Keine Aufarbeitung - epd medien

05.08.2025 09:24

In der dritten Folge des ARD-Reportage-Magazins "Klar" fragt Moderatorin Julia Ruhs: "Hat Corona uns zerrissen?" Der Beitrag versammelt viel Kritik an der Regierungspolitik während der Pandemie, bringt aber kaum Neues.

Die dritte Ausgabe von "Klar" fragt :"Hat Corona uns zerrissen?"

In der dritten Ausgabe der ARD-Reihe "Klar" fragt Julia Ruhs: "Hat Corona uns zerrissen?"

epd Die ersten beiden Folgen der ARD-Pilotreihe "Klar" wirkten auf den ersten Blick wie One-Woman-Shows der Moderatorin und Autorin Julia Ruhs (epd medien 14-15/25). Die Namen der anderen an den Sendungen beteiligten Autorinnen und Autoren tauchten erst im Abspann auf. In der dritten und vorerst letzten Folge mit dem Titel "Hat Corona uns zerrissen?" - formal eine Mischung aus dokumentarischen Elementen und monothematischen Magazinbeiträgen - sind die Mitautorinnen und Mitautoren erstmals in eigenen Beiträgen zu sehen. Sie moderieren ihre Filme (gefilmt mit dem Smartphone) an und einige sprechen auch den Text.

Der Titel der dritten "Klar"-Folge und auch die Ankündigung des NDR, die Sendung befasse sich "mit den gesellschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie", machen deutlich, dass es um Corona als historische Phase geht, nicht um die Krankheit. Zu Wort kommen nur gesunde Menschen, niemand spricht hier über die Folgen einer Corona-Infektion. Der Begriff Long Covid kommt ein einziges Mal vor, in einer Antwort von Karl Lauterbach.

Die Gesundheitspolitik

Der SPD-Politiker dient in "Hat Corona uns zerrissen?" als Gesicht der Pandemie-Politik der Jahre 2020 und 2021 - obwohl er während der erst drei Corona-Wellen gar nicht Bundesgesundheitsminister war. In den Inserts zweier Interviewpassagen, in denen es um die Pandemie-Politik des Jahres 2020 geht, wird Lauterbach als "ehemaliger Gesundheitsminister" bezeichnet. So entsteht der Eindruck, als hätte er das Amt in genau dieser Zeit innegehabt. Nach 33 Minuten sagt Moderatorin Julia Ruhs: "Karl Lauterbach ist seit Dezember 2021 Gesundheitsminister." Das wirkt kurios, weil Lauterbach in den vorangegangenen zwei Dritteln der Sendung bereits "ehemaliger Gesundheitsminister" war.

Jens Spahn, also der Politiker, der in jener Phase der Corona-Pandemie, auf die sich diese 45-minütige Sendung konzentriert, tatsächlich Bundesgesundheitsminister war, taucht erst nach fast 38 Minuten zum ersten Mal auf, mit einem kurzen O-Ton. Ein Interview habe Spahn nicht geben wollen, sagt Ruhs. Die Vorwürfe gegen den CDU-Politiker im Zusammenhang mit der Beschaffung von Mund-Nasen-Masken kommen erstaunlicherweise in diesem Beitrag nicht vor.

Umstrittenes Strategie-Papier

Die Botschaften von "Hat Corona uns zerrissen?" lauten: Die Schulschließungen waren fatal, Schweden ist besser durch die Pandemie gekommen, Ungeimpfte wurden "wie Aussätzige behandelt" (das sagt "Welt"-Herausgeber Ulf Poschardt). Diese drei Sätze hört man immer wieder, wenn es um die sogenannte Aufarbeitung der Corona-Politik geht.

Das "Klar"-Team arbeitet sich unter anderem ab an einem im März 2020 von Wissenschaftlern unter Mitwirkung des Bundesinnenministeriums erstellten und im Internet zugänglichen Papier mit dem Titel "Wie wir Covid-19 unter Kontrolle bringen". Darin wurden verschiedene Szenarien für die Pandemie erarbeitet, auch Empfehlungen für die jeweilige Kommunikation. "Klar" zitiert aus einem Szenario, in dem der "Worst Case" ausgemalt wird, und erwähnt Sätze, bei denen "Kinder offenbar Angst bekommen sollen".

