Journalismus in Zeiten des Krieges - epd medien

06.05.2025 06:45

Wie steht es um den Journalismus in der Ukraine, in einem Land, das seit drei Jahren mit Krieg überzogen wird? Er hält sich erstaunlich gut, sagen Beobachter. Sie betonen die Wichtigkeit der Unterstützung von Medien in der Ukraine durch deutsche oder europäische Partner.

Medien in der Ukraine zwischen Zensur und Selbstzensur

Journalisten bei einer Pressekonferenz des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im März 2025 in Kiew

epd Valeriia Semeniuk lebt seit März 2022 in Deutschland. Die ukrainische Journalistin kommt aus Worzel, einem Nachbarort von Butscha. Butscha steht wie kein anderer Ort für russische Kriegsverbrechen gegen die ukrainische Zivilbevölkerung kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022. Millionen Menschen, darunter auch Medienschaffende, mussten seither fliehen. Dennoch gibt es immer noch Medien in der Ukraine. Wie sieht deren Alltag aus und welchen Herausforderungen sehen sie sich ausgesetzt?

Vor dem Krieg arbeitete Semeniuk 20 Jahre lang in der Ukraine als Redakteurin für Nachrichtensendungen bei unterschiedlichen Fernsehsendern. Heute lebt sie in Berlin mit ihren zwei Kindern, ihr Mann musste in der Ukraine bleiben. Für den Berliner "Tagesspiegel" schreibt sie als freie Journalistin über die Ukraine, vor allem über den russischen Angriffskrieg und seine Folgen. "Das ist eine große berufliche und finanzielle Unterstützung für mich", schreibt sie in einer E-Mail dem epd.

Krieg im eigenen Land

Auch wenn ihr Leben in Berlin sich drastisch unterscheidet vom Leben ihrer Kollegen und Kolleginnen, die in der Ukraine geblieben sind, steht Semeniuk mit vielen von ihnen in regelmäßigem Kontakt: "Wir tauschen Informationen und Meinungen aus." Die Journalistin bringt eine wertvolle Innenansicht mit.

Viele ihrer Kollegen, sagt sie, klagen über Burnout. "Drei Jahre lang über einen Krieg im eigenen Land zu berichten und gleichzeitig unter russischen Luftangriffen zu leiden, ist wirklich schwierig." Darüber hinaus habe sich die finanzielle Situation der Journalisten durch den Krieg und die Inflation erheblich verschlechtert. Fast alle ukrainischen Journalisten seien zu Kriegskorrespondenten geworden, sagt sie. "Sie redigieren Nachrichten von der Front und Meldungen über Raketenangriffe im Hinterland. Sie erstellen militärische Analysen und führen Interviews mit Militärexperten. Und natürlich berichten sie über die alltäglichen Opfer des Krieges."

Die Journalisten gäben ihr Bestes, um von den Schrecken des Krieges in persönlichen Geschichten zu erzählen, sagt Semeniuk. "Doch manchmal sind sie dann frustriert, weil diese Berichte zu wenig Zuschauer und Leser finden." Leider gebe es zu viele dieser Geschichten. "Die ukrainische Öffentlichkeit kann mit der Flut an Informationen nicht Schritt halten." Einige ihrer Kollegen und Kolleginnen, berichtet die Journalistin, hätten sich als freiwillige Soldaten an der Front gemeldet. "Unter den Journalisten, mit denen ich persönlich in denselben Redaktionen gearbeitet habe, gibt es Dutzende solcher. Zwei von ihnen sind leider getötet worden."

Medien erfahren Bedeutungswandel

Auf der am 2. Mai veröffentlichten Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen belegt die Ukraine derzeit Platz 62 und hat sich im Vergleich zum Vorjahr um einen Platz verschlechtert. Insgesamt 13 internationale und ukrainische Journalisten kamen in den vergangenen drei Jahren aufgrund ihrer Berichterstattung ums Leben, teilte die Nichtregierungsorganisation dem epd mit. Mehr als 100 wurden verletzt. Von den mindestens 19 ukrainischen Medienschaffenden in russischer Haft sind zwölf krimtatarische Journalisten. Zur Krim und den von Russland kontrollierten Gebieten im Osten der Ukraine haben unabhängige Journalisten seit 2014 kaum noch Zugang.

