Presseähnlichkeit: BDZV lehnt ARD-Angebot der Selbstverpflichtung ab - epd medien

18.10.2024 10:21

Kurz vor der Entscheidung der Ministerpräsidenten über einen Reformstaatsvertrag hat der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke eine öffentlich-rechtliche "Selbstverpflichtung" zu Online-Textangeboten ins Spiel gebracht - statt einer gesetzlichen Regelung. Die Verleger halten davon jedoch nichts.

Der BDZV-Vorsitzende Matthias Ditzen-Blanke beim Jahreskongress 2024

Stuttgart (epd). Der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke hat eine "Selbstverpflichtung" der öffentlich-rechtlichen Sender zu Textangeboten im Internet vorgeschlagen. Er sprach von einem "Game-Changer" in der Debatte über neue Regeln für Online-Angebote, wie die ARD-Pressestelle dem epd am Donnerstag bestätigte. Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) reagierte indes ablehnend. Es gehe um eine rechtssichere und deshalb gesetzliche Regelung, erklärte der Verband am Freitag auf epd-Anfrage. Mit unverbindlichen, freiwilligen Regelungen sei zuletzt "keine nachhaltige Verbesserung der Situation zu erreichen" gewesen.

Hintergrund des Vorstoßes von Gniffke sind die Ende Oktober anstehenden Beratungen der Ministerpräsidenten über den Entwurf des Reformstaatsvertrags. Mit dem Vertragswerk könnten auch die bisherigen Regelungen für Online-Angebote von ARD und ZDF in einigen Punkten geändert werden. Laut Entwurf soll eine neue "Aktualitätsklausel" aufgenommen werden, wonach zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Texten "auf aktuelle Sendungen nicht älter als 2 Wochen" Bezug genommen werden muss. Zudem wird die Vorschrift verschärft, dass auch bei sendungsbegleitenden Texten eine Einbindung von Bewegtbild oder Ton erfolgen soll.

"Wir reden über eine gemeinsame Selbstverpflichtungserklärung von ARD, ZDF und Deutschlandradio", sagte SWR-Intendant Gniffke. Dabei gehe es im Kern um die Frage, wie Online-Angebote gestaltet sein müssten, um nicht "presseähnlich" zu sein. Dies verlangt auch schon der aktuelle Medienstaatsvertrag.

Verlinkung auf Zeitungsangebote möglich

Gniffke sieht eine Selbstverpflichtung als Alternative zu einer gesetzlichen Neuregelung. Rundfunkhäuser könnten etwa in ihren Beiträgen standardmäßig auf Angebote von Presseverlagen verlinken, wenn sie Zeitungsthemen aufgreifen. Auch könnten Fristen, in denen Textangebote unter Bezug auf eine ausgestrahlte Sendung veröffentlicht werden dürfen, deutlich verkürzt werden. Daneben könne die ARD sich verpflichten zu sagen: "Die Bezugsgröße für die Überprüfung, ob etwas presseähnlich ist, ist nicht mehr das Gesamtangebot, sondern jedes Teilangebot, also jede einzelne App", so Gniffke.

Das ZDF hatte in einer Stellungnahme zu dem Reformentwurf bereits ähnliche Vorschläge anklingen lassen. Innerhalb der ARD wird laut Gniffke an einer solchen Selbstverpflichtung intensiv gearbeitet. Diese müsse jetzt innerhalb weniger Tage fertiggestellt werden, so der ARD-Vorsitzende: "Die Selbstverpflichtung wäre für den Fall, dass es keine gesetzliche Neuregelung gibt", sagte er. Andernfalls könne er sie sich nicht vorstellen.

Verständnis für Sorgen der Verlage

Gniffke betonte, er habe viel Verständnis für die Sorgen der Zeitungsverlage. Diese seien bedroht von großen internationalen Plattformbetreibern, die deren Werbeerlöse einfach abschöpften. "Was ich allerdings auch anmerke ist, dass das, was im Entwurf des Reformstaatsvertrags steht, nach allem, was wir wissen, den Zeitungsverlagen nicht viel nutzen wird", erklärte der Intendant. Denn die Menschen, die nicht mehr kostenfreie öffentlich-rechtliche Inhalte nutzen könnten, würden eher zu den großen Tech-Konzernen abwandern und nicht Regionalzeitungen abonnieren.

In einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) forderte der BDZV-Vorsitzende Matthias Ditzen-Blanke die ARD auf, sich an bestehende Gesetze und Regeln zu halten. Eigenverantwortung gelinge bereits heute nicht, sagte er zum Vorschlag der Selbstverpflichtung. Die geltenden Regeln, die Presse vor der Marktstörung durch öffentlich-rechtliche Textangebote zu schützen, scheiterten an der Interpretation und Auslegung der Anstalten. Dies habe auch Gniffke als ARD-Vorsitzender bisher nicht zu ändern vermocht. "Darum muss der Gesetzgeber nun klarer werden und eine Festschreibung machen, und das ist der eigentliche 'Game Changer'", erklärte der Verleger der "Nordsee-Zeitung".

Für wie naiv hält Herr Gniffke eigentlich die Verleger - und auch die Politiker, frage ich mich.

Ditzen-Blanke und sein Ko-Vorsitzender Stefan Hilscher, früherer Geschäftsführer des Süddeutschen Verlags, zeigten sich zudem erstaunt über den Zeitpunkt des Vorschlags: "Wir haben Jahre mit Schlichtungsversuchen hinter uns", sagte Ditzen-Blanke. "In all dieser Zeit hätte genau diese Selbstverpflichtung passieren können, und sie ist halt nicht passiert." Hilscher verwies darauf, dass sich "hunderte Menschen aus Politik und Sendern" über Monate hinweg mit dem Gesetzentwurf beschäftigten. "Und in wirklich allerletzter Minute wird diese Selbstverpflichtung aus der Tasche gezogen", so Hilscher: "Für wie naiv hält Herr Gniffke eigentlich die Verleger - und auch die Politiker, frage ich mich."

Das Argument, die Presse werde nicht von den Öffentlich-Rechtlichen bedrängt, sondern von den Digitalkonzernen, ließen die beiden BDZV-Vorsitzenden nicht gelten. Dass öffentlich-rechtliche Textportale Aufmerksamkeit und Mittel für andere Medien binden würden, sei mehrfach mit Untersuchungen belegt, sagte Hilscher. Vor allem für die regionale Presse wirke sich die öffentlich-rechtliche Textproduktion negativ aus.

Zusätzliche Erlöse

Ditzen-Blanke erklärte, wenn angeblich "nur" drei Prozent der Nutzer zu Presseangeboten wechseln würden, wenn die ARD-Texte wegfielen, so würde dies doch für die Zeitungsbranche zusätzliche Erlöse in dreistelliger Millionenhöhe bringen. "Aus unserer Sicht ist das sehr viel Geld, für die ARD vielleicht nicht", sagte er. "Wenn wir von fünf Milliarden Euro Vertriebsumsatz der Zeitungen im Jahr ausgehen, sind drei Prozent Zuwachs 150 Millionen." Für die Presseverlage sei das "keine unwesentliche Summe." Die Drei-Prozent-Annahme geht aus einer im Oktober im Auftrag der ARD veröffentlichten Goldmedia-Umfrage über die Online-Nutzung von Informationsangeboten hervor.

Im Dauerstreit über das Thema Presseähnlichkeit hat der BDZV inzwischen auch die EU-Kommission eingeschaltet. Dazu reichten die Verleger am 3. Mai eine formelle Beihilfebeschwerde ein. Außerdem gibt es immer wieder Gerichtsverfahren in Deutschland, aktuell etwa zur "Newszone"-App des SWR. In diesem Verfahren, das von 16 südwestdeutschen Verlagen angestrengt wurde, verhandelt am 21. Oktober erneut das Landgericht Stuttgart.

rks



Zuerst veröffentlicht 18.10.2024 12:21

Schlagworte: Medien, Rundfunk, Presse, Internet, Presseähnlichkeit, BDZV, Gniffke, ARD, Medienstaatsvertrag, rks

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