14.10.2025 11:00
Aus der Geisendörfer-Jury Allgemeine Programme
epd Seit 2022 zeichnet der Geisendörfer Preis auch Produktionen in den Kategorien "Podcast" und "Social Media (Bewegtbild)" aus. Bei den Podcasts nahmen die qualitativ guten Einreichungen in den vergangenen Jahren zu, insgesamt waren 24 Produktionen eingereicht worden. Unter den 21 Einreichungen zu "Social Media/Bewegbild" gab es in diesem Jahr jedoch kaum Produktionen, die preiswürdig erschienen. Die Jury entschied sich daher, der Empfehlung der Vorjury zu folgen und keinen Preis für "Social Media" zu vergeben, so dass am Ende nur fünf statt sechs Produktionen ausgezeichnet wurden.
Für die Kategorie Podcast nominierte die Jury zu den drei Empfehlungen der Vorjury die BR-Produktion "Seelenfänger - Toxic Tantra" nach. Die Serie beschäftigt sich mit Yoga-Angeboten für Frauen, die über das Versprechen spiritueller Weiterentwicklung durch einen Guru in die Prostitution manipuliert wurden. Am Ende wird dem Guru der Prozess gemacht. Der Podcast ist gut recherchiert, reflektiert, spannend gebaut und stieß in der Jury auf sehr positive Resonanz.
Für "Deutschland - ein halbes Leben" (Detektor.fm) hat Autor und Host Chrisian Bollert drei Menschen, die am 9. November 1989 geboren sind, über mehrere Jahre immer wieder besucht. Die Gesprächspartner sind interessant, Autor Bollert fügt in den sechs Folgen mit persönlichen Geschichten Weiteres hinzu. Dieses Bauprinzip stieß in der Jury auf gedämpfte Begeisterung. Mehr Fokus und eine entschiedenere Auswahl, hätte "Deutschland - ein halbes Leben" noch eindrucksvoller gemacht.
In "Eisernes Schweigen - Über das Attentat meines Vaters" (WDR) erforscht und erzählt Host Traudl Bünger die Geschichte ihres Vaters, eines rechtsextremen Aktivisten, der sich in den 60er Jahren an Bombenattentaten in Südtirol beteiligte. Es geht um blinde Flecken in der Familiengeschichte und um eine Vater-Tochter-Beziehung. Die Autorin hat mit Zeitzeugen gesprochen, nutzt gutes Archivmaterial und Originaltöne. Ihr Vater hat jedoch immer eisern über das geschwiegen, was er gemacht hat. Dieses Schweigen, sagt Bünger, reiche bis in unsere Gegenwart. Die Jury bewertete die Geschichte als interessant und gut erzählt, manchen fehlte jedoch "der letzte Erkenntnisgewinn".
Der Geisendörfer Preis ging in dieser Kategorie schließlich an "Diagnose: Unangepasst", einen sechsteiligen Storytelling-Podcast des MDR, der sich mit den sogenannten Tripperburgen in der DDR befasst. Hierher wurden "unangepasste" Mädchen und junge Frauen eingewiesen und festgehalten, vermeintlich zur medizinischen Untersuchung auf Geschlechtskrankheiten und zum Schutz der Gesundheit der Allgemeinheit, in Wirklichkeit aber zur "Umerziehung", hier sollten die Persönlichkeiten durch Erniedrigung und sexualisierte Gewalt gebrochen werden. Der Untertitel "Albtraum Tripperburg" beschreibt die nachhaltige Traumatisierung der jungen Frauen, die ihr Leben lang nachwirkte.
Der aus feministischer Perspektive erzählte, gut recherchierte Podcast richtet sich an junge Menschen, die sich fragen könnten, warum sie diese Geschichte noch interessieren sollte. Die Antwort: Weil hier Machtsysteme sichtbar werden, die auch in anderen historischen und zukünftigen Kontexten funktionieren.
