11.12.2025 08:20
Vorschläge für einen leichter verständlichen Journalismus
epd "Schreibe kurz - und sie werden es lesen. Schreibe klar - und sie werden es verstehen. Schreibe bildhaft - und sie werden es im Gedächtnis behalten." Dieser Gedanke von Verleger und Publizist Joseph Pulitzer ist auch mehr als 100 Jahre nach dessen Tod relevant für eine angemessene und verständliche journalistische Textproduktion. Sie ist bedeutsamer, gleichzeitig herausfordernder geworden für den Journalismus in Zeiten multipler Krisen, der ständigen Verfügbarkeit von Informationen und der erschwerten Grenzziehung zwischen Fakt und Fiktion, zwischen Vereinfachung und Zuspitzung.
Wie komplex und abstrakt Nachrichten anmuten können, sollen die Überschriften dieser vier Agenturmeldungen aus der jüngsten Zeit verdeutlichen:
"Norwegischer Staatsfonds gegen Musks Billionen-Gehaltspaket" (4.11.25)
"Bovenschulte: Kein goldener Handschlag für Staatsräte" (11.11.25)
"Militär ernennt Junta-Chef nach Putsch in Guinea-Bissau"' (27.11.25)
"Länder wollen Grünen Stahl bei Flottengrenzwerten anrechnen" (2.12.25)
Die Nachrichtentitel enthalten allesamt - zu Lasten der Lesbarkeit, Einprägsamkeit und eines schnellen Gesamteindrucks - aneinandergereiht und arg verdichtet zahlreiche Fachbegriffe, Fremd- und Schlagworte. Einordnungen und Erklärungen bleiben aus Platzgründen im Titel aus, erschweren so allerdings den Einstieg in die politischen Zusammenhänge und deren Kontexte, die schemenhaft angerissen werden. Die Folge sind sperrige Satzkonstruktionen, die gedanklich erst aufgelöst werden müssen, um dem eigentlichen Inhalt zu folgen.
Verständlich zu schreiben im Journalismus taugt nicht als Plattitüde oder Nebelkerze, sondern soll ein fortlaufender und bewusster Reflexionsprozess zum Umgang mit Sprache sein in Redaktionen - dem Publikum und der publizistischen Verantwortung wegen. Unser Forschungsprojekt "Leichte und Einfache Sprache im Journalismus" wendet sich daher einem leichter verständlichen Journalismus zu, der Teilhabe für all jene ermöglicht, die angesichts verschiedener Einschränkungen und Sprachbarrieren nicht oder nur selten auf reguläre Nachrichtenangebote in Zeitungen, online, im Radio und Fernsehen zurückgreifen können.
Die Befunde mit den daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen für die journalistische Praxis sind im Detail im Arbeitspapier "Journalismus leicht verständlich. Berichterstattung für Menschen mit eingeschränkter Literalität" dokumentiert. Mit diesem Beitrag soll auf die Strahlkraft eines leichter verständlichen Journalismus hingewiesen werden. Unser Transferprojekt plädiert für einen journalismusspezifischen Ansatz mit pragmatischen redaktionellen Auswahlentscheidungen in der Themenfindung, -aufbereitung und Distribution.
Verständlichkeit und Aufbau ebenjener journalistischer Texte lassen sich unserer Ansicht nach nicht an den Normen bemessen, die für die Leichte und Einfache Sprache bereits entwickelt wurden und beispielsweise für Behördentexte durchaus hilfreich sein können. Sie müssen vielmehr anwendungsbezogen von Fall zu Fall ausgehandelt werden - nach den bewährten journalistischen Qualitätskriterien. Im Einklang mit regelmäßigen Zielgruppenbefragungen und Tests durch Nutzerinnen und Nutzer sorgt dies für die notwendige praxisnahe Qualitätssicherung.
