24.10.2025 06:56
Wie Social Media die Demokratie gefährden
epd Die Frage, ob, wo und wie lange Kinder und Jugendliche Social Media nutzen dürfen, machte jüngst medial Furore. Die Antworten kennen wir schon: Es bedarf individueller Maßnahmen: Sensibilisierung, Medienkompetenzförderung. Der Umgang mit kollektiven Risiken wie der Impact von Social Media auf das politische Institutionensystem ist hingegen schwieriger: Wann und woran erkennt man diese Risiken? Und was müsste dann wer tun?
Social Media haben Impact auf die Sicherheit und Stabilität des gesellschaftlichen Vermittlungssystems, auf die Zuverlässigkeit und Qualität der Inhalte der öffentlichen Kommunikation, auf die Herstellung von Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung. Sie wirken als Medien, gewinnen dadurch Einfluss auf die Orientierung der Gesellschaft und auf die Legitimität des politischen Institutionensystems.
Social Media haben sich in einem schleichenden Institutionalisierungsprozess zu Medien entwickelt und nun etabliert. Umfragen bestätigen, dass die Bevölkerung zahlreiche Risiken wahrnimmt, die von Social Media ausgehen. Die im September veröffentlichte Sinus-Studie zum Thema "Schutz der Demokratie" im Auftrag von Greenpeace hat dies bestätigt: Bei der Frage nach demokratiegefährdenden Akteuren stehen die sozialen Medien auf dem zweiten Platz. Auf der Liste der Gründe für die Bedrohung der Demokratie steht bei den Befragten ganz oben die Sorge vor Desinformation und Fake News, über Social Media verbreitet.
Machtverschiebungen und der Verlust von Sicherheit im öffentlichen Kommunikationsraum werden in der Gesellschaft sensibel wahrgenommen, als Risiken erkannt. Wenige mächtige Akteure bestimmen die globale digitale Sphäre, nutzen ihre Social-Media-Plattform für ihre Interessen. Welche Gruppen bringen ihre Themen, ihre Interessen erfolgreich im nationalen Rahmen ein, wer setzt sich bei Entscheidungen durch? Die Beurteilung der Risiken und die Wahrnehmung von Macht und Machtlosigkeit im digitalen Raum wirken sich auf die Bewertung der Medien und des politischen Systems wie auf die Einstellungen aus. Wie leistungsfähig, wie offen und responsiv sind Medien und Politik?
Die Wahrnehmungen sind handlungsrelevant, beeinflussen kommunikatives Verhalten, also Beteiligung oder Rückzug, und tangieren damit den Input ins politische System. Und wenn man sich einbringt - erhält man dann eine Antwort? Daran hapert es, wie empirische Studien zeigen, daher stammt ein Teil der Unzufriedenheit mit dem politischen System. Eine Ursache: Das Volumen an Input in das politische System ist durch Social Media massiv angestiegen. Meinungen, Kritik, Mitteilungen aller Art, mal klar adressiert, vielfach nicht. Der Umgang mit diesen vielen Mitteilungen ist zum Problem geworden, es mangelt an Rückmeldungen. Gehör finden aber ist kein weiches Thema, sondern eine harte Bedingung für Legitimität.
Social Media haben, und das ist gut, die Möglichkeiten, Interessen einzubringen, erhöht. Dort aber werden sie nicht aggregiert, gebündelt, adressiert, sind nur teilöffentlich bekannt. Sie können daher vielfach von den zuständigen Akteuren, den Parteien oder der Verwaltung, nicht bearbeitet werden. Das politische System hat ein Input-Problem, das sich unter Social-Media-Bedingungen verschärft und sichtbarer wird, im zunehmendem Maße zu Kritik führt. Die Erfahrungen unterschiedlicher Einbringungs-, Repräsentations- und Responsivitätschancen unter Social-Media-Bedingungen beeinflussen Einstellungen und Verhalten ebenso wie die Wahrnehmung kommunikativer Risiken im digitalen Raum. Das alles zusammen tangiert die Input-Legitimität des politischen Systems.
Plattformen prägen den öffentlichen Kommunikationsraum maßgeblich. Dies nicht nur dadurch - obwohl der Sachverhalt starke Aufmerksamkeit findet -, dass sie Hass oder Falschmeldungen ermöglichen und damit Reichweite und Resonanz erzielen. Bedeutsamer ist, dass beständig ein Überschuss an Meinungen, Kritik, an Konflikten in den öffentlichen Raum gestellt wird. Dazu kommt die Verbreitung von ungeprüften Mitteilungen und PR. Social Media haben damit Impact auf die gesamte öffentliche Sphäre: Der öffentliche Kommunikationsraum erscheint überladen, unsicher, voller Kritik und Streit.
