Ein Kraftakt - epd medien

25.01.2024 12:54

Der Zukunftsrat hat mit seinen Vorschlägen zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks interessante Impulse gegeben. Nun muss sich zeigen, wie die Medienpolitik damit umgeht.

Die Empfehlungen des Zukunftsrats für die Öffentlich-Rechtlichen

Der Zukunftsrat hat umfassende Reformen für ARD und ZDF empfohlen

epd Diese Überraschung ist dem Zukunftsrat gelungen: Auf die Idee, dass wir in Deutschland noch einen öffentlich-rechtlichen Sender mehr brauchen, muss man erst einmal kommen. Vonseiten der Medienpolitiker waren in den vergangenen Monaten eher Überlegungen laut geworden, die auf Senderfusionen zielten. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder schlug kürzlich vor, Radio Bremen und den Saarländischen Rundfunk abzuschaffen. Diese Forderung dürfte ihm umso leichter gefallen sein, als die beiden Sender nicht in seinem Bundesland Bayern beheimatet sind. Und der Bundesvorstand der CDU verabschiedete am 13. Januar in Heidelberg einen Beschluss zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, in dem gefordert wird, Spartenkanäle wie ZDFneo und One zusammenzulegen sowie 3sat und Arte zu einem europäischen Wissenskanal weiterzuentwickeln.

Der von der Rundfunkkommission im März 2023 eingesetzte Zukunftsrat dagegen empfiehlt "die Errichtung einer ARD-Anstalt mit zentraler Leitung, die die Arbeitsgemeinschaft ersetzt". Diese ARD-Anstalt soll "Dachorganisation der Landesrundfunkanstalten" sein. Sie soll "die alleinige Strategie-, Steuerungs-, Finanz- und Organisationskompetenz für die ARD und für alle zentralen Aufgaben und Dienstleistungen" haben. Die Landesrundfunkanstalten sollen sich stärker auf regionale Angebote konzentrieren und die Bürgernähe pflegen. Bei der Vorstellung des Berichts fasste es Julia Jäkel, die Vorsitzende des Zukunftsrats, in dem Satz zusammen: "Zentrales zentral, Regionales regional."

In derARD gibt es auffällig wenig Instanzen, die die Aufgabe haben, das Große und Ganze im Blick zum behalten.

Diese Forderung ist schlüssig, denn die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) hat zwar die Größe eines international agierenden Medienkonzerns - im Ranking der größten Medienkonzerne der Welt, das das Institut für Medienpolitik jedes Jahr veröffentlicht, stand sie mit Einnahmen in Höhe von insgesamt 7,26 Milliarden Euro zuletzt auf Platz 33 -, wird jedoch nicht beaufsichtigt wie ein solcher. Als Zusammenschluss von Rundfunkanstalten ist die ARD nicht einmal rechtsfähig. Der Medienwissenschaftler Otfried Jarren sagte 2022 im Interview (epd 35/22): "De facto haben wir es bei der ARD mit einer Art Holding zu tun, die jedoch nicht wie eine Holding funktioniert, weil sie kein übergeordnetes Gremium hat. Es gibt keinen Aufsichtsrat, der die Holding steuert und Radio Bremen genauso im Blick hat wie den WDR. Es gibt auch keine integrale Geschäftsführung."

Zudem wechselt der ARD-Vorsitz alle zwei Jahre von einem Sender zum anderen, was zur Folge hat, dass sich die jeweilige Sendeanstalt ganz neu in viele Themen einarbeiten muss. Auch der Bericht des Zukunftsrats stellt fest, es gebe in der ARD "auffällig wenig Instanzen, die die Aufgabe haben, das Große und Ganze im Blick zu behalten". Jäkel sagte: "Die ARD braucht Organisation." Sie müsse Strategien entwickeln können. Zugleich würden eine effizientere Leitung und effektivere Arbeitsteilung dazu beitragen, Mehrfachstrukturen abzubauen, und mittelfristig zu "signifikanten Einsparungen" führen.

infobox: Der im März 2023 von der Rundfunkkommission der Bundesländer eingesetzte "Rat für die zukünftige Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" hat am 18. Januar seinen Bericht vorgestellt. Dem Rat gehörten acht Expertinnen und Experten an: die ehemalige Vorstandsvorsitzende von Gruner + Jahr Julia Jäkel, der ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichts Peter M. Huber, der Publizist Roger de Weck, der Medienrechtler Mark D. Cole, die Digitaljournalismus-Professorin Annika Sehl, die Journalistin Maria Exner, die Präsidentin der Hochschule für Fernsehen und Film in München, Bettina Reitz, und die Urheberrechtsexpertin Nadine Klass.

