Zukunftsrat für ARD und ZDF empfiehlt umfassende Reformen - epd medien

18.01.2024 11:40

Zehn Monate nach seiner Einsetzung hat der sogenannte Zukunftsrat seine Vorschläge für Reformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorgelegt. Eine Empfehlung: Der Auftrag solle sich stärker am Gemeinwohl orientieren.

Roger de Weck und Julia Jäkel bei der Vorstellung des Berichts des Zukunftsrats

Berlin (epd). Der Zukunftsrat für ARD und ZDF empfiehlt weitreichende Reformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dieser müsse digitaler und effizienter werden und seinen Auftrag besser erfüllen, heißt es in dem am Donnerstag in Berlin übergebenen Bericht des Gremiums. Es empfahl die Einführung von schlanken Leitungsstrukturen und eine stärkere Regionalisierung.

Die Vorsitzende des Zukunftsrats und frühere Vorstandsvorsitzende von Gruner + Jahr Julia Jäkel sagte, der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk befinde sich derzeit in einer Abwärtsspirale, die die Kreativität lähme: "So etwas macht ein System auf Dauer kaputt."

Der stellvertretende Vorsitzende des Gremiums und ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Peter Huber betonte die dienende Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dieser müsse die "politische Selbstbestimmung der Bürger" unterstützen.

Zentrales zentral, Regionales regional

Zentrale Empfehlung des Zukunftsrates ist, eine zentrale ARD-Anstalt einzusetzen, die alle überregionalen Aufgaben der Arbeitsgemeinschaft wie Mediatheken, Audiotheken, das gemeinsame Programm Das Erste, Verwaltung und Technologie verantwortet. Diese Anstalt solle bei den einzelnen Landesrundfunkanstalten der ARD Zulieferungen in Auftrag geben. Die ARD sei in ihrer derzeitigen Organisationsform zwar modernisierungswillig aber "schwerfällig und nicht modernisierungsfähig", sagte Jäkel. Es gebe in der ARD viele Mehrfachstrukturen, eine "schlanke" zentrale Anstalt könne die Zusammenarbeit besser organisieren: "Zentrales zentral, Regionales regional".

Die ARD werde dadurch schneller und agiler, sagte Jäkel. Der Abbau von Mehrfachstrukturen in Verwaltung und Technologie, setze Mittel frei für ein gutes Angebot, einschließlich künstlerischer Freiräume und Experimente. Der Publizist Roger de Weck ergänzte, durch die vorgeschlagenen Reformen würde Freiraum für Kreativität geschaffen. "Ziel ist, dass man das, was man am liebsten tut, stärker tun kann."

Der Zukunftsrat empfiehlt außerdem eine stärkere Orientierung des Auftrags am Gemeinwohl und an der Demokratie. Gefragt seien mehr Innovation, die Unterscheidbarkeit der Angebote von den markgängigen Angeboten und mehr Dialog mit dem Publikum, sagte Jäkel.

De Weck sagte, Kultur sei "ein wesentliches Kernelement des Auftrags". Kultur dürfe nicht in Nischen abgeschoben werden, sondern müsse zentral auf digitalen Plattformen und in den Programmen zur Hauptsendezeit stattfinden. Wenn die öffentlich-rechtlichen Sender sich wieder stärker öffentlich-rechtlich ausrichten würden, werde dadurch auch der Privatfunk gestärkt.

Kollegiale Geschäftsleitungen

Bei ARD, ZDF und Deutschlandradio soll den Empfehlungen zufolge jeweils ein pluralistisch besetzter Medienrat dafür sorgen, dass der Auftrag erfüllt wird. Ein kleinerer, überwiegend mit Experten besetzter Verwaltungsrat soll in jeder Anstalt die oberste strategische Verantwortung tragen und die Kontrolle über die Geschäftsleitung haben. Für die Organisation der Sender empfiehlt der Zukunftsrat kollegiale Geschäftsleitungen anstelle des bisherigen Intendantenmodells.

ARD, ZDF und Deutschlandradio benötigten eine Organisation, die schnelle und agile Entscheidungen treffen könne, heißt es in dem Bericht. Dafür brauche es klare Strukturen mit eindeutigen Verantwortlichkeiten und einer wirksamen Kontrolle.

Ein gutes Angebot braucht gute Köpfe

Für die Finanzierung empfiehlt das Gremium, Auftragserfüllung und eine Indexierung des Rundfunkbeitrags zu kombinieren. Eine Kommission solle im Nachhinein kontrollieren, ob ARD, ZDF und Deutschlandradio ihren Auftrag erfüllt haben. Würden bestimmte Leistungen nicht erbracht worden, müsse es entsprechende Abschläge bei der Finanzierung geben.

