17.06.2025 10:38
Frankfurt a.M. (epd). Große Krisenthemen wie die Corona-Pandemie oder der Ukraine-Krieg haben Afrika in der deutschen Medienberichterstattung weiter an den Rand gedrängt. Selbst "fundamentale Ereignisse" wie in der äthiopischen Tigray-Region oder die humanitäre Krise im Sudan würden weitgehend marginalisiert oder manchmal ganz ignoriert, so das Ergebnis einer Untersuchung des Medienforschers Ladislaus Ludescher von der Goethe-Universität Frankfurt am Main, die am 31. Mai beim European Journalism Observatory (EJO) veröffentlicht wurde.
Die Berichterstattung über Afrika sei nicht nur marginal, sondern immer noch überwiegend durch Kriege, Krisen und Katastrophen geprägt, kritisiert der Wissenschaftler: "Wenn über Afrika berichtet wird, was selten erfolgt, wird in der Regel negativ berichtet."
Blinde Flecken in der medialen Berichterstattung
Vor allem Subsahara-Afrika gehöre, wie Lateinamerika und Südasien, zu den "blinden Flecken der medialen Berichterstattung", so Ludescher. Das belege beispielhaft eine Untersuchung der Berichterstattung in der "Tagesschau"-Hauptausgabe um 20 Uhr zwischen 2007 und 2024. In diesem Zeitraum seien - ohne Sport und Wetter - mehr als 50.000 Beiträge ausgestrahlt worden. In fast 10.000 davon hätten die USA eine Rolle gespielt, gefolgt von Ländern wie Russland, Frankreich, das Vereinigte Königreich und die Ukraine mit mehreren Tausend Beiträgen. Demgegenüber sei der bevölkerungsreichste Staat Afrikas, Nigeria, lediglich in 174 Beiträgen erwähnt worden.
Auch andere einwohnerstarke Länder wie Äthiopien und die Demokratische Republik Kongo kämen nur auf 122 beziehungsweise 83 Berichte, schreibt Ludescher. Besonders drastisch sei die Vernachlässigung von Staaten wie Tansania (21 Beiträge), Angola (16) und Madagaskar (10). Sambia sei in 18 Jahren nur in einem einzigen Beitrag erwähnt worden.
Zu den "medial fast vollständig ignorierten" militärischen Auseinandersetzungen gehöre der Bürgerkrieg in der nordäthiopischen Region Tigray in den Jahren 2020 bis 2022, der mit bis zu 600.000 Toten als tödlichster Krieg des 21. Jahrhunderts gelte, kritisiert Ludescher. Während die "Tagesschau" im Jahr 2022 etwa 86.100 Sekunden über den Ukraine-Krieg berichtet habe, seien es in den drei Jahren 2020 bis 2022 lediglich 940 Sekunden über den Bürgerkrieg in Tigray gewesen.
Ebenfalls auf nur geringes Interesse sei der Bürgerkrieg im Sudan gestoßen. So habe die "Tagesschau" dem Sudan im Jahr 2023 nur 1.365 Sekunden Sendezeit gewidmet und "antizyklisch zur Zuspitzung der verheerenden humanitären Lage" die Berichterstattung im Jahr 2024 auf 640 Sekunden reduziert.
Der soziopolitischen und kulturellen Vielschichtigkeit sowie Multidimensionalität des Kontinents werde die mediale Berichterstattung inhaltlich kaum gerecht, analysiert Ludescher. Dabei habe die Forschung immer wieder darauf hingewiesen, dass zahlreiche medial transportierte Afrikabilder nicht nur stereotyp, sondern auch negativ geprägt sind. Eine differenzierte und konstruktive "Can-do"-Berichterstattung, die auch Erfolgsgeschichten vermittelt, setze allerdings eine quantitativ ausreichende Beschäftigung mit Afrika und allgemein dem Globalen Süden voraus.
Die Analyse des Frankfurter Wissenschaftlers beruht unter anderem auf den Ergebnissen einer Langzeituntersuchung sowie mehrerer Folgeanalysen zur medialen Vernachlässigung des Globalen Südens.
nbl
Zuerst veröffentlicht 17.06.2025 12:38
Schlagworte: Medien, Afrika, Berichterstattung, Medienforschung, Studien, nbl
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