Es kommt im gesamten gesellschaftlichen Vermittlungsraum, in der medialen wie nicht-medialen Kommunikation, zu mehr als nur sektoriellen oder punktuellen Kommunikationsstörungen. Der öffentliche Kommunikationsraum erscheint als umkämpft, erscheint daher selbst als ein Problem. Diese Sorge vor Unsicherheit und die Kritik an kommunikativen Verhältnissen ist mit der Frage nach der Kommunikationsordnung verknüpft. Das verweist auf die Politik.
Die Suche nach den Ursachen dieser elementaren institutionellen Veränderungen und nach Problemlösungen hat aber erst begonnen. Die "Initiativgruppe für einen handlungsfähigen Staat", prominent besetzt, hat in ihrem im Sommer vorgelegten Bericht nüchtern und ohne weitere Ausführungen fundamental postuliert: "Dem demokratiegefährdenden Einfluss sozialer Medien ist entgegenzutreten."
Der öffentliche Kommunikationsraum scheint gestört. Das informative Grundvertrauen schwindet. Die Greenpeace-Sinus-Studie bestätigt, dass die öffentliche Kommunikationssphäre als unsicher beurteilt wird. Dieser Eindruck wird durch die von amtlichen Stellen festgestellten digitalen Risiken (Propaganda, Desinformation) und die Berichte über individuelle Erfahrungen mit Hate Speech oder Mobbing aus der Lebenswelt bestärkt.
Die Vertrauenswerte in Social Media sind gering, die Nutzung geht aber nicht zurück. Das Vertrauen in publizistische Medien und Journalismus ist über die Zeit nur leicht gesunken, die Werte sind jedoch bemerkenswert volatil. Social Media, Presse und öffentlicher Rundfunk werden in den Milieus sehr unterschiedlich, polarisiert, beurteilt. Zugleich haben sich die Auseinandersetzungen um den Medienzugang, die Kritik an Medien und Journalismus, zu einem eigenen politischen Kampffeld entwickelt. In- und ausländische Populisten wirken eifrig mit, instrumentalisieren politische und rechtliche Massnahmen für ihre Kritik an Staat und Justiz, sprechen von Elitenschutz, gar Zensur.
Längst geht es nicht mehr nur um die Beurteilung einzelner Medienleistungen, sondern pauschal um "die" Medien als Teil des "Systems" (Eliten), um grundsätzliche institutionelle Kritik ("Lügenpresse"). Die Kommunikationsfreiheit wird zum Thema: Kann man seine Meinung noch frei äußern? Die Kritik an den Medien ist mit Kritik an den politischen Institutionen verbunden, für ihr Handeln wie für ihr Unterlassen. Das wird vor allem über Social Media vorgebracht.
Dem Staat ist es nicht gelungen, mittels Strafrecht, Content Moderation, "Trusted Flaggern", Akteuren für den Faktencheck, für eine als wirksam angesehene Problembearbeitung zu sorgen. Positive Regulierungseffekte lassen auf sich warten. Eine Gruppe von Bürgern zieht sich ob der Verhältnisse zurück, eine andere nutzt sie aus, aber beide nehmen den Staat - für unterlassenes Tun oder für rechtliches Handeln - in die Verantwortung.
Die Annahme, dass sich eine neue Ordnung durch Gewöhnung und Kulturwandel, die eben Zeit benötigen, ausbilden würde, war falsch. Die ist so wenig zu erwarten wie die Einlösung der Versprechungen der Plattformbetreiber, die sozialen Netzwerke würden zu mehr Gemeinsamkeit führen. Die Annahme, mit dem Zutritt von Social Media würde ein Konvergenzprozess im Medienbereich ausgelöst, hat sich als falsch herausgestellt: Die publizistischen Medien vermögen es nicht, die Social Media einzuhegen. Im Gegenteil: Medien und Journalismus stehen unter massivem Druck. Es ist offen, ob die den Transformationsprozess bewältigen.
Der nationale Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich verpflichtet, für eine demokratische Medienordnung zu sorgen.
