann. Ihm geht es darum, "die Sprache vom Hitler-Ton zu befreien". Man darf sagen, dass er zu dieser großen Aufgabe einen nachhaltigen Beitrag geleistet hat. Das Fernsehen betrachtete er als ein Instrument der Aufklärung. Er nannte es ein "zauberhaftes Spielzeug" und sagte den Satz: "Die Politik hat was gegen das Fernsehen so wie Diebe gegen Alarmanlagen."
Die Bedingung für diesen Aufstieg des in mehrerlei Hinsicht verfolgten und beschädigten Robert Lembke war sein "eisernes Schweigen" über die Zeit davor. Als seine Tochter einmal wissen wollte, wie es früher war und die üblichen Fragen stellte, beschied er ihr schroff, dass er nichts preisgeben werde und sie nicht fragen dürfe. Diese Omertà verstörte seine Nachkommen, seine Enkelin spricht gar von einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Ich bin doch bloß der Kaschperl von "Was bin ich?".
Dass Lembke auf seine Weise dennoch von "früher" gesprochen hat, arbeitet der Film auf subtile Weise heraus. So zeigt er, dass die populären "Ratefüchse" aus "Was bin ich?", Hans Sachs, Marianne Koch, Annette von Aretin und Guido Baumann, alle einen jüdischen oder sonst NS-inkompatiblen Hintergrund hatten, was aber seinerzeit kein Thema war. Das "Heitere Beruferaten" war mehr als das, es thematisierte die Arbeitsgesellschaft nach '45, den Wiederaufbau. Und es tat das Seine, um das Denken in Freund-Feind-Kategorien zu konterkarieren: "Der Vorteil bei 'Was bin ich?' ist, dass sich der Quizmaster keine Feinde machen kann. Alle Fragen sind für jedermann erhellbar. Niemand spielt gegen jemanden." Lembke selbst konnte endlich aufhören, sich zu verstecken und zu wehren: "Ich bin doch bloß der Kaschperl von 'Was bin ich?'."
Der Film erzählt die Geschichte nicht linear, nach Art eines Puzzles fügt sich eine Episode an die andere, die zeitlichen Koordinaten dürfen sich immer mal wieder verschieben. Auf diese Weise werden die Leitlinien dieser Biografie, der Bruch, der Umbruch und der Aufbruch, nachvollziehbar. Das Doku-Drama erfindet Filmemacher Weinhart noch einmal neu: Hier werden keine Reenactments geboten, denen ja gern etwas Peinliches anhaftet, nein, die Drama-Teile des Films werden als kleine lectures dargeboten, als Mini-Vorträge.
So liest die Schauspielerin Jeanette Hain als Lembke-Tochter auf einer Bühne thronend aus dem Buch, das die schon verstorbene echte Tochter einst über das Schweigen ihres Vaters schrieb. Und Johann von Bülow zitiert als Impersonator Lembkes mit Anstand und Ironie die Aphorismen des Entertainers: "Der Staatsbürger neigt dazu, seine eigene Bedeutung zu unterschätzen."
Durch diese V-Effekte kommt der Drama-Teil dem Diskretionsbedürfnis des Protagonisten entgegen. Die Enkelin Lembkes, Linda Benedikt, hingegen äußert sich im Interview, ebenso der verdiente Georg Stefan Troller und die kluge Marianne Koch: "Er betrieb Aufklärung," betont sie. Sorgsam ausgewählte Archivdokumente aus Krieg und Nachkrieg, etwa von der Fußball-Weltmeisterschaft '54 oder Olympia '72 und natürlich immer wieder kurze, treffliche Auszüge aus den Quizsendungen, runden das Werk ab. Die Übergänge zwischen den einzelnen biografischen Abschnitten, stets das Schwierigste bei einem Biopic, sind hervorragend gelungen. Die Zuschauerin gleitet staunend durch das Doku-Drama, ohne ein einziges Mal desorientiert auf der Strecke zu bleiben.
Was dieser Film begreiflich macht, ist, dass die Sprachlosigkeit der Nachkriegszeit nicht auf die Täter beschränkt sein konnte. Dass Nazis und Ex-Nazis nicht reden wollten, versteht jeder sofort, ihr Motiv war der Selbstschutz. Dass aber auch die Opfer häufig schwiegen, bedarf der Erklärung. Sie taten es, weil sie nur so neu beginnen konnten. Die Annahme einer neuen Identität, in der Aufklärung und Mitteilung indirekt stattfinden konnten, forderte ein Schweigen über das "Früher", weil bei einer Offenlegung der Schreckenserfahrung Angst und Schmerz die Oberhand gewonnen hätten. Ein Neuanfang wäre dann nicht mehr möglich gewesen. Auch das Motiv der Opfer war der Selbstschutz.
infobox: "Robert Lembke - Wer bin ich?", Doku-Drama, Regie und Buch: Martin Weinhart, Fachberatung: Gunther Weinhart, Kamera: Konstantin Kröning, Pascal Hoffmann, Sebastian Bäumler, Max Christmann, Produktion: Megaherz (ARD/SWR/NDR/ORF 9.6.25, 23.35-1.00 Uhr und in der ARD-Mediathek)
Zuerst veröffentlicht 09.06.2025 14:36 Letzte Änderung: 11.06.2025 19:32
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KSWR, Doku-Drama, Lemke, Weinhart, Sichtermann, NEU
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