Harte gesellschaftliche Auseinandersetzungen

Einen der ersten Versuche, das Papier "Wie wir Corona unter Kontrolle bringen" zu skandalisieren, machte die AfD-Fraktion im Bundestag im April 2020 in einer Kleinen Anfrage, die die Bundesregierung Ende April 2020 beantwortete (Drucksache 19/19459). Nachdem der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit und der Soziologe Armin Nassehi die angeblich Angst machenden Passagen kritisiert haben, erwähnt Ruhs, das Bundesinnenministerium habe "später" gesagt, das Papier sei "nicht konkret umgesetzt worden". Für eine ausführliche Beschäftigung in einer ARD-Sendung im Sommer 2025 war es aber gut genug.

Im weiteren Verlauf der Sendung beschreibt Ruhs, wie "die große Akzeptanz der ersten Phase übergeht in harte gesellschaftliche Auseinandersetzungen". Als eine Art Beleg werden direkt danach die bei "Querdenker"-Demonstrationen verbreiteten Schilder gezeigt, auf denen Angela Merkel und Christian Drosten in Sträflingskleidung zu sehen sind. Durch diese Text-Bild-Reihenfolge wird der Eindruck erweckt, Menschen, die die damalige Bundeskanzlerin und den bekannten Virologen im Gefängnis sehen wollten, hätten zu einer "gesellschaftlichen Auseinandersetzung" beigetragen.

Verschwörungserzählung

Eine für die Ausrichtung von "Klar" signifikante Passage ist ein Interview mit Marcus Bornheim, dem Ersten Chefredakteur der für die "Tagesschau" zuständigen Redaktion "ARD-aktuell". Julia Ruhs sagt: "Als sich die Debatte (…) in der Gesellschaft zuspitzt, gibt es mehr Kritik an der 'Tagesschau', sogar den Vorwurf, die Regierung schreibe der Redaktion vor, was sie zu berichten habe." Ruhs (oder wer auch immer für die Textpassage verantwortlich ist) adelt hier die Verschwörungserzählung, in Deutschland würden Regierungsvertreter Nachrichtenjournalisten Anweisungen erteilen, zu einer relevanten Debattenposition.

Konfrontiert mit diesem "Vorwurf", kann Bornheim nur verlieren, das weiß das "Klar"-Team natürlich. Hätte der Erste Chefredakteur sich für Ironie entschieden ("Das tägliche Briefing durch das Bundeskanzleramt fand um 14 Uhr statt"), hätte das nur bei einigen Zuschauern funktioniert. Hätte er gesagt, der Vorwurf sei zu absurd, um etwas darauf zu entgegnen, hätten andere das als unsouverän empfunden. Bornheim entschied sich schließlich für ein sachlich richtiges Statement: "Wir haben in der ganzen Zeit frei und und abhängig über alles berichten können." Die "Klar"-Klientel könnte das trotzdem als Bestätigung des "Vorwurfs" auffassen, zumal Bornheim leicht erschöpft wirkte, als er das sagte.

Bereits in den ersten beiden "Klar"-Sendungen ("Migration: Was falsch läuft" und "Der Frust der Bauern") warfen einige Passagen die Frage auf, ob sie mit dem öffentlich-rechtlichen Selbstverständnis vereinbar sind. Die größten Schwächen des Formats werden auch in dieser Ausgabe deutlich: vermeintlich regierungskritische Narrative werden reproduziert, aber nicht hinterfragt. Eine wirkliche Recherche findet nicht statt, damit leiste "Klar" auch keinen Beitrag zur Aufarbeitung der Folgen der Corona-Pandemie.

infobox: "Klar: Hat Corona uns zerrissen?", Dokumentation mit Julia Ruhs, Regie und Buch: Claudia Drexel, Johannes Jolmes, Daniel Krull, Julia Ruhs, Benedikt Scheper, Caroline Schmidt, Christian Stichler (ARD-Mediathek/NDR/BR, seit 30.7.25 NDR, 30.7.25, 22.00-22.45 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 05.08.2025 11:24 Letzte Änderung: 05.08.2025 12:49

René Martens

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, KNDR, KBR, Ruhs, Martens, NEU

zur Startseite von epd medien