Das Mediensystem hat sich unter Social-Media-Einfluss nicht nur ausdifferenziert, es hat sich aufgrund der unterschiedlichen Vermittlungslogiken zudem hybridisiert. Im Ergebnis existiert kein in der Gesellschaft als integrativ wahrgenommenes und (zusammen-)wirkendes Mediensystem mehr. Zwischen den beiden Säulen kommt es selektiv zu Verweisen oder Bezugnahmen. Und bei der Selektivität finden manche großen Plattformen wie X mehr Beachtung als andere, weil sich dort auch die Journalisten beteiligen.
Selektivität: Die Inhalte von Social Media werden nicht aggregiert, können nur selektiv wahrgenommen werden. Das Gesamtangebot aus beiden Säulen kann gar nicht beobachtet werden, weil es kein Meta-Medium gibt. Die Institutionen Öffentlichkeit und Öffentliche Meinung differenzieren sich aus. Dies mag der Grund sein, dass die Annahme von einer gespaltenen Gesellschaft so ausgeprägt ist. Wer sind "Wir"?
Zwar kennt die Medienbranche unterschiedliche technische Bedingungen, aber alle Medien verfügen über den Journalismus als institutionelle Gemeinsamkeit. Social Media verfügen über keinen Journalismus, stehen in keiner institutionellen Beziehung zu den Medien, bilden daher mit den Medien keine Branche. Das hat sozio-kulturelle Folgen: Welche professionellen Regeln gelten für die Bereitstellung von Informationen, welche Kommunikationspraxen als legitim?
Eine gemeinsam geteilte professionelle Kultur existiert nicht, damit fehlt es einerseits an einer professionellen Mitkontrolle. Und da weder ein Aggregat für die Social Media noch für den gesamten Output des gesamten Mediensystems existiert, gibt es andererseits auch keine soziale Mitkontrolle der Leistungen durch gesellschaftliche Akteure. Die Mitkontrolle durch die Gesellschaft ist nur möglich, wenn es ein Publikum und entsprechenden Erwartungen gibt. Social Media verfügen aber über kein Publikum, niemand kann die vielen Kommunikationsangebote wahrnehmen. Nur aus verschiedenen Nutzungsgruppen können Impulse kommen, aber immer nur partiell.
Professionelle und gesellschaftliche Formen der (Mit-)Beobachtung und (Mit-) Kontrolle sind bedeutsam: Zum einen mit Blick auf die soziale Kontrolle von Kommunikationsleistungen. In der demokratischen Gesellschaft ist das der zentrale Modus. Zum anderen können nur so Normen und Regeln ausgebildet werden, die für die handelnden Akteure und für das Publikum Verbindlichkeit erlangen. Auch wenn nicht alle Gesellschaftsmitglieder die Normen teilen müssen, so ist das Wissen um Normen und Regeln relevant für die Zuwendung zu Leistungen wie für ihre Beurteilung. Ein gemeinsam geteiltes Mediensystem ist eine Voraussetzung dafür, dass die aggregierten Leistungen der Medien im Sinne von Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung, die als "unsichtbare Institutionen" (Pierre Rosanvallon) wirken, als Orientierungsangebot angenommen werden.
Im hybriden Mediensystem wird nach unterschiedlichen Regeln ausgewählt, breitgestellt, verbreitet. Einheitliche Formate und Genres existieren immer weniger. Mit Folgen für die gesellschaftliche Wirklichkeitskonstruktion, weil man mit Genres gleiche Erwartungen an eine Leistung verbinden darf. Auf Social Media entfällt auch die Unterscheidung zwischen faktischen Darstellungen (Bericht) und Bewertungen (Kommentar). Die Nichtkenntlichmachung hat zur Folge, dass Unterscheidungen nicht mehr sicher getroffen werden können. Die Grundlagen für die soziale Wirklichkeitskonstruktion büßen an Wirkungsstärke ein.
Auch zwischen Werbung oder PR und anderen Beiträgen wird auf Social Media nicht unterschieden. Die aus dem Journalismus bekannten Trennnormen verlieren an Bedeutung, möglicherweise mit Rückwirkungen auf den Journalismus (Pseudojournalismus). Sieht man einmal vom Influencing ab, das Social Media ermöglichen: Allein das steigende Volumen an PR-Beiträgen und von persuasiven Kommunikationsangeboten ist ein erhebliches Risiko für die gesellschaftliche Kommunikation (Manipulation). Die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz verschärfen das Problem.