Die Jury war beeindruckt von den hier bezeugten Geschichten der Frauen. Der Podcast über dieses noch wenig bekannte Kapitel der DDR-Geschichte erfüllt exemplarisch die Aufgabe des Geisendörfer Preises: "Fürsprache üben." Eine Jurorin sagte: "Wenn niemand die Geschichten dieser Frauen erzählt, sind sie weg."
Die gute Nachricht aus der Kategorie Hörfunk: Radio lebt! Die Vorjury hatte aus den Einreichungen sechs sehr unterschiedliche, auf je eigene Weise interessante Hörformate vorgeschlagen. Das WDR-Hörspiel "Drei Kameradinnen", von Regisseurin Mia Spengler nach einer Romanvorlage von Shida Bazyar inszeniert, stellt drei Freundinnen in den Mittelpunkt: Hani, Kasih und Saya (Beritan Balci, Süheyla Ünlü und Shari Asha Crosson) machen Erfahrungen von Rassismus und Hass. Jede entwickelt ihre eigenen Coping-Strategien: Wut oder Anpassung, Gegenwehr oder Deeskalation. Ihre Solidarität hilft, bis ein dramatisches Ereignis vieles zweifelhaft erscheinen lässt. Eine der Freundinnen ist die Erzählerin dieser Geschichte, sie deutet, lässt uns teilhaben auch am vorschnellen Urteil.
Die Jury lobte die Inszenierung und empfand die Frauenfiguren als sehr glaubwürdig, genau wie die Darstellung der Vorurteile, mit denen Migrantinnen in Deutschland zu kämpfen haben. Einige Juroren störte die Sprecherinnenhaltung, das mitinszenierte "Ihr versteht uns sowieso nicht", andere bewerteten sie als authentisch.
Das Feature "Lieber Enno!" (NDR) handelt von Frank, dem Freund des Autors Dennis Kastrup, der am 6. Mai 2022 an Speiseröhrenkrebs gestorben ist. Frank wurde 44 Jahre alt. Das Feature richtet sich an Franks Sohn Enno, der 17 Monate alt war, als sein Vater starb. Dennis und Frank kannten sich seit der Schule, der Autor wanderte aus, sein Freund wurde Journalist, beide hielten Kontakt. Als bei Frank 2021 Krebs entdeckt wurde, begannen die Freunde, ihre Gespräche aufzuzeichnen. Sie bildeten die Basis des von Regisseurin Beatrix Ackers inszenierten Features.
Die Gespräche drehen sich um das Leben, seine Vergänglichkeit, um Hoffnung und Verzweiflung. Gespräche mit Humor, manchmal mit Todesangst, Zeugnisse einer tiefen Freundschaft. Dieses Stück hat gerade durch seine schlichte Inszenierung viele Jurymitglieder sehr berührt. Die Gespräche zeigen als Vermächtnis auch die Entwicklung des Erkrankten, dann Sterbenden. Erst ein bisschen "rotzig" und kampfgestimmt, wird Frank immer nachdenklicher. Die Männerfreundschaft ermöglicht Offenheit, deren Zeugen wir werden dürfen.
Das Stück hat trotz aller Tragik für die Zuhörer auch ein Moment des Tröstlichen. Frank lebt für seinen Sohn weiter in seinen Worten. Ein Juror lobte, dass sich das Feature auf die Emotionen fokussiere. Für diese heikle Gratwanderung brauche es viel Fingerspitzengefühl. Für eine Jurorin war gerade das nicht gelungen. Was andere berührend fanden, war für sie "kippelig" hart an der Grenze zum Gefühlskitsch. Die Jury diskutierte, ob die Intimität in diesem Freundes-Zwiegespräch in den öffentlichen Raum gehöre. Was als Testament für das Kind funktioniere, sei mit Betroffenheitssubton in Szene gesetzt. Als problematisch empfanden einige den sich nach und nach vollziehenden Abschied im Bewusstsein einer später zuhörenden Nachwelt.
