30.05.2025 10:28
Zum Tod des Medienmanagers Helmut Thoma
epd "Erfrischend anders", so sollte das an ARD und ZDF gewöhnte Publikum ein Programm sehen, das ein Plus schon im Namen führte, aber über einen klaren Kern verfügte. RTL. Das war, natürlich, ein Marketing-Gag, aber ein leicht verständlicher, ganz anders als jener "Claim", mit dem Mitte der 90er Jahre der andere große Marktkonkurrent in Deutschland die zuschauenden Menschen für sich gewinnen wollte: "Sat.1 - ich drück dich". Da war aber schon längst RTL das eigentliche Maß der Dinge für Privatfernsehen. Und das nicht nur verbal.
Aber das Verbale war ganz am Anfang, schon weit vor dem formalen Programmstart im Januar 1984, von wesentlicher Anschubkraft. Zwar hatten die Entwicklungshelfer einer kommerziellen Medienvariante als Gegenkraft zu den öffentlich-rechtlichen Anstalten an vielen Stellen voller Elan ihre ideologisch gestärkten medienpolitischen Geschütze in Stellung gebracht, munitioniert mit dem Schlagwort der "Entautorisierung" (Helmut Kohl) eines als einengend beschriebenen Gemeinwohlrundfunks. Doch die Gegenkräfte waren keineswegs schwach, es gab - vor allem vonseiten der Sozialdemokraten - heftige Gegenwehr. Helmut Schmidt sah in der Auflösung des herkömmlichen Modells eine gesellschaftlich große Sprengwirkung, vergleichbar der Atomkraft.
Vier Kabelpilotprojekte sollten im Modellversuch vorscheinen lassen, wohin die Reise gehen könnte mit einem dualen Mediensystem. Auch da war die Widerstand beflügelnde Begleitmusik heftig: "Nicht vom Nabel gleich ans Kabel", so intonierten Gewerkschafter eine Warn-Ausstellung in Ludwigshafen. Die tiefgreifende Auseinandersetzung wurde begleitet von einer Unzahl von medienpolitischen Debatten, Interventionen und Konferenzen. Und damit kam dann, gerade auch auf den Scheitelpunkten des Für und Wider, jener Mann ins Spiel, der es fast spielerisch fertigbrachte, auch erbitterte Gegner aller Privatfunkambitionen argumentativ ins Wanken zu bringen: Helmut Thoma.
Geradezu legendär sind seine Sprüche geworden, mit denen er auf Podien seine Gegner (aus der Medienpolitik, aus dem Kreis der Sender, aus der Kommunikationswissenschaft) verblüffte und sie überrumpelte. "Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler" ist sicherlich der meistzitierte, noch vor der Grundaussage: "Im Seichten kann man nicht ertrinken". Damit nahm er - in sarkastischer Verknappung und treffsicherer Zuspitzung - all jenen den Wind aus den Segeln, die eine vertiefende Diskussion um die Qualität von Programmen, die Funktionsfähigkeit von Systemen und die möglichen gesellschaftlichen Folgen führen wollten.
Ob sie es eigentlich wollten oder nicht: Nicht wenige im Publikum lachten, waren zumindest amüsiert, applaudierten dabei innerlich dem gekonnten Entäußern von Wiener Schmäh (der Thoma überreichlich in die Wege gelegt schien).
Was die Medienkritikerin Klaudia Wick später einmal der Reality-Show "Big Brother" (kurz nach der Nach-Thoma-Ära) bescheinigte, nämlich ein "teuflischer Geniestreich" zu sein, das werden sicher viele Gegner von Privatfernsehen den Verbal-Pointen des RTL-Vordenkers als Kompetenzkern zuschreiben. Wobei darin nicht unbedingt Genialisches stecken musste. Es ging nicht zuletzt um die Chuzpe, das, was mit der neuen Programmpraxis verbunden sein würde, in seinem Mechanismus schlicht zu benennen: als Programmangebot aus dem Geist des Markts, bestimmt durch Angebot und Nachfrage.
Darin lag freilich auch das unternehmerische Versprechen, dass etwas im Seh-Regal platziert werden sollte, was es so bei den Alt-Anbietern noch nicht gab. Der Satz vom Wurm und Angler offenbarte aber beinhart das zugrundeliegende Verständnis: Der Sender als Wirtschaftsunternehmen wirft einen Köder aus, mit dem das Publikum zum Anbeißen verlockt wird und dann am Haken hängt - es wird also schlicht als Beute adressiert. Eine Beute, die nicht direkt gefressen wird, aber indirekt nahrhaft ist, indem sie Einschaltquoten und damit Werbeeinnahmen generiert.