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Leichter und Einfacher Sprache ist mehrheitlich sprachwissenschaftlich geprägt. Wir nähern uns dem Thema erstmalig aus der Perspektive der Journalismusforschung - nicht in Konkurrenz zur Linguistik, sondern um disziplinenübergreifend Antworten auf drängende Fragen der demokratischen Teilhabe für marginalisierte Gruppen zu finden.
Wir sehen Potenzial darin, das Thema angesichts strengerer Gesetzgebungen zur Barrierefreiheit dauerhaft in der Journalismusforschung zu verankern und dabei auch Ergebnisse zu erzielen, die für den praktischen Journalismus von Nutzen sind. Mit der "Tagesschau in Einfacher Sprache" (ARD-aktuell), "Nachrichtenleicht" (Deutschlandfunk), dem wöchentlichen Podcast "Einfach Deutsch" ("Hamburger Abendblatt") und den "Nachrichten in Einfacher Sprache" im ORF (unter anderem Radio Wien und ORF III) seien nur einige wenige Angebote genannt, die bereits in diesem Feld agieren.
Ein starkes Signal ist die "Inklusive Lehrredaktion" im ORF, in der Nachrichtentexte in Einfacher Sprache entstehen. Ein "Berufsqualifizierungsprojekt", wie es der ORF formuliert, an dem Menschen mit Behinderung teilnehmen - mit dem positiven Effekt, dass sie für sichtbare Beteiligung im Redaktionsalltag sorgen. Unterstützt werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von erfahrenen Trainerinnen.
Eine Trainerin schildert im Sammelband "Inklusive Medienarbeit" (Herausgeber: Ernst Tradinik, 2024, S. 211) aus ihrer Praxisperspektive treffend: "Wenn in einem Text ein Wort immer wieder vorkommt, ist das einfach ein Orientierungspunkt. Variieren und möglichst viele Synonyme benützen hilft nicht, um den Text zu verstehen. Dann habe ich zwar oft Wortwiederholungen und da wird immer wieder kritisiert, dass die Schönheit der Sprache verloren geht. Aber es geht halt bei Einfacher Sprache nicht um das Schöne, sondern um das Verständliche."
infobox: Dem bei der Otto-Brenner-Stiftung abrufbaren 90-seitigen Arbeitspapier "Journalismus leicht verständlich. Berichterstattung für Menschen mit eingeschränkter Literalität" liegt eine qualitativ ausgerichtete Interviewstudie mit 28 Personen zugrunde. Im Mittelpunkt der Studie stehen die Bedarfe einzelner Zielgruppen an journalistische Inhalte in Leichter oder Einfacher Sprache sowie ihr Rezeptionsverhalten, erfasst anhand dreier Personengruppen. Die Befragten zählen aufgrund unterschiedlicher Dispositionen zum Kreis potenzieller Nutzerinnen und Nutzer eines leichter verständlichen Journalismus. In die Befragung aufgenommen wurden Menschen mit kognitiven Einschränkungen, Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrung und Menschen, die nicht richtig lesen und schreiben gelernt haben. Der Personenkreis ist in der tatsächlichen Praxis weitaus umfangreicher, die Gruppen können sich obendrein überschneiden. An dem Forschungsprojekt beteiligt waren Prof. Dr. Friederike Herrmann (Projektleitung), Steffen Grütjen (Projektkoordination), Milan Skusa, Prof. Dr. Annika Sehl, Prof. Dr. Liane Rothenberger und Jun.-Prof. Dr. Karin Boczek.
Ein Befund aus unserer Studie scheint besonders vielversprechend zu sein, um journalistische Inhalte verständlicher zu machen und Sprachbarrieren zu überwinden. Die Rede ist vom erzählerischen Journalismus. Wir möchten damit Beitragsformen adressieren, die auf narrativen Dramaturgien im Sinne des Storytellings aufbauen. Ein leichter verständlicher Journalismus kann hiervon profitieren - sowohl im Bewegtbild, in Audios als auch in Textform mit Bildern.