Der Zukunftsrat stellt in seinem Bericht aber auch klar, dass er nichts von Sparen um des Sparens willen hält: Ob die Einsparungen zur Absenkung des Rundfunkbeitrags verwendet werden "oder zur besseren Auftragserfüllung", müssten die Länder entscheiden. Fusionen von Anstalten erteilt der Rat in seinem Bericht jedoch eine klare Absage: Diese "erscheinen nicht zweckmäßig, denn es geht im Vorschlag des Zukunftsrats darum, das Regionale zu stärken".

Abbau von Mehrfachstrukturen - wer könnte etwas dagegen haben? Die Mitarbeiter der ARD klagten darüber, dass sie mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit in Koordinationssitzungen verbrächten, berichtete der Publizist Roger de Weck, der dem Zukunftsrat ebenfalls angehörte, bei der Vorstellung des Berichts.

Die Demokratie- und Gemeinwohlorientierung sollte deutlicher und nachdrücklicher formuliert sein.

Was die Inhalte angeht, hält der Zukunftsrat sich in seinem Bericht zurück, doch er empfiehlt dringend, den Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sender zu schärfen: "Die Demokratie- und Gemeinwohlorientierung sollte deutlicher und nachdrücklicher formuliert sein", schreiben die acht Experten. Die Öffentlich-Rechtlichen müssen stärker "auf ihren Beitrag zur demokratischen Selbstverständigung" verpflichtet werden und "Angebote und Gelegenheiten bieten, die die Menschen zusammenbringen". Und sie müssten den Kontakt mit dem Publikum stärker pflegen, sie müssten zu "Dialoganstalten" werden.

Es werde in Zukunft nicht mehr darauf ankommen, möglichst viel zu produzieren, sagte Jäkel, wichtig sei vielmehr, "besonders gute Inhalte" zu schaffen, die wahrgenommen werden. Hier fielen bei der Vorstellung des Berichts immer wieder die Stichworte "Unterscheidbarkeit" und "Innovation". Der Bericht mahnt: "Die mangelnde Profilierung des Angebots mag kurzfristig der Einschaltquote nützen, schmälert aber auf Dauer die Akzeptanz." Die durch den Rundfunkbeitrag finanzierten Öffentlich-Rechtlichen seien "vom Druck des Markts befreit", dies verpflichte sie zu einem "unverwechselbaren Angebot".

Anreize setzen

Ob die Sender ihren Auftrag erfüllen, soll in Zukunft nicht nur von den Gremien kontrolliert werden, auch die - neu zusammenzusetzende - Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) soll darüber wachen, wie gut der Auftrag erfüllt wurde. Der stellvertretende Vorsitzende des Zukunftsrats Peter M. Huber sagte der "tageszeitung" (Ausgabe vom 23. Januar): "Relevante Kriterien für die Überprüfung des Auftrags wären dann unter anderem Verlässlichkeit, Wahrhaftigkeit, Vielfalt, Verständlichkeit und Zugänglichkeit." Er stellte klar: "Wenn fast nur noch Krimis oder Sport laufen, dann wäre der Angebotsauftrag nicht erfüllt. Auch wenn die Öffentlich-Rechtlichen keine Anstrengungen unternehmen, den gesellschaftlichen Dialog über große, kontrovers diskutierte Projekte - etwa eine Stromtrasse - zu organisieren, wäre das unzureichend."

Geradezu revolutionär ist der Vorschlag des Zukunftsrats, den Rundfunkbeitrag auf seinem aktuellen Stand zu indexieren, das heißt an eine medienspezifische Inflationsrate anzupassen und im Nachhinein zu kontrollieren, wie gut die einzelnen Anstalten den Auftrag erfüllt haben. Wurde ein Teil des Publikums nicht erreicht, soll es Abstriche bei den Finanzzuwendungen geben. So würden Anreize gesetzt, "den Auftrag konsequent zu erfüllen", heißt es in dem Bericht.