Das Feature "Wir haben Krieg - die Probe fällt aus" (RBB/ORF) von Franziska Sophie Dorau ist eine Kulturreportage der besonderen Art. Als das Kiew Symphony Orchestra im April 2022 zu einer Tournee nach Westeuropa aufbricht, ist seit zwei Monaten Krieg. Die Tournee wird zur Kulturmission, aber auch zur Reise ins Exil. Die Symphoniker können nicht zurück, bleiben in Gera. Im Mai 2023 stoppt Kiew die Finanzierung, dem Orchester droht die Auflösung, den Männern der Kriegsdienst. In Gera wiederum, wo die Musikerinnen und Musiker zunächst leben, sind nicht alle begeistert von den neuen Nachbarn. Dann kommt ein unerwartetes Angebot, das die Zukunft zu verändern scheint. All das fängt die Produktion in starken Einzelstimmen ein.
Barmherzigkeit braucht einen langen Atem.
Viele Jurymitglieder hatten das Stück sehr interessiert gehört, einige bemängelten, es verliere am Ende die journalistisch gebotene Distanz. Andere Jurymitglieder lobten, wie hier Musik und Erzählung verwoben wurden. Der Kulturbetrieb und die Fragen seiner Finanzierung seien sehr nachvollziehbar dargestellt. Auch die Zerrissenheit der Musiker zwischen dem Wunsch, ihre Kunst auszuüben und dem Bedürfnis, ihr Land zu unterstützen, wurde nachvollziehbar.
Eine Jurorin sagte, dass diese Produktion lange in ihr nachklang. "Barmherzigkeit braucht einen langen Atem", so ihre Einschätzung bezüglich der nachlassenden Unterstützung für die ukrainischen Menschen hierzulande.
"Mutter haben", ein Hörspiel des BR von Ruth Johanna Benrath (Autorin) und Christine Nagel (Regie) beeindruckte Teile der Jury in hohem Maß. Mutter haben, das bedeutet in diesem Stück gleichermaßen: Tochter sein. Es geht hier um matriarchiales Erbe in Lebensgeschichten und dessen Verschwinden durch Zeitereignisse im Laufe von Generationen. Es geht um Verlustängste, unterschwellige Schuldgefühle. Und um Zeitgenossinnenschaft in familiärer Linie.
Eine sich über drei Generationen zwischen DDR und BRD erstreckende Vergangenheit, die in die Gegenwart reicht, wird aufgeblättert. Lotte, die 50-jährige Tochter, besucht ihre im Pflegeheim lebende Mutter regelmäßig. Die Mutter leidet an Demenz, es gilt, die Erinnerungen zu bergen, solange es noch geht. Dann kommt Corona, nur noch Telefonate sind möglich, immer mühsamer werden die Begegnungen.
Ein Familiengeheimnis wird enthüllt: Die Großmutter hatte sich 1961 nach ihrer Flucht aus der DDR noch im Aufnahmelager der BRD das Leben genommen. Was bedeutet das für Lotte? Eine Jurorin schätzte sehr, wie viele Facetten des Mutterseins hier zur Sprache gebracht werden. Es gehe um Identität genau wie um deutsch-deutsche Teilungsgeschichte, die eigene Erzählhaltung werde komplex und sehr gelungen hinterfragt. Ein Juror kritisierte, dass nicht deutlich sichtbar werde, was an dieser Erzählung fiktional, was biografisch ist. Diskutiert wurde die Aktualität des Themas im Vergleich zu anderen Shortlist-Produktionen.