Ausgehend von zentralen Personen und Schauplätzen werden Beiträge in ihrer Erzählform zu Geschichten, ohne dabei die Chronistenpflicht auszuschließen. Im Gegenteil: Erzählerische Beiträge werden inhaltlich konkreter, greifbarer und zugleich nahbarer, sie knüpfen an jene Attribute an, die Pulitzer einst in die Lehre des praktischen Nachrichtenjournalismus eingebracht hat: kurz, klar, bildhaft.
Erzählerisch aufbereitete Beiträge folgen dem Motto "Menschen mögen Menschen", sie personalisieren und verbalisieren das Geschehene mit möglichst niedrigschwelligem Zugang. Die Personen und Schauplätze ermöglichen mehr Orientierung, sodass die Sachverhalte allenfalls weniger verkopft daherkommen. Perspektiven, Positionen und Stimmungen können auf diese Weise symbolisch abgebildet werden, sie werden sicht- und hörbar zum Gegenstand der Berichterstattung.
Sich im leichter verständlichen Journalismus dem Genre der Reportage zu bedienen, hat entscheidende Vorteile. Zum einen lassen sich Themen lebensnah herunterbrechen, personifizieren und auf den Alltag übertragen. Zum anderen dienen die Personen und Szenerien der besseren Überschaubarkeit, Stichwort Komplexitätsreduktion. Handlungen und Standpunkte stehen dabei nicht im luftleeren Raum, sondern lassen sich einzelnen Protagonistinnen und Protagonisten an jeweils relevanten Orten zuordnen. Die erzählerische Nachricht verbindet die Erzählstränge anschaulich. Die Handlungen werden zu einer in sich abgeschlossenen, stimmigen Story.
Die Befragten unserer Studie reagierten häufig emotional und mit viel Empathie, als wir ihnen Nachrichtenbeiträge zum Hochwasser im Ahrtal oder Fachkräftemangel vorgelegt hatten. Sie verknüpften die klassisch nachrichtlichen Beiträge mit eigenem Alltagswissen und waren darüber hinaus sichtlich bewegt von den geschilderten Problemlagen. Hier kann ein leichter verständlicher Journalismus ansetzen, indem er mithilfe der gezielt erzählerischen Tonalität einen persönlichen Zugang zu Nachrichtenbeiträgen erlaubt. So können erzählerische Beiträge anhand von Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern, Betroffenen sowie Expertinnen und Experten mit ihrer "Zeugenfunktion" strukturiert werden.
Um einen solchen Zugang perspektivisch in die Praxis umzusetzen und neuen digitalen Erzählformen Raum zu geben, bietet strategisch eingesetzte Formatentwicklung großes Potenzial. Angepasst an sich verändernde Nutzungsgewohnheiten können zielgruppennahe, individualisierte und innovative Formate leichter verständliche journalistische Inhalte begünstigen - in Form von Apps mit mehreren Sprachniveaus, journalistischen Nachrichten über Messengerdienste und einer erzählerischen Bildsprache in audiovisuellen Medien. Das zeigen unsere Erfahrungen aus nunmehr fünf Lehrforschungsprojekten am Journalistik-Studiengang mit den Nachrichtenredaktionen des Deutschlandfunks und der "Tagesschau" in Einfacher Sprache.
Joseph Pulitzer hat mit seinem Lehrsatz für das journalistische Schreiben den Weg zu mehr Verständlichkeit und Anschaulichkeit geebnet. Eine Steilvorlage für einen leichter verständlichen Journalismus, sich dieses Gedankens anzunehmen und Barrieren in der Kommunikation mit großer Entschlossenheit abzubauen.
Copyright: Eva Deiler
Darstellung: Autorenbox
Text: Steffen Grütjen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Journalistik mit Schwerpunkt Innovation und Transformation an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. In seiner laufenden Dissertation analysiert er, welches Leistungsprofil der Medienjournalismus in medienkritischen Debatten auf Social Media einnimmt.
Zuerst veröffentlicht 11.12.2025 09:20
Schlagworte: Medien, Journalismus, Grütjen
zur Startseite von epd medien