Was an findigem Einfallsreichtum auch zur Thoma-Natur gehörte, hatte sich schon vorher gezeigt. Denn bevor eine bundesweite Kabelei die Kanalvielfalt vergrößern und Übertragungen per Satellit auch nationale Grenzen überwinden konnten, setzte der Pfiffikus Thoma auf Irdisches. Durch eine intuitive Schlussfolgerung aus einer einfachen Beobachtung: Ein Sendemast des luxemburgischen Radiosenders unter der von ihm gehissten RTL-Radio-Flagge war umgeknickt. Warum also, so der schlaue Gedanke, sollte ein RTL-Fernsehprogramm nicht die Grenze ins Nachbarland überschreiten können? Natürlich mit der Einschränkung, nicht mit großen Reichweiten punkten zu können. Aber immerhin doch mit dem Effekt, sich nicht von deutschen Genehmigungsverfahren und Lizenzen einschränken zu lassen.
Für Fernsehkritiker hatte das zur Folge, dass sie sich zum berühmten "Urknall" des Privatfernsehens im Januar 1984 in Saarbrücken einquartierten, um den Start live zu verfolgen - das Antennensignal von RTLplus war zunächst nur an der Grenze zu Luxemburg zu empfangen. In ihren Notizen vermerkten die Kritiker dann beispielsweise, dass ein Mädchen unter der Dusche für die Seife Fa warb, die Klappmaulpuppe Karlchen das Weltgeschehen durch den Kakao zog und eine Astrologin die Zukunftslinien charmierte - und dass ohnehin vieles jetzt viel bunter und animierter über den Schirm schwebte als bei den herkömmlichen Playern.
Keine Frage also: Der Bauch- und Intuitionsmensch Thoma, der vor seiner luxemburgischen Radio-Berufung als Jurist in den Diensten des fest auf der öffentlich-rechtlichen Grundordnung stehenden ORF gestanden hatte, der zudem theologisch geschult war, hatte mit dem so luftigen wie handfesten Grenz-Geniestreich einen wesentlichen Praxisschritt getan, um das multiple deutsche Sendermonopol zu durchbrechen. Und mit nachhaltigem Effekt halfen seine an vielen Orten variierten Grundsprüche, den Boden unter den Bewahrern der alten Ordnung nach und nach erodieren zu lassen.
Zu den Bauch-Instinkten (mit barocken Anflügen) gesellte sich auch eine Buddha-Mentalität (die er sammelnd manifestierte), eine Mentalität, mit der er unerschütterlich alle Anwürfe (wo bleiben Anspruch und Qualität?) aussaß und in der Wurm-Lehre das erste und letzte Testament der Kommerzprogramme festschrieb. Wo immer er war und diskutierte: Diese einfache Lehre beherzigte, exekutierte und verteidigte er, auch mit schlagfertigem Witz. Zu bemerken war bei seinen Auftritten oft die gleiche Abfolge an Reaktionen: erst Ärger und Zorn, dann Verblüffung, irgendwann später ein äußerlich einverständiges Schmunzeln: Jaja, der Wiener.
Sein lakonischer Zynismus hat auf unzähligen Podien gewirkt, wo sein zuspitzender Esprit einer nicht selten gedrechselt-überheblichen Kulturkritik und trockenen Gesellschaftslehrsätzen sehr zu schaffen machte und an der Oberfläche die Debatte aushöhlte - zugunsten eines populären Pragmatismus. Damit konnte er gerade auch ernsthafte Medienmenschen in die Enge treiben. Die er dann noch mit feinen Boshaftigkeiten traktierte - wie den ZDF-Intendanten Dieter Stolte, dem er vorhielt, einem "Kukident-Sender" vorzustehen.
Später dann, am Ende seiner Karriere im RTL-Mutterkonzern, trug einer seiner sonst so erfolgreichen Sprüche zum eigenen Niedergang bei. Sein auf strategie-knauserige Entscheidungen gemünztes Verdikt, dass im Konzern auf jedem Baum ein Controller sitze, kam bei den Entscheidern der großen Gruppe gar nicht an. Damit war sein Ende als RTL-Geschäftsführer besiegelt. Die wesentliche Folgefunktion - den überaus medienaffinen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Wolfang Clement zu beraten - wird den überaus vitalen Medien-Macher nicht mit innerer Begeisterung erfüllt haben, so wenig wie die naturgemäß an ihn herangetragenen Portfolios diverser Aufsichtsräte und Gremien.