In "Keine Namen niemand" (Deutschlandfunk Kultur) erzählen Annette Kufner und Franziska Stuhr von einer ungenannten Stadt im Westfälischen, in deren Nordviertel seit 200 Jahren Sinti leben. Theo, sehr überzeugend gesprochen von Ulrich Noethen, ist einer von ihnen. Seine Nichte Gerda will wissen, wie das nach 1932 losging mit Repressalien unter einem NSDAP-Bürgermeister, mit Registrierungen, Körper-Vermessungen, Schikanen. 1943 wurden 139 Sinti aus dem Ort nach Auschwitz-Birkenau deportiert, nur 11 kehrten zurück. Sie und ihre Nachkommen lebten weiter Seite an Seite mit den Verantwortlichen und deren Nachfahren. Viele scheuten die Erinnerungen, auf einem Mahnmal stehen bis heute keine Namen.
Dieses sorgsam und sehr zurückhaltend inszenierte Hörspiel macht mit Originaldokumenten und Erzählungen anschaulich, welche Lücken nach wie vor in der deutschen Erinnerungskultur klaffen. Der Ort, von dem die Rede ist, wird nicht benannt, aber er ist austauschbar. Die Jury lobte die Machart und die Produktionswerte. Besonders bedrückend war, zu hören, wie in der Nachkriegszeit einige Verantwortliche zwar angezeigt und verurteilt wurden, dann aber wegen guter Führung rasch wieder entlassen wurden. Die Jury war sich bei diesem Stück sehr einig: Ein Geisendörfer Preis.
Der zweite Preis in der Kategorie Hörfunk ging an "Mädchen, Frau etc." (HR), eine Hörspielserie von Jackie Thomae (Autorin) und Laura Laabs (Regie) nach dem Roman von Bernardine Evaristo. Über dieses Hörspiel diskutierte die Jury kontrovers. Einige Jurymitglieder waren begeistert von der Frische der Inszenierung, andere fanden diese übertrieben und gewollt munter. In 13 Folgen taucht die Serie in das Leben schwarzer britischer Frauen ein, insbesondere das Leben queerer Personen spielt eine Rolle.
Komponist Sebastian Purfürst sorgt für speziellen Sound, der das Leben der zwölf Hauptfiguren, die alle in einer Beziehung zueinanderstehen, verknüpft. Die Jury ist bis zum Schluss uneins, was nicht zuletzt für die Debattenqualität der Produktion spricht. Manchen gefällt die theatralisch zugespitzte Weise außerordentlich, sie schätzen den Beat der Serie, finden die hier dargestellten Themen aktuell sehr relevant. Manche empfanden die Darstellung der Figuren als überzeichnet. Schließlich entscheidet sich die Jury mit Mehrheit dafür, "Mädchen, Frau etc." den Geisendörfer Preis zu verleihen.
Ähnlich stark wie die Einreichungen beim Hörfunk waren auch die beim Fernsehen. Zu den zehn von der Vorjury empfohlenen Fernsehproduktionen wählte die Jury mit der ZDF-Serie "Push" noch eine Nominierung dazu. Bis fast zum Schluss blieb "Push", eine modern und realistisch erzählte Serie über den Hebammenalltag mit Anna Schudt, Lydia Lehmann und Mariam Hage in den Hauptrollen im Rennen um einen Preis.
Zwei Produktionen schieden für die Jury trotz großer Wertschätzung als Preiskandidaten aus: "Sieben Winter in Teheran", der WDR-Dokumentarfilm von Steffi Niederzoll über eine junge Iranerin, die in Notwehr ihren Vergewaltiger erstach und bis zu ihrer Hinrichtung sieben Jahre in berüchtigten Teheraner Gefängnissen verbrachte, kam bereits vor mehreren Jahren in die Kinos und erfuhr wie üblich die Fernsehausstrahlung erst mit großer Verzögerung. In den vergangenen Jahren wurde der aus heimlich gedrehtem Material montierte Film schon mit vielen Preisen bedacht. Auch "Die Zweiflers", eine Serie über eine jüdische Familie in Frankfurt, hatte bereits viele Preise erhalten. Hier debattierte die Jury länger, da einige Juroren die Serie als ihren Favoriten sahen. Letztlich aber entschieden wir uns, andere, weniger beachtete Produktionen auszuzeichnen.
