25.08.2025 11:50
ARD-Dokumentation "Merkels Erbe - 10 Jahre wir schaffen das!"
epd Ist das jetzt der oft beschworene publizistische Wettbewerb zwischen den öffentlich-rechtlichen Hauptprogrammen ARD und ZDF? Nachdem die Mainzer in der Dokumentation "Am Puls mit Sarah Tacke: Flucht und Krise" zum zehnten Jahrestag das Satzes "Wir schaffen das" von Angela Merkel komplett auf prominente Politiker verzichtet hatten, klopft Ingo Zamperoni gleich zu Beginn des ARD-Beitrags an die Tür des heutigen Büros der Altkanzlerin. Vor Oskar Kokoschkas Adenauer-Gemälde äußert sich Merkel selbst: Sie habe "auf die Menschen im Lande gehofft" und sei auch im Rückblick der Meinung, dass sie Deutschland, das "ein starkes Land" sei, nicht überfordert habe.
Ingo Zamperoni zeigt sich wie in den "Tagesthemen" als freundlicher Fragensteller, der zustimmend nickt und auch längere Ausführungen nicht unterbricht. Sein Merkel-Interview war das "einzige, das sie zu diesem Thema im Fernsehen gibt", sagte er stolz im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung".
Eine Gegenstimme kommt wenig später von Robin Alexander. Der umtriebige Journalist sagt, es habe 2015 "kein Staatsversagen" gegeben, aber Deutschland sei seitdem "ein anderes Land, hier wohnen andere Leute". Deutschland habe "eine andere Härte" und "eine politische Mitte, die beginnt, nicht mehr richtig funktionieren zu können."
Zunächst aber reist Zamperoni, genau wie Sarah Tacke im ZDF-Beitrag, kreuz und quer durch das Land. Während die ZDF-Presenterin gerne auf die Kamera zugeht, während sie spricht, lässt der ARD-Moderator sich beim Autofahren und Händeschütteln filmen. Er startet in Passau, wo Grenzpolizisten schildern, wie 2015 Migranten zu Fuß auf der Autobahn ins Land kamen, nachdem Schleuser sie dort hatten aussteigen lassen. Man spürt, dass die Grenzer sich mit ihren aktuellen Aufgaben, auch Einreisen aus der Europäischen Union zu kontrollieren, eher wohlfühlen als damals.
Im württembergischen Schwäbisch Gmünd trifft Zamperoni den CDU-Bürgermeister, der Merkels Entscheidung 2015 begrüßt hatte, sich später aber mit einer "völlig ungesteuerten, chaotischen Situation, die nicht verbessert wird", allein gelassen fühlte. Dieses Gefühl hält bei Richard Arnold an, "zumal unsere Wirtschaft im Schrumpfen begriffen ist", sagt er.
"Wir haben es nicht so geschafft", sagen ein paar Menschen in einer Straßenumfrage. Im brandenburgischen Cottbus begegnet Zamperoni Mohammed, der aus Syrien kam, sich zum Krankenpfleger ausbilden ließ und inzwischen selbst Pfleger ausbildet. Am Cottbuser Klinikum haben 40 Prozent der Pflegekräfte Migrationshintergrund, erfährt der Zuschauer. Wie viele dieser Pflegekräfte als Asylbewerber ins Land kamen, fragt Zamperoni nicht.
Wir brauchen ein starkes einiges Europa.
Ein paar ausgewählte Zahlen werden grafisch eingeblendet. Auf die Frage, wie viele Geflüchtete, die 2015 ins Land kamen, inzwischen in Arbeit sind, lautet die Antwort: 64 Prozent - diese Zahl liege nur wenig unter dem deutschen Durchschnitt von 70 Prozent. Bei Gewaltkriminalität lag der Anteil Zugewanderter 2024 zwar mit 12,5 Prozent klar höher als an der Gesamtbevölkerung (4 Prozent). Das erkläre sich auch durch den hohen Anteil junger Männer unter den Zugewanderten, die mehr zu Gewalttätigkeit neigten, erläutert eine Kriminologin.
Der ARD-Film bemüht sich, Entwicklungen und Ereignisse, die mit der Grenzöffnung 2015 zusammenhängen, abzuhaken: den Aufstieg der AfD, Silvester in Köln 2015, "die tödlichen Anschläge durch Geflüchtete", denen Zamperoni etwa in Solingen nachspürt (wo er einen Veranstalter des Stadtfests trifft, das nach einem islamistischen Mordanschlag abgebrochen wurde), sowie "fremdenfeindliche Gewalttaten".
Abschließende Worte kommen nochmals von Merkel, die über "Staatskunst" im Umgang mit der EU spricht: "Wir brauchen starkes einiges Europa." Zamperoni fragt nicht nach, ob nicht ihre überraschende Entscheidung 2015 zu Uneinigkeit und Streit in der EU führte und ob der Brexit nicht auch eine Folge davon sei.
Zamperoni sammelt Eindrücke, aus denen sich ein Bild zusammensetzt: ein Bild, das jeder im Publikum zu "Wir schaffen das" und dem, was folgte, längst haben dürfte. Der Film ergänzt die eine oder andere Facette. Das Bemühen des Moderators, alles, was auch noch zum Thema gehört, abzuhaken, ohne in der Kürze neue Akzente setzen zu können, lässt den ARD-Beitrag im Vergleich mit "Am Puls" vom ZDF eher schwachbrüstig erscheinen.
Vor allem aber zeigt diese Dokumentation: Das Bestreben, komplexe Themen mithilfe durch das Land reisender Presenter abzuhandeln, stößt bei prominenten Moderatoren, die hauptberuflich andere Aufgaben erfüllen, noch schneller an Grenzen als bei weniger präsenten Journalistinnen wie Sarah Tacke.
infobox: "Merkels Erbe - 10 Jahre 'Wir schaffen das!'", Dokumentation mit Ingo Zamperoni, Regie und Buch: Birgit Wärnke, Kamera: Martin Kobold u.a., Produktion: Offen & Kundig (ARD-Mediathek/NDR, seit 25.8.25, ARD, 25.8.25, 20.15-21.00 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 25.08.2025 13:50
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, KNDR, Zamperoni, Dokumentation, Wärnke, Bartels
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