Neben der Ökonomisierung der öffentlichen Kommunikationssphäre haben diese Veränderungen Auswirkungen auf die Qualitätsnormen und die faktische Qualität von Angeboten. Das betrifft Informationen, die auf geprüftem Wissen basieren müssen, um sichere individuelle oder kollektive Entscheidungen treffen zu können. Die Demokratie gründet auf verlässlichem Wissen. Politische Entscheidungen bedürfen der Faktenbasierung. Die beliebige oder gar strategisch vorgenommene Verbreitung ungeprüften oder objektiv falschen Wissens stellt ein erhebliches gesellschaftliches Risiko dar. Und je geringer der Anteil der Medien bei der Prüfung und der Vermittlung von Wissen wird, desto mehr steigt das Risiko. Auch mit noch so viel Aufwand durch Faktencheck wird man die Verbreitung von Fake News oder Fake Science nicht in den Griff bekommen, weil nicht sicher ist, ob Nutzer einer Falschmeldung von dieser Korrektur erreicht werden.
Der Einfluss von Social Media auf die Organisation von Interessen (Netzwerke), deren Artikulation und den Meinungs- und Willensbildungsprozess ist beträchtlich. Das Problem ist zum einen, dass die Interessenartikulation und -repräsentation nicht allgemeinöffentlich sichtbar erfolgt. Das schränkt die Nachvollziehbarkeit für Bürger ein. Teilhabe wird geschwächt, Intransparenz beklagt.
Zum Sichtbarkeits- und Nachvollziehbarkeitsproblem kommt noch ein Repräsentationsproblem hinzu, weil vor allem ressourcenstarke Akteure Social Media einsetzen, andere nicht. Erreichen diese dann mediale Aufmerksamkeit, steigt die Chance zur Interessendurchsetzung. Interessen-, Repräsentations- und Vermittlungsselektivität sind in politischen Prozessen kein neues Phänomen. Sie finden nun aber unter partiell intransparenten Einbringungs-, Vermittlungs- und Beobachtungsbedingungen statt, was sozial wahrgenommen wird (Ausschlussgefühl).
Zudem wird durch den Einsatz von Social Media das journalistisch-mediale Selektions- und Veröffentlichungsverfahren und das Beratungsverfahren durch die dafür vorgesehenen Intermediäre wie Parteien umgangen. Interessensanmeldungen gelangen, unter Umgehung der Intermediäre, direkt ins politische Entscheidungssystem. Das schwächt den (medien-)öffentlichen Diskussions- und den politischen Beratungs- und Aushandlungsprozess und ihre Akteure. Zugleich wird das politische Entscheidungssystem weniger durch das intermediäre System entlastet.
Das politische System mit seinen auf demokratische Verfahren orientierten Organisationen und auf rechtliche Regeln verpflichteten Institutionen gerät durch die institutionelle Veränderung beim Management des Inputs unter Druck. Es steht also nicht nur, wie aktuell diskutiert, unter starken Output-Erwartungen (Politik soll liefern, die Populisten wegregieren, Bürokratieabbau, Reformen), sondern muss unter veränderten Input-Bedingungen handeln, um als offen und zugänglich akzeptiert zu werden. Nur dann kann es dauerhaft seine Input-Legitimität behaupten.
Das sich unter Social-Media-Einfluss transformierende Medien- und Vermittlungssystem ist in zweifacher Weise für die demokratische Verfasstheit relevant: Zum einen dafür, ob und wie die gesellschaftliche Meinungs- und Willensbildung ermöglicht wird, damit die Interessenartikulation, -aggregation und -durchsetzung demokratischen Prinzipien entspricht, nachvollziehbar bleibt und gesellschaftliche Anerkennung erfährt.
Zum anderen: Die demokratische Politik ist normativ und die Gesellschaft ist funktional auf die Herstellung von Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung durch das Mediensystem angewiesen. Öffentlichkeit und öffentliche Meinung binden die Politik an die Gesellschaft, verpflichten diese zur Einhaltung demokratisch-institutioneller Verfahren, legitimieren Entscheidungen, das politische Institutionensystem, die politische Ordnung.