Der derzeit politisierungsanfällige regelmäßige Turnus der Finanzierungsdebatte wird vermieden.

Ein solches Verfahren würde auch bedeuten, dass die Länder nicht mehr alle vier Jahre über die Erhöhung des Rundfunkbeitrags diskutieren müssten und sachfremde populistische Argumente gegen eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags ins Feld geführt werden, die das Ansehen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beschädigen. Im Bericht liest sich das so: "Der derzeit politisierungsanfällige regelmäßige Turnus der Finanzierungsdebatte wird vermieden, zugleich aber die auftragsgemäße Verwendung des Beitragsaufkommens besser sichergestellt."

Ein Indexmodell für den Rundfunkbeitrag, um endlich aus den unproduktiven Debatten um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk herauszukommen, war auch im Länderkreis vor Jahren schon diskutiert worden, aber letztlich am Widerstand einiger Länder gescheitert (epd 24/19).

Unabhängige Persönlichkeiten

Kritisch werden die Länder wohl auch auf die Vorschläge des Zukunftsrats zur Reform der Aufsichtsgremien blicken. Das Expertengremium schlägt vor, für die neue ARD-Anstalt, das ZDF und das Deutschlandradio jeweils einen plural besetzten Medienrat mit je 48 Mitgliedern und je einen Verwaltungsrat aus Experten einzurichten. 16 Mitglieder sollen von den Parlamenten der 16 Bundesländer gewählt werden, die 32 anderen Mitglieder sollen "politikferne Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft in ihrer gesamten Breite und Vielfalt" sein.

Die Verwaltungsräte sollen grundsätzlich mit "unabhängigen Persönlichkeiten mit einschlägigen fachlichen Kenntnissen und Erfahrungen" besetzt werden: "drei aus dem Bereich der Medien, zwei mit ausgewiesener Managementerfahrung und vier 'Weise' mit besonderer Sensibilität für den Angebotsauftrag."

Das bedeutet, die Landespolitiker müssten freiwillig Macht abgeben: Derzeit sitzen zwei Ministerpräsidenten und zwei Ministerpräsidentinnen im Verwaltungsrat des ZDF. Dass das nicht unbedingt sinnvoll ist, zeigte sich unter anderem daran, dass der bayerische Ministerpräsident Söder, der bis Ende 2022 Mitglied des Gremiums war, im Jahr 2022 nur an einer von fünf Sitzungen teilnahm (epd 10/23). In den Jahren 2020 und 2021 hatte er nur an zwei von fünf Sitzungen teilgenommen. Als er sich zurückzog, teilte die Staatskanzlei zur Begründung mit, der Ministerpräsident könne aufgrund "umfangreicher Verpflichtungen in Bayern" dem Gremium nicht weiter angehören. Daran, dass es vier Jahre dauerte, bis Söder einsah, dass der Sitz im Verwaltungsrat nicht mit seinen "umfangreichen Verpflichtungen" zu vereinbaren ist, wird deutlich, dass die Ministerpräsidenten ungern auf diese attraktiven Posten verzichten.

Kritik an Talkshows

Die Medienräte sollen nach der Vorstellung des Zukunftsrats auch in Zukunft darüber wachen, dass die Sender den Auftrag erfüllen. Das wirkt etwas blauäugig, denn es hat in der Vergangenheit nicht besonders gut funktioniert. So konnte man beobachten, wie der WDR-Rundfunkrat zunächst "kritisch" über die Pläne der Programmdirektorin des Ersten diskutierte, die Sendung "Maischberger" statt einmal zweimal pro Woche ins Programm zu nehmen. Im Februar 2022 hielt der Rundfunkrat nach seiner Diskussion noch fest: "Das Gremium steht einer Erhöhung der Anzahl von Talkshows im Ersten grundsätzlich kritisch gegenüber und forderte den WDR auf, in den nächsten Monaten ein alternatives Konzept zu erarbeiten, wie der Sendeplatz am Dienstagabend nach Ende der Vertragslaufzeit 2023 strategisch sinnvoll gefüllt werden kann."