Der Tenor in den jetzigen Würdigungen (so durch den NRW-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst und den neuen Kultur- und Medien-Staatsminister Wolfram Weimer) wird bestimmt durch Worte wie Geburtshelfer, Pionier und Wegbereiter des Privatfernsehens. Das alles liegt angesichts der in jeder Hinsicht prominenten Rolle Thomas natürlich nahe, auch angesichts der wirtschaftlichen Erfolge des von ihm aufgebauten Senders, auch im Vergleich zur ganz anders interpretierten Rolle seines Sat.1-Mitspielers Jürgen Doetz.
Aber es sind unbedingt auch die Umstände zu nennen, in deren Rahmen er sich bewegt hat. Dies darf angesichts seiner Öffentlichkeitswirkung keineswegs unterschätzt oder gar ausgeblendet werden. Thoma bewegte sich mit einem sehr eigenen Elan, mit einer herausragenden unternehmerischen Energie. Seine Interpretation des Bildes eines Medienmanagers: Sie war und blieb seine ureigene.
Norbert Schneider - als SFB-Programmdirektor und später als Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen sowohl Macher als auch Privatfunk-Regulierer, dazu immer exzellenter Medienkenner und -theoretiker - hat in einem Rückblick auf die Entwicklung des Privatfernsehens das Denk- und Handlungsumfeld treffend umrissen und gekennzeichnet, inklusive der externen Faktoren. Wobei die Akteure, das ist immer mitzudenken, einem Zeitgeist folgten und ihn gleichzeitig beförderten: einem Zeitgeist, der gerne auf die Vorgaben Liberalisierung und Deregulierung hörte.
Die Politik, so der Vorwurf Schneiders, habe weitgehend auf das Zählbare gesetzt, um auf dem Markt - mit seiner Tendenz zur Stärkung der Starken - per Festschreibung von Höchstwerten bei den Marktanteilen der beteiligten Konzerne ein Übergewicht an Meinungsmacht zu verhindern. Bei diesem rein quantitativen Denken in Zahlen - was sich bei den Programmen im quotenfixierten Ansatz spiegelte - sei eines zu kurz gekommen: die Debatte um die Qualität der Programme. Was indirekt natürlich immer einschließt: eine Auseinandersetzung mit dem ethischen Anspruch.
Während an diesem Punkt die Hauptkritik an der privaten Programmgestaltung ansetzte - sie setzten wegen des Markterfolgs allein auf maximale Aufmerksamkeit, kalkulierten deshalb Tabubrüche gezielt ein, ebenso Vulgäres, Ordinäres und Marktschreierisches, immer mit der Tendenz, dem ‚Affen spürbar Zucker zu geben‘ -, während diese Kritik also das Prinzip Köder als gesellschaftsschädlichen Irrweg anprangerte, plädierte Thoma hier stets für eine gelassene Sichtweise und folglich für höchst moderat formulierte Praxiskriterien.
So erteilte er auf einem Medienkongress der evangelischen Kirche jeglicher detaillierten Ethik- und Wertedebatte eine Absage mit dem schlichten Satz: "Alles ist relativ." Es gebe nur wenige Grundwerte und lediglich eine "gewisse Basis" an Normen. Medien könnten vielleicht Entwicklungen beschleunigen oder auch bremsen, aber nicht hervorrufen oder bestimmen. Was faktisch-praktisch bedeute: Medien und damit die Medienveranstalter müssten mit dem jeweils existierenden Wertesystem der Gesellschaft leben, sonst seien sie nicht erfolgreich. Die vielfach befürchteten "Exzesse" bei einem weitgehend liberalisierten Medienmarkt: Er sehe sie nicht.
Auch dieses Abwehrdenken, welches eine ernsthafte Programmdiskussion gleichsam zur Tabuzone erklärt, hat System - und ist Kehrseite der Medaille, dass Thoma im persönlichen Gespräch eine große Lust an kulturellen Themen und Hintergründen verspüren ließ. Auch solche strikten Trennungslinien zwischen privaten Vorlieben und geschäftlichen Zielen gehörten zu seinem Erfolgsrezept, zu seinen spezifischen Thoma-Kriterien.