Der Zukunftsrat geht davon aus, dass die vorgeschlagenen Reformen "mittelfristig zu signifikanten Einsparungen führen werden". Ob diese wiederum in Inhalte und eine Verbesserung des Angebots investiert würden oder zur Absenkung des Rundfunkbeitrags verwendet würden, müssten die Länder entscheiden. Die Experten wenden sich allerdings gegen einen "Gehaltspopulismus" bei der Diskussion um die Bezüge der Beschäftigten. "Ein gutes Angebot braucht gute Köpfe", sagte Jäkel.

infobox: Dem Zukunftsrat gehören acht Expertinnen und Experten an: Neben Julia Jäkel, Peter Huber und Roger de Weck sind es der Medienrechtler Mark D. Cole, die Digitaljournalismus-Professorin Annika Sehl, die Journalistin Maria Exner, die Präsidentin der Hochschule für Fernsehen und Film in München, Bettina Reitz und die Urheberrechtsexpertin Nadine Klass. Die Empfehlungen der acht Sachverständigen sollen am 25. und 26. Januar bei einer Klausurtagung der Rundfunkkommission in Bingen am Rhein diskutiert werden. Medienpolitik ist in Deutschland Ländersache, sie wird von Rheinland-Pfalz koordiniert.

Der Zukunftsrat war im März 2023 von der Rundfunkkommission der Bundesländer mit dem Ziel eingesetzt worden, Perspektiven für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dessen Nutzung und Akzeptanz über das laufende Jahrzehnt hinaus zu entwickeln. Ein Anlass war die Affäre beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), der aufgrund von Vorwürfen der Vetternwirtschaft und Verschwendung im Sommer 2022 in eine tiefe Krise geraten war.

Die Gewerkschaft ver.di bewertete die vorgeschlagene Schaffung einer zentralen ARD-Anstalt kritisch. Christoph Schmitz vom ver.di-Bundesvorstand erklärte, diese würde "neue publizistische Hindernisse aufbauen, denn regionale Stärke und bundesweite Kompetenzen der ARD-Sender würden auseinandergerissen".

Eine Wohltat nach dem populistischen Störfeuer gegen die Öffentlich-Rechtlichen.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und die Redaktionsvertretungen von ARD, ZDF und Deutschlandradio (AGRA) begrüßten das klare Bekenntnis des Zukunftsrats zu einem starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Forderung nach einer kollegialen Führung. Der DJV-Vorsitzende Mika Beuster erklärte, es sei gut, "dass der Zukunftsrat ein klares Bekenntnis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk" abgebe und dessen gesellschaftlichen Wert betone: "Das ist eine Wohltat nach dem populistischen Störfeuer gegen die Öffentlich-Rechtlichen aus Teilen der Politik."

Die Ideen des Zukunftsrates dürften nicht dafür herhalten, den Rundfunkbeitrag zu senken und weiter am Programm und den Mitarbeitenden zu sparen, sagte Beuster. Es liege jetzt "in der Verantwortung der Landesregierungen, diese Vorschläge aufzunehmen und in eine fruchtbare Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu überführen". Wer weiter eine Senkung des Rundfunkbeitrags oder Streichungen von Sendern fordere, mache es sich zu einfach: "Das vergiftet nur die notwendige Debatte um die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen."

Die AGRA unterstrich, dass der Zukunftsrat in seinem Bericht die Politik und die Sendeanstalten dazu auffordere, Verfahren und Mechanismen bereitzustellen, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schützen, ihre Unabhängigkeit zu stärken und den Meinungspluralismus zu garantieren. AGRA-Sprecher Hubert Krech sagte: "Wir brauchen starke Redaktionsstatute und mehr Rechte und Mitsprache für die Redaktionsvertretungen in den Sendern".

Die Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk begüßte die Empfehlung, den Auftrag zu schärfen, wies aber zugleich auf offene Fragen in Bezug auf Werbung und Beteiligungsfirmen hin. Ohne die Einbeziehung der privaten Seite sei keine Veränderung hin zu mehr gesellschaftlicher Vielfalt möglich, teilte die APR mit.

lob/dir



Zuerst veröffentlicht 18.01.2024 12:40 Letzte Änderung: 18.01.2024 17:53

Schlagworte: Medien, Rundfunk, Medienpolitik, Zukunftsrat, ARD, ZDF, Deutschlandradio, Bericht, lob, Roether, NEU

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