Bei "Akutstation Psychiatrie" (HR) war das Votum der Jury recht einhellig. Zwar erachtete die Jury das Thema als swichtig und den Zugang der Filmemacherin Katrin Wegner als bemerkenswert, die Produktion selbst aber nicht als auszeichnungswürdig.
"Jamel - Lauter Widerstand" (MDR/ARD Kultur) schloss als typisches Jahrestagsfernsehen an frühere Reportagen über das Dorf Jamel und das bemerkenswerte Ehepaar Birgit und Horst Lohmeyer an, das einer aggressiven rechten Szene Widerstand leistet. In diesem Fall erschien der Jury eher der lange Atem der Lohmeyers als auszeichungswürdig als der Film.
Die Dokumentation "Fotoshooting DDR - Bilder zwischen Propaganda und Alltag" (ZDF/ARTE) stellte in der DDR entstandene fotografische Kunst und ihre Fotografinnen und Fotografen in den Fokus (Buch und Regie: Daniel Guthmann). In der Fotografie konnte auch im SED-Staat nicht gewollte Gesellschaftskritik abgebildet und bewahrt bleiben, einige Fotografen nutzten diesen Spielraum. Viele aus der Jury fanden die solide gemachte Produktion spannend und wichtig, einige störten sich am betulichen Off-Kommentar, letztlich überwogen die Argumente, die gegen den Film sprachen.
Das Justizdrama "Sie sagt. Er sagt" (ZDF) nach Ferdinand von Schirach beleuchtet die Schwierigkeiten der Rechtsprechung in Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht und keine objektiven Beweismittel herangezogen werden können. Ein Fall sexualisierter Gewalt wird in diesem Gerichts-Kammerspiel juristisch idealtypisch dargestellt. Es geht um den Vorwurf der Vergewaltigung. Ina Weisse und Godehard Giese spielen Frau und Man, die einmal ein Paar waren. Sie sagt, sie hätten bei ihrem letzten Treffen nicht einvernehmlichen Sex gehabt. Das Problem der sich widersprechenden Darstellungen wird in der Inszenierung von Matti Geschonneck gut herausgearbeitet.
Einige Jury-Mitglieder schlossen sich der Kritik an, die von einigen Frauen bereits nach der Ausstrahlung des Films im Fernsehen vorgebracht worden war: Der Motivation Betroffener, Vergewaltigungen anzuzeigen, sowie der Strafverfolgung, diese aufwendig zu ermitteln, habe dieser Film einen Bärendienst erwiesen.
Die RTL-Serie "Angemessen Angry", die auch von einer Vergewaltigung handelt, ihr Thema aber völlig anders gestaltet, stand auf unserer Shortlist in direkter Konkurrenz zu "Sie sagt. Er sagt". Amelie (Marie Bloching) wird als Servicekraft in einem Hotel von einem Gast vergewaltigt (was diese Serie indirekt darstellt: Die Teller fliegen aus den Schränken, die Mikrowelle explodiert). Amelie möchte sich nicht zum Opfer machen lassen, die Polizei ist keine Hilfe. Stattdessen entwickelt Amelie Superkräfte, erkennt Vergewaltiger mit Röntgenblick und beginnt einen oft urkomisch, oft absurd dargestellten blutigen Rachefeldzug. Bis sie ihren Vergewaltiger findet und konfrontiert - als Täter, aber auch als Vater einer Tochter, die hoffentlich keine sexualisierte Gewalt erleben muss.
Das Spiel mit den Genres, der unkonventionelle Zugang, die gelungene Ansprache jüngerer Zuschauer - all das wertete die Jury als außergewöhnlich gut, entschied sich aber zum Schluss für andere Preisträger.