Seine Attacken gegen das mediale Establishment und gegen das vermeintlich Verknöcherte (bei gleichzeitigem Einreden einer frischen Überlegenheit) zog zuhauf jene Talente an, die ohne Furcht genau jene Türöffnerprogramme machen wollten, welche auf der anfangs schmalen Geldbasis möglich waren. Ökonomie, Pokerlust und Clownerie: Dieser Dreierverbund in einer Gleichung mit vielen Unbekannten ging auf. Und mündete nicht nur in einen Propaganda-Erfolg, sondern auch in einen finanziellen.
Wer nun die Programmideen und -realisierungen Revue passieren lässt, wird sicher eine Tendenz des Sich-Abschleifens konstatieren. Und parallel feststellen, dass die Sensibilität der Gesellschaft gegenüber bestimmten Themen und Darstellungsformen enorm abgenommen hat. Lösten vor zwei Dezennien (also schon nach der 1998 zu Ende gegangenen Thoma-Ära) als Reality-Shows etikettierte Formate wie das sogenannte Dschungelcamp" oder "Big Brother" noch heftige Kontroversen aus, unterlagen sie später dem Status "versendet", ohne allgegenwärtigen Medienhype oder gar Verdammnis ("Menschenzoo"),
In den Pionierzeiten von RTLplus und dem als verlegerisches Verbundunternehmen (PKS) gestarteten Sat.1 war die Aufmerksamkeit natürlich enorm geschärft; gesucht wurden - am wenigsten vielleicht bei professionellen Kritikern - Belege für die Annahme/These, nun gewinnt die Igitt-Abteilung des Bahnhofskiosks. Speziell RTLplus erfüllte nach und nach die Negativ-Visionen und lieferte vom "Heißen Stuhl" über "Explosiv", den aus Italien importierten Hausfrauen-Strip "Tutti Frutti" bis zum Torten-Gesichtszierrat bei Hella von Sinnen und Hugo Egon Balder ("Alles Nichts Oder?!") Schrilles und Anzügliches im erwarteten oder befürchteten Spektrum.
Allerdings gab es auch andere Farbkleckse auf der Palette, war Seriöseres auf dem Schirm zu sehen, so mit Hans Meiser als Nachrichten-Ankermann ("7 vor 7") und als namensgebender Talkshow-Moderator. Peter Kloeppel erwarb sich ab 1992 als Chefmoderator von "RTL Aktuell" Meriten, die bis zur Grimme-Ehrung führten. Und bei den Großformaten zeigte RTL im Konkurrenzkampf mit Sat.1 den Öffentlich-Rechtlichen 1987 die Hacken: mit dem ersten Frühstücksfernsehen in Deutschland.
In der Fiktion hingegen: alles in allem mehr so lala. Aber auch einem Serien-Dauerläufer verhalf der Sender 1992 auf die Beine: der Seifenoper "Gute Zeiten, schlechte Zeiten". Und dann (mehr Instinkt, mehr Zufall?) konnte der Sender im Sport richtig Gas geben: Formel 1 mit dem heimischen Superstar Michael Schumacher, das war lange Zeit eine Erfolgskombination. Wie wiederum Geld das Geschäft bestimmt, zeigt das nur kurze Fußball-Zwischenhoch mit "Anpfiff".
Aber auch hier, wie beim Frühstücksfernsehen oder der Seifendramaturgie, bewiesen die Reaktionen von ARD und ZDF eines: Das System der kommunizierenden Röhren ist nicht auszuschalten. Was - unvergesslich - beim sowohl von den Privaten als auch den Öffentlich-Rechtlichen getragenen Deutschen Fernsehpreis zum Zornesausbruch (2008) des durch das Unterhaltungsniveau geschockten Literaturkritikers Marcel-Reich Ranicki führte: "Ich nehme diesen Preis nicht an."
Gute Zeiten, schlechte Zeiten: Das musste auch Helmut Thoma selbst erleben, bis zu dem für ihn bitteren Punkt, wo der Mohr, der sich so erfolgreich um jede herkömmliche Reputation herumgewitzelt hatte, schuldig wurde. Weil seine instinktive Macht- und Expansionspolitik mit einer systematisch anders gestrickten Konzernpolitik des Hauses Bertelsmann ins Gehege kam; weil seine an Mittelfristigkeit orientierten Ausbaupläne den Langfrist-Strategen querliefen; weil sein Herausstreichen der herkömmlichen Publikumsbedürfnisse sich mit den Technik- und Verbreitungsvisionen der Herausforderer stießen; weil seine Senderfamilien-Pläne als personelle Selbstsicherung und -überhöhung gedeutet wurden.
Nicht zuletzt auch deshalb, weil seine flotten und frechen Sprüche auf einmal in die falsche Richtung gingen: genau gezielt auf den eigenen konzernherrlichen Überbau. Alles zusammen: Mühe, Mühseligkeit und Müdigkeit auf der (Schief-)Ebene.
