09.09.2025 13:26
Brüssel (epd). 40 Organisationen haben die EU-Kommission aufgefordert, entschiedener für die europäische Souveränität in der Digital-Gesetzgebung einzutreten und Druck aus der US-Regierung standzuhalten. "In einer Zeit, in der Big Tech und seine politischen Verbündeten ihre Bemühungen verstärken, Macht und Einfluss in Europa zu konsolidieren, könnte weiteres Nichtstun sowohl politisch als auch wirtschaftlich katastrophal sein", heißt es in der deutschen Übersetzung eines offenen Briefes, der am 2. September in Brüssel veröffentlicht wurde. Auch die Freiheit demokratischer Wahlen und Debatten sei in Gefahr. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderem Algorithmwatch, Lobbycontrol und Wikimedia Germany.
Die Unterzeichner fordern, die EU solle laufende Untersuchungen gegen US-Tech-Konzerne vorantreiben und bei Verstößen auch härtere Strafen und Vergeltungsmaßnahmen in Betracht ziehen. So könnten Exportkontrollen eingesetzt werden, "um den Zugang der USA zu kritischen EU-Technologien zu beschränken". Zudem solle die EU eine gemeinsame Antwort mit anderen Nationen abstimmen, die ebenfalls "US-amerikanischem Zwang ausgesetzt" seien. Rechtlich sei ein härteres Vorgehen etwa durch das 2023 verabschiedete sogenannte Anti-Zwangs-Instrument bereits möglich. Dieses lässt Ausfuhrbeschränkungen als ein letztes Mittel zu, wenn Drittländer wirtschaftlichen Zwang auf EU-Mitgliedsstaaten ausüben.
Die US-Regierung fordert von der Europäischen Union, Tech-Konzerne wie Meta und die Google-Mutter Alphabet von Regulierungen auszunehmen, in denen sie Zensur und wirtschaftliche Nachteile für US-Unternehmen zu erkennen glaubt. Im August berichteten regierungsnahe Quellen von Überlegungen der Trump-Administration, Beamte der EU und ihrer Mitgliedsstaaten zu sanktionieren, die EU-Gesetze wie den Digital Services Act (DSA) umsetzen, etwa durch Einschränkungen bei der Einreise in die USA. Ebenfalls im August drohte US-Präsident Trump in sozialen Medien mit Strafzöllen für EU-Staaten, die Tech-Konzerne regulieren. Damit wich Trump von den Vereinbarungen im "Abkommen über Zölle und Handel" ab, das EU und USA Ende Juli ausgehandelt hatten. Ein Gesetzesentwurf zum sogenannten Zolldeal aus der EU-Kommission liegt derzeit dem Europäischen Parlament vor.
Für die Unterzeichner des offenen Briefes offenbart das Vorgehen der Trump-Administration das Scheitern von Bemühungen der EU um Kompromisse. Indem sie "ein einseitiges Handelsabkommen akzeptiert und dringende Durchsetzungsmaßnahmen im Kartell- und Digitalrecht verzögert" habe, habe sie die US-Regierung nur dazu ermutigt, noch mehr zu fordern. Die US-Reaktionen seien "keine Handlungen eines Verbündeten", sondern die "Taten eines Gegners", der bereit sei, alle notwendigen Mittel einzusetzen, um seinen Widersacher zu schwächen. Die EU dürfe ihre Digitalgesetzgebung daher nicht zum Verhandlungsgegenstand machen. Im April habe Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen "die 'unantastbaren' digitalen Verordnungen der EU verteidigt und sie als 'souveräne Entscheidungen' bezeichnet, die 'nicht in den Verhandlungspaketen stehen'".
Der DSA schreibt vor, dass Online-Plattformen wie soziale Netzwerke und Onlinehändler Maßnahmen ergreifen müssen, um Nutzerinnen und Nutzer vor illegalen Inhalten, Waren und Dienstleistungen zu schützen. Hass-Postings und Desinformation sollen schneller entfernt werden. Sehr große Online-Plattformen mit mehr als 45 Millionen Nutzern in der EU wie Facebook, Amazon oder Google haben dabei die meisten Pflichten. Bei diesen findet der DSA bereits seit 2023 Anwendung. Das zweite große Gesetz zur Regulierung von Techkonzernen ist der 2022 verabschiedete Digital Markets Act (DMA). Zudem soll die 2024 in Kraft getretene KI-Verordnung (AI Act) der EU die Wahrung von Urheberrechten gewährleisten.
Für die Unterzeichner des offenen Briefes dienen die Interventionen der Trump-Regierung vor allem dazu, demokratische Aufsicht für US-Konzerne zu umgehen -"einschließlich der Regeln, die ihre Fähigkeit einschränken würden, sich in demokratische Debatten und demokratische Wahlen einzumischen, die Rechte und Freiheiten einzelner EU-Bürgerinnen und -Bürger zu verletzen und fairen Wettbewerb zu untergraben". Mit Blick auf Europas Abhängigkeit von "einer Handvoll digitaler Gatekeeper" bescheinigen die Unterzeichner der EU ein historisches Versagen: Diese habe die Wettbewerbsfähigkeit, den Wohlstand, die Souveränität und die Demokratie des Kontinents bereits schwer geschädigt.
Die deutsche Übersetzung des Briefes haben die Unterzeichner Max von Thun und Matthias Spielkamp in leicht überarbeiteter Fassung zuerst bei "Tagesspiegel Background" veröffentlicht.
liw
Zuerst veröffentlicht 09.09.2025 15:26 Letzte Änderung: 09.09.2025 15:28
Schlagworte: Medien, USA, EU, Recht, Digitalisierung, KI, DSA, NEU
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