Offiziell, so Reporter ohne Grenzen, gebe es auch eine Militärzensur, die Akkreditierungen für die Berichterstattung würden vom ukrainischen Verteidigungsministerium ausgegeben. Das Militär habe das Recht, die Medien zu kontrollieren und deren Berichterstattung einzuschränken. Auf Nachfrage der Armee müssten Videoaufnahmen oder Fotos zur Kontrolle vorgezeigt werden. Selbst Berichte über militärische Erfolge der Ukraine könnten untersagt werden. Der Frontbereich dürfe nur in Begleitung eines Presseoffiziers betreten werden. Daneben sei es verboten, sensible Informationen zu veröffentlichen, die den Abwehrkampf der Ukraine militärisch negativ beeinflussen könnten. Videos von Einschlägen russischer Raketen dürften nur mit zeitlicher Verzögerung veröffentlicht werden.

"Telemarathon"

Viele dieser Bestimmungen seien wegen ihres offensichtlichen Schutzcharakters von den ukrainischen Journalisten akzeptiert, zudem würden viele auch nicht so umgesetzt, wie sie auf dem Papier stehen, berichtet Reporter ohne Grenzen dem epd. Die Militärzensur in der Ukraine ziele darauf ab, das Leben von Menschen zu retten und der Armee die Verteidigung zu ermöglichen. In Russland ziele die Militärzensur dagegen darauf ab, die offizielle Sicht des Krieges mit juristischen Mitteln durchzusetzen und abweichende Informationen und Sichtweisen zu kriminalisieren.

Und dann gibt es den "Telemarathon": Kurz nach Anfang des Krieges hat die ukrainische Regierung die größten Fernseh-Kanäle zu einem Programm zusammengeschlossen. Ende 2024 habe das ukrainische Kulturministerium erklärt, dass der "Telemarathon" erst nach Beendigung des Kriegsrechts, also nach dem Ende des Krieges, aufgegeben werden soll, so Reporter ohne Grenzen.

Telegram-Kanäle

Nach wie vor gebe es jedoch Kritik an dem Format: Während die meisten Medien ein veritables Finanzierungsproblem hätten, finanziere der ukrainische Staat den "Telemarathon" - im Jahr 2024 mit mehr als 36 Millionen Euro. Der Vorwurf lautet, er sei ein "Regierungssprachrohr": Ursprünglich habe das Format operativ über den russischen Angriff informieren und den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern sollen. Diese Aufgabe habe der "Telemarathon" zu Beginn des Krieges auch erfüllt, sagen Kritiker. Nun aber nutze die Regierung das Format, um ihre Sicht des Krieges und des politischen Lebens darzustellen.

Wie Reporter ohne Grenzen berichtete, hat die Europäische Kommission deshalb Ende 2024 angeregt, das Format zu beenden. Die meisten Ukrainer und Ukrainerinnen informierten sich mittlerweile sowieso über Telegram-Kanäle.

Investigativer Journalismus ist in der Ukraine sehr gut entwickelt.

Auch Semeniuk sagt, dass Fernseh-Journalisten wegen des "Telemarathons" oft gezwungen seien, die Situation an der Front zu beschönigen, und dass es ihnen nicht erlaubt sei, Präsident Wolodymyr Selenskyj und sein Umfeld kritisch zu beleuchten. "Die gute Nachricht ist jedoch, dass der 'Telemarathon' nicht die wichtigste Informationsquelle ist. Es gibt viele andere Nachrichtenseiten, auch solche, die Selenskyj kritisch gegenüberstehen. Sie dürfen ohne Angst vor möglichen Repressionen berichten. Das ist eigentlich ein Beweis dafür, dass es in der Ukraine Pressefreiheit gibt."

Neben dem Krieg gebe es ein weiteres Thema, das nicht an Aktualität verloren habe, nämlich die Aufdeckung der Korruption. "Investigativer Journalismus ist in der Ukraine sehr gut entwickelt." Berichte ukrainischer Journalisten führten zu Strafverfahren oder zum Rücktritt von Beamten, schreibt Semeniuk. Hier sieht die ukrainische Journalistin auch Ansatzpunkte für eine Kooperation zwischen Journalisten aus der Ukraine und deutschen Medien: Ukrainische Journalisten könnten "eine Stimme der Ukraine im Ausland werden". Ein Blick von innen wäre für Leser und Leserinnen in Deutschland eine Bereicherung.