Und die Gesellschaft beobachtet mit Hilfe der Institutionen politisches Handeln, nimmt sich durch die öffentliche Meinung wahr. Das Wissen um die öffentliche Meinung, die Verteilung der Meinungspositionen, hegt die Individualmeinung ein, wirkt insoweit zivilisierend. Die öffentliche Meinung gewinnt unter digitalen Bedingungen an Relevanz, weil immer weniger Mitteilungen und Meinungen einem normativ klar positionierten Medium, wie wir es aus der Zeit der Leitmedien (der Öffentlichkeit der Medien) kannten, zugeordnet werden kann.
Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung wird zuerkannt, das Ergebnis gemeinsamen Handelns zu sein, dieses zu repräsentieren. Sie sind Ausdruck gesellschaftlicher Gemeinsamkeit. Ihnen kommt eine orientierende, sozial regulierende, glättende und sozialisierende Leistung zu. Sie ermöglichen gesellschaftliche Vergewisserung, sind die Voraussetzung für gesellschaftliche Koorientierung.
Unter den veränderten Medienbedingungen besteht das Risiko, dass Öffentlichkeit und öffentliche Meinung nicht mehr als zuverlässiges Aggregat angenommen, sondern als widersprüchlich, unklar, gar als "dissonant" (Barbara Pfetsch) wahrgenommen werden. Sie würden damit als nicht mehr einbeziehend, integrativ angesehen, folglich an gesamtgesellschaftlicher Beachtung und damit an Bindewirkung und Orientierungsbedeutung einbüßen. Zumal das medial vermittelte Angebot immer größer, immer weniger beobachtbar und wahrnehmbar wird. Damit würde die Bindung der Gesamtgesellschaft an die gemeinsam geteilte Öffentlichkeit mit ihren zentralen Werten und ihren wesentlichen Leitideen und Zielen geschwächt und das Legitimationsrisiko für die Politik zunehmen.
Öffentlichkeit und öffentliche Meinung sind das Ergebnis der Medienleistungen. Beide Institutionen stehen in keiner Verfassung, für sie gibt keine Gesetze, keine Vorgaben. Sie sind für die demokratische Verfasstheit und die soziale Stabilität der Gesellschaft konstitutiv. Sie werden allein durch die Institutionalisierung von Medien und deren Leistungen bestimmt.
Die Institutionalisierung von Social Media als Medien steht ordnungs-, demokratie- und gesellschaftspolitisch an. Drei Ziele sollten verfolgt werden:
Die Etablierung gemeinwohlorientierter Plattformen oder Kommunikationsräume.
Die Schaffung eines ordnungspolitischen Rahmens zur Weiterentwicklung der publizistischen Medien und des Journalismus.
Die Entwicklung eines ordnungspolitischen Rahmens für eine digitale Medien- und Kommunikationsordnung und die Regulierung der etablierten Social Media unter Beachtung der zuvor genannten Ziele.
Die Chancen für einen Politikwechsel stehen gut, der Staatsminister für Kultur und Medien Wolfram Weimer hat dem "digitalen Kolonialismus" deutlich den Kampf angesagt. Doch der Weg zur digitalen Souveränität ist lang, es wird öffentliche Mittel geben müssen, denn die notwendigen medien- und digitaltechnologischen Investitionen werden beträchtlich sein. Weimers Forderung nach einer Digitalabgabe sind markt- und daher ordnungspolitisch gut begründbar und berechtigt. Zudem ist gemäß ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Politik aus demokratiepolitischen Gründen in der Pflicht, für eine demokratische Medien- und Kommunikationsordnung zu sorgen. Die aber fehlt derzeit.
Einnahmen aus der von Weimer angekündigten Digitalabgabe dürfen dann aber nicht im allgemeinen Steuertopf verschwinden, sondern sollten zweckgebunden für Medien und Journalismus Verwendung finden. Denkbar wäre die Gründung einer Stiftung "Konsortium Medieninnovation", getragen von der gesamten Medienbranche und unter Beteiligung des Landesmedienanstalten, um Technikentwicklung (Plattformen) und Medieninnovationen voranzubringen. Das könnte für die Branche katalytisch wirken. Der Bund könnte einen solchen Prozess moderieren und sollte ihn alsbald aufgleisen.
Copyright: Frank Brüderli
Darstellung: Autorenbox
Text: Otfried Jarren ist Professor mit besonderen Aufgaben an der Universität Zürich und Honorarprofessor an der FU Berlin.
Zuerst veröffentlicht 24.10.2025 08:56
Schlagworte: Medien, Internet, Soziale Netzwerke, Social Media, Medienpolitik, Regulierung, Medien- und Kommunikationsordnung, Jarren
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