Ob sich Thoma Ende der 90er Jahre unverletzlich gefühlt hatte, weil man die Erfolgreichen nicht absägt, weil man den Züchter der Melkkuh und den Coach der Siegermannschaft nicht wegschickt? Ob er wissentlich und willentlich mit den Verbalattacken auf die mächtigen Bertelsmänner gespielt hat, weil er sich hochüberlegen fühlte und weil er zudem provozieren wollte, auch aus sachlichen Gründen? Typisch sein Spruch zur Digitaleinschätzung mit den Folgen einer hohen Individualisierung aufgrund der technischen Möglichkeiten: "Ein Joghurt wird auch nicht zum Elektrojoghurt, weil er auf einem Elektrokarren transportiert wird." Sprich: Inhalte sind weiterhin und immer das A und O, Systemarchitektur und Technik zählen viel weniger.
Am Ende der Aufbauphase und auf dem Gipfel der Quotenglückseligkeit war ihm klar: Das Glück der Hochebenen ist längst nicht so einfach zu halten wie zu haben - Endzeitstimmung mag den Zweifelnden, der so viel erreicht hatte, erfasst haben. Auch persönlich-emotionale Aufwallungen fehlten nicht, in denen sich alles verwirbelte, was im ureigenen System Thoma angelegt war. Zu dem auch gehörte, dass er seine Frau Danièle zur Kommunikationschefin beförderte.
Die zweite Heirat mit ihr, nach kurzer Trennungspause, lieferte natürlich Stoff für den Boulevard. Verquickung, Instinkte, Hochgefühl und Egozentrismus, ein hintergründiges Ehe-Buch der eigenen Frau ("Hochexplosiv. Mein Leben mit Mister RTL") - im professionellen Herbst des Patriarchen schien auch ein privater Frühling auf. Ein Hoch weit weg von Quoten und Quartalen, von Querelen und Konzernqualitäten. Allerdings: Jemand, der sein Trivialkonzept auf einmal in der "Bunten" höchstpersönlich zu Markte trägt, war in den Augen der Machthaber für den Medienmarkt nicht mehr tragbar. Und ein neuer König für RTL war mit Gerhard Zeiler (notabene: auch ein österreichisches Medien-Mischgewächs) schneller als erwartet zu haben.
Damit war der Zenit überschritten. Das Glück schlug danach nicht mehr wie gewohnt ein, eigene Medienpläne wie der für ein "Volks-TV" (ja, tatsächlich, so programmatisch wurde das Vorhaben ausgerufen) scheiterten. Was blieb, was kam? Kolumnen für die "Wirtschaftswoche", Sitze in Aufsichtsräten, Beraterfunktionen. Nichts, was ihn wirklich ausfüllen konnte. Die zahlreichen Preise, mit denen er geschmückt wurde (darunter Emmy, Goldene Kamera, Bambi, Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen), sie werden sein stolzes Herz gewärmt haben, allerdings ohne den Manager-Ehrgeiz zu befriedigen.
Aber es wird doch genügend Genugtuung geblieben sein. Denn dass er die Medienlandschaft mit seinem Temperament, seinem unnachahmlichen Bauchgefühl und seinem am Wiener Schmäh geschulten, perfekt pointierten Sentenzen-Witz gehörig in Bewegung versetzte, das wird niemand aus der Branche vergessen. So war er, so wurde er tatsächlich ein "mutiger Visionär", aber in ganz anderem Format, als es diese Zuschreibung durch Wolfram Weimer durchscheinen lässt.
Vielleicht hilft am Ende ein Bonmot von Heinrich Heine, um ihm die letzte und gebührende Ehre zu erweisen. Der Dichter witzelte: "Die Natur wollte wissen, wie sie aussieht, und sie erschuf Goethe." Das lädt zum Weiterdenken geradezu ein: "Das Fernsehen wollte wissen, wie es aussieht, und es erschuf - Helmut Thoma."
Copyright: Foto: privat
Darstellung: Autorenbox
Text: Uwe Kammann war von 1984 bis 2005 verantwortlicher Redakteur von epd medien und anschließend bis 2014 Direktor des Grimme-Instituts in Marl.
Zuerst veröffentlicht 30.05.2025 12:28 Letzte Änderung: 30.05.2025 15:55
Schlagworte: Medien, Helmut Thoma, RTL, Kammann, Bertelsmann, uka, NEU
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