Dass "Kroymann - Ist die noch gut?" (Radio Bremen) herausragend war, war für die Jury keine Frage. In dieser Sendung verbinden sich Kritik an Altersdiskriminierung im Medium Fernsehen, Frauenabwertung und scharfer Witz zu wunderbar aufklärender Comedy. In der Show soll Maren Kroymann soll für ihr Lebenswerk mit einer großen Show geehrt werden, beklagt sich aber darüber, dass Ehren- und Lebenswerkpreise bloß dazu dienten, das Abstellgleis mit Blumen zu umkränzen. Die Jury sprach Maren Kroymann nicht nur für diese Show, sondern für ihr lebenslanges Wirken als Satirikerin "mit Mut, Scharfsinn und Humor" den Sonderpreis des Geisendörfer Preises zu.
Das Rennen machten schließlich ein Fernsehfilm und eine Dokumentation. "Ein Mann seiner Klasse" (SWR) nach dem Roman von Christian Baron spielt Mitte der 1990er Jahre in Kaiserslautern. Der Fernsehfilm erzählt eine ungewöhnliche Vater-Sohn-Geschichte, geprägt durch Armut und Missbrauchserfahrungen. Dieser Film überzeugte nicht nur durch das exzellente Drehbuch von Nicole Armbruster und Marc Brummund, der auch Regie führte, sondern auch durch die vorzügliche Bildgestaltung von Matthias Bolliger. Er ist in jeder Hinsicht eine Seltenheit im Fernsehen.
Otte (Leonard Kunz), der Vater, und Christian (Camille Moltzen), der Sohn, leben mit der Familie in sogenannten prekären Verhältnissen, ausgegrenzt aufgrund ihrer sozialen Schieflage. Otte trinkt, schlägt, ist frustriert und unberechenbar, misshandelt vor allem seine Frau. Er ist ein schrecklicher Vater - aber nicht nur. Er kann auch lustig sein, nimmt Christian auch mit in den Vergnügungspark oder in die Kneipe, um Fußball zu gucken. Dann schaut der Sohn zu ihm auf.
Christian versucht, den Verhältnissen zu entkommen, aber sie sind ihm auch Sicherheit und Heimat. Ohne herabzuschauen auf die Beteiligten, frei von falscher Sentimentalität und Schonung, zeigt der Film, was es heißt, in Armut aufzuwachsen. Er spricht falsches Handeln nicht frei, die Opfer der Umstände werden als Erwachsene dargestellt, die Verantwortung zeigen müssten. Komplex, sinnlich-bildhaft in Szene gesetzt und vorzüglich gespielt, zeigt "Ein Mann seiner Klasse", dass der klassische Fernsehfilm auf der Höhe der Zeit sein kann und in 90 Minuten reichlich Zeit hat, das Milieu der ererbten Armut differenziert auszuleuchten.
Der zweite Preis in der Kategorie Fernsehen ging an die Dokumentation "Ausgesetzt in der Wüste: Europas tödliche Flüchtlingspolitik" (BR/DW/NDR). Erschütternd sind nicht nur die Szenen, in denen Geflüchtete, die von nordafrikanischen staatlichen Sicherheitsorganen zum Sterben in die Wüste gebracht und misshandelt wurden, halbverdurstet gefunden werden, erschütternd sind auch die Aussagen von Europapolitikern, die solche Praktiken als "Kollateralschaden" mindestens billigend in Kauf nehmen.
Die Jury war sich einig: Dass wir uns Sicherheit und Ruhe auf diese Weise erkaufen - das zeigt der Film mit unabwendbarer Deutlichkeit. Mit manchmal nur schwer erträglichen Bildern dokumentiert er erschütternd genau die Doppelmoral der europäischen Flüchtlingspolitik der Abschottung.
Copyright: Foto: Privat
Darstellung: Autorenbox
Text: Heike Hupertz ist freie Journalistin und war Mitglied der Jury.
Zuerst veröffentlicht 14.10.2025 13:00 Letzte Änderung: 14.10.2025 16:27
Schlagworte: Medien, Kirchen, Auszeichnungen, Preise, Robert Geisendörfer Preis, Jury-Bericht, Hupertz, NEU
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