Ein Jahr später sah der Rundfunkrat Talkshows nicht mehr so kritisch und winkte den neuen Vertrag mit der Moderatorin Sandra Maischberger mit zwei Terminen pro Woche anstandslos durch. Von einem Alternativkonzept war nicht mehr die Rede, stattdessen wurden die "gewinnbringende Vertiefung" der Talkshow durch ein neues Konzept und die "hohe Sorgfalt bei der Auswahl der Gäste" herausgehoben (epd 10/23).

Und auf der Seite des ZDF-Fernsehrats ist nachzulesen, wie Mitglied J. Luca Renner im September 2021 lobt, dass die ZDF-Krimis "die Vielfalt der Lebensverhältnisse von Menschen" darstellen. Dass die Krimis immerhin ein Sechstel des ZDF-Programms ausmachen, ein Drittel der Sendezeit zwischen 20.15 und 22 Uhr im ZDF-Hauptprogramm füllen und die Fernsehfilmproduktion des ZDF beherrschen, dieser Verlust an Genre-Vielfalt scheint den Fernsehrat nicht weiter zu beunruhigen.

Kriterien wie Genrevielfalt, Unterscheidbarkeit und Innovation spielen bei der Beurteilung des Angebots durch die Gremien bisher offensichtlich nur eine untergeordnete Rolle. Daher scheint es auch fraglich, ob eine neu zusammengesetzte KEF hier tatsächlich eine unvollständige Erfüllung des Auftrags erkennen und sanktionieren würde.

Kollegiale Geschäftsleitungen

Dennoch setzt der im März 2023 eingesetzte Zukunftsrat mit seinem nun vorgelegten Bericht einige wichtige Impulse. Dass das Gremium erst Ende November ausgewählte Vertreter von Verbänden zu einer Anhörung in Berlin eingeladen hatte, hatte allerdings in der Branche für Unmut gesorgt. Mehrere Verbände und Organisationen beklagten, dass sie nicht eingeladen worden seien. Dennoch scheint der Zukunftsrat einiges von dem, was in den vergangenen Jahren in der Diskussion um die Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunk gefordert wurde, wahrgenommen zu haben.

So lobten der Deutsche Journalisten-Verband und die Redaktionsvertretungen von ARD, ZDF und Deutschlandradio (AGRA), dass der Zukunftsrat in seinem Bericht die Politik und die Sender auffordert, die Unabhängigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu stärken und diese besser zu schützen. Auch die Empfehlung, in den Sendern kollegiale Geschäftsleitungen einzurichten, wird begrüßt.

Standortpolitik

Bleibt die spannende Frage, wie die Medienpolitiker die Vorschläge des von ihnen eingesetzten Zukunftsrats aufnehmen werden. Von den Ministerpräsidenten waren bisher kaum Reaktionen zu vernehmen. Der sächsische Medienminister Oliver Schenk forderte am 20. Januar schon mal im Deutschlandfunk, dass die zentrale ARD-Anstalt in einem der neuen Bundesländer angesiedelt werden sollte, und tat damit nebenbei für alle öffentlich hörbar kund, dass Medienpolitik sich leider weitgehend auf Standortpolitik reduziert. Die Rundfunkkommission wird sich am 25. und 26. Januar in einer Klausursitzung mit dem Bericht befassen (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe). Doch für langjährige Beobachter der Medienpolitik ist es schwer vorstellbar, dass es den Experten gelungen ist, den gordischen Knoten der seit Jahren festgefahrenen Debatten zu zerschlagen. Zu befürchten ist eher, dass die Vorschläge in den kommenden Diskussionen zerredet werden.

Der Zukunftsrat selbst hat keinen Zweifel daran gelassen, dass die Öffentlich-Rechtlichen "nur umfassend reformiert und digitalisiert" zukunftsfähig sein werden und dass der Umbau schnell geschehen muss: "Wer das will, muss handeln - jetzt. Es ist ein Kraftakt aller Beteiligten nötig."

Diemut Roether Copyright: epd-bild/Heike Lyding Darstellung: Autorenbox Text: Diemut Roether ist verantwortliche Redakteurin von epd medien



Zuerst veröffentlicht 25.01.2024 13:54

Diemut Roether

Schlagworte: Medien, Medienpolitik, Rundfunk, Zukunftsrat Bericht, Roether, NEU

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