Journalistische Netzwerke

Genau hier setzt n-ost an, ein europäisches Journalistennetzwerk mit Sitz in Berlin. Die Medien-Organisation konzentriert sich nach eigener Aussage auf Osteuropa. n-ost vernetzt Journalisten und Medien und unterstützt Recherchen. Zudem bildet n-ost auch Journalisten und Fotografen aus.

Antonina Rybka ist Projektmanagerin, sie sagt, dass die Organisation zahlreiche journalistische Projekte auch in der Ukraine fördert, eines davon ist "The Europe Ukraine Desk". Dabei geht es um die Vernetzung ukrainischer Journalisten mit deutschen, französischen, italienischen, spanischen, ungarischen und bulgarischen Kollegen und Kolleginnen. Ziel des Projektes, das von der Europäischen Kommission unterstützt werde und seit zweieinhalb Jahren laufe, sei die Sicherstellung der Berichterstattung über die Ukraine in den genannten Ländern.

Studienaufenthalt in Kiew

"Mit einer Einladung nach Kiew wollen wir das Verständnis untereinander fördern und vor allem solche Journalisten ansprechen, die noch nie in der Ukraine waren", sagt Rybka. Sie beschreibt den einwöchigen Aufenthalt der europäischen Journalisten als eine Art "Studienaufenthalt", der eigene Recherchen im Land ermögliche. Journalisten aus dem Ausland könnten von ukrainischen Journalisten viel lernen, betont die Projektmanagerin. "Wir wollen, dass ukrainische Journalisten nicht bloß als Fixer (also Übersetzer und Zuarbeiter) angesprochen werden, sondern im besten Falle eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe entsteht." Ukrainische Journalisten könnten ihr Wissen über Leben und Arbeiten in einem Kriegsland weitergeben und auch, wie man mit politischer Propaganda und Desinformationskampagnen umgeht.

Rybka berichtet außerdem von einem großen Dilemma, in dem die Journalisten und Journalistinnen stecken: Am Anfang lag der Fokus vor allem auf Kriegsberichterstattung und der Aufklärung russischer Kriegsverbrechen. Aber es gebe auch die Verantwortung, über Fehlverhalten der eigenen Regierung zu berichten, wie zum Beispiel über Korruption. Mittlerweile gebe es auch ein Verständnis dafür, dass eine Selbstzensur dem Land ebenfalls großen Schaden zufügen würde.

Alle berichten von einer großen Müdigkeit.

Hinzu komme eine andauernde, kaum vorstellbare Belastung. Kollegen seien gestorben, viele arbeiteten Tag und Nacht und seien quasi eingezogen in die Newsrooms und Büros ihrer Redaktion. "Alle berichten von einer großen Müdigkeit, dabei ist das Leid ungleich verteilt. Das wiederum führt dazu, dass man ein schlechtes Gewissen hat, zum Beispiel in den Urlaub zu fahren."

Ein zweites Projekt richtet sich ausschließlich an ukrainische Journalisten regionaler Medien, berichtet Rybka. "Fight for facts" werde gefördert durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. 16 regionale Medien aus dem Osten, Westen und Süden des Landes seien daran beteiligt. Die regionale Berichterstattung in der Ukraine sei geprägt durch große qualitative Unterschiede. Ziel sei es, ihre Kapazitäten zu stärken und sie zu einer noch wertvolleren und vertrauenswürdigeren Informationsquelle in ihren Regionen zu machen - durch Englischkurse, Fortbildungen im Medienmanagement und Workshops zu den Themen Fake News und Desinformation.

Keine Feinde

Auch die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit engagiert sich von Deutschland aus in der Ausbildung und Förderung ukrainischer Journalisten. Peter Cichon, Experte für Medienfreiheit der Stiftung, hebt die Bedeutung von Meinungs- und Pressefreiheit für eine demokratische Transformation des Landes hervor. "Freie Medien, auch in der Ukraine, kämpfen für die Zivilgesellschaft an vorderster Front und sind ein Grundpfeiler der Rechtsstaatlichkeit", sagt der Osteuropawissenschaftler.

Ein Projekt der Stiftung bringe ukrainische Journalistinnen - wehrpflichtige Männer dürfen aufgrund des Kriegsrechts nicht ausreisen - und belarussische Journalisten aus dem europäischen Exil in Workshops zusammen, erklärt Cichon. "Auch ukrainische Medien befinden sich mitten im Krieg und übernehmen oft automatisch die Schwarz-Weiß-Logik des Krieges." Deswegen sei das Verhältnis zwischen ukrainischen und belarussischen Journalisten oft belastet. Belarus und Russland vertiefen seit einiger Zeit ihre Zusammenarbeit. Belarus gilt als "Vasallenstaat" Russlands: alle unabhängigen Medien sind zerschlagen oder ins Exil gegangen.

Lange gemeinsame Geschichte

"Durch Dialogmaßnahmen vermitteln wir den ukrainischen Medienschaffenden, dass belarussische Journalisten, die im Exil in Berlin, Vilnius oder Warschau leben und arbeiten, alles andere als ihre Feinde sind", erläutert Cichon. Ziel der Workshops sei, Verständnis zu schaffen und eine Perspektive zu entwickeln für die Zeit nach dem Krieg: "Wir wollen damit eine Brücke schlagen zwischen zwei Nachbarländern mit einer langen gemeinsamen Geschichte, die sich heute aber politisch immer mehr voneinander entfremden." In Belarus gebe es keinen Platz für eine freie Zivilgesellschaft, während diese in der Ukraine sehr stark sei.

Zum Krieg als andauernde Herausforderung für den Journalismus in der Ukraine gesellt sich seit dem Amtsantritt Donald Trumps als US-Präsident finanzielle Unsicherheit. Von den Zuwendungen und Programmen der Hilfsagentur USAID profitierten auch journalistische Projekte in der Ukraine - nun ist ihr Fortbestehen nicht mehr gewährleistet.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) machte Anfang des Jahres mit einem Spendenaufruf auf die mangelnde finanzielle Unterstützung, die ukrainischen Medien droht, aufmerksam. "Es ist wichtig, dass die Bevölkerung informiert wird über den Hergang des Krieges", sagte der DJV-Vorsitzende Mika Beuster dem epd. Deswegen wolle der DJV vorerst sechs lokale Zeitungen aus verschiedenen Grenzregionen unterstützen, die in Donezk, Mykolaiv, Cherson, Charkiw und Saporischschja ansässig sind.

Ziel von Kriegsverbrechen

Des weiteren gingen Spenden an sechs Journalisten, die an vorderster Front über die Ereignisse in ihrer Region berichteten. "Wir haben ein Spendenziel von 10.000 Euro, ein Teilbetrag von 5.000 Euro ist bereits in der Ukraine angekommen", sagt Beuster. Das Geld werde an die National Union of Journalists of Ukraine (Nuju) überwiesen, mit der der DJV gute Kontakte pflege.

Auch Journalisten werden zum Ziel mutmaßlich russischer Kriegsverbrechen. Aus Sicht von Reporter ohne Grenzen ist besonders der Fall der ukrainischen Journalistin Viktoria Roschtschyna erschütternd. Im September 2024 kam die Journalistin unter nicht geklärten Umständen in russischer Haft ums Leben. Die Organisation hat recherchiert, dass Roschtschyna vor ihrem Tod in russischem Gewahrsam gefoltert wurde und auf 30 Kilogramm abmagerte.

Mein altes Leben wurde durch den Krieg zerstört.

Die freiberuflich arbeitende Journalistin war im August 2023 in den russisch besetzten Gebieten in der Südukraine verschwunden. Im April 2024 bestätigte Russland die Festnahme von Roschtschyna. Nach offiziellen Angaben starb sie im September 2024 in russischer Haft. Eine Erklärung der Todesumstände blieb Moskau den Angehörigen schuldig. Inzwischen hat Russland die Leiche an die Ukraine überstellt, wie Reporter ohne Grenzen berichtete.

Für Semeniuk war es zunächst schwer, nach Deutschland zu gehen: "Ich bin hierher geflohen vor dem Krieg, nicht vor der Armut zum Beispiel. In der Ukraine war mein früheres Leben viel schöner und prachtvoller", sagt sie. Wahrscheinlich werde sie aber in Berlin bleiben. "Vielleicht mache ich mir auch nur Sorgen um die Rückkehr in die Ukraine. Leider ist es unmöglich, in mein altes Leben zurückzukehren: Es wurde durch den Krieg zerstört."

Elisa Makowski Copyright: epd-bild/Heike Lyding Darstellung: Autorenbox Text: Elisa Makowski ist Redakteurin von epd medien.



Zuerst veröffentlicht 06.05.2025 08:45

Elisa Makowski

Schlagworte: Medien, Ukraine, Russland, Konflikte, Deutschland, Pressefreiheit, Makowski, ema

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