Ein Fall für die Aufsicht - epd medien

24.09.2025 09:13

Um die drei Pilotfolgen des Formats "Klar" von NDR und BR, die von der Journalistin Julia Ruhs moderiert wurden, gab es in den vergangenen Monaten viele Debatten. Am 17. September teilte der NDR mit, dass das Format fortgesetzt werde, Ruhs aber künftig nur die vom BR produzierten Ausgaben präsentiert. Das wurde unter anderem von den Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU) und Markus Söder (CSU) kritisiert. Die Ausgaben des NDR werden in Zukunft von der ehemaligen "Bild"-Chefredakteurin Tanit Koch moderiert. René Martens beleuchtet die fragwürdige Einmischung der Politik in Personalentscheidungen bei der ARD, die Rolle von Julia Ruhs und die schwierige Kommunikation des NDR zu der Sendung.

Die Debatte um Julia Ruhs und "Klar" in der ARD

Die Journalistin und Autorin Julia Ruhs mit Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) bei der Diskussionsveranstaltung "Debatte erwünscht? Meinungsvielfalt und Medienkultur - Ein Abend mit Julia Ruhs" in Kiel

epd In den vergangenen Tagen konnte man zeitweilig den Eindruck gewinnen, die 31-jährige freie Journalistin Julia Ruhs wäre die derzeit wichtigste Journalistin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die öffentliche Aufregung darüber, dass Ruhs künftig nicht mehr alle Ausgaben des in diesem Jahr erprobten gemeinsamen Formats von NDR und BR "Klar" moderieren wird, war - vorsichtig formuliert - maßlos.

Am 16. September hatte der Fernsehsender Welt die geplanten Veränderungen bei der "Klar"-Moderation in der Sendung "Meine Welt - Meine Meinung" zum Aufmacherthema gemacht ("Aufreger des Tages"). Für die Macher der Sendung gab es an jenem Tag also offenbar kein wichtigeres Thema als eine bevorstehende Personalentscheidung bei einem Reportagemagazin, das bisher in drei Folgen im NDR Fernsehen, in mehreren Wiederholungen bei Tagesschau24 lief und natürlich in der ARD-Mediathek steht.

Die Relationen sind verrutscht

Tags darauf machte der NDR die Planungen offiziell: "Klar" wird ab 2026 zwar weiterhin gemeinsam mit dem BR produziert, für die Einzelfolgen ist aber künftig im Wechsel jeweils ein Sender allein zuständig. Die Sendungen für den BR moderiert Ruhs, die für den NDR solle eine andere Person moderieren, teilte der NDR am 17. September mit. Nun griff eine kaum zu überblickende Zahl von Politikern die Entscheidung des NDR an. Im Bundestag sagte der AfD-Abgeordnete Götz Frömming: "Kultur und Medien müssen frei sein. Wie aber können sie frei sein, wenn (...) Konservative wie Julia Ruhs aus dem NDR gemobbt werden?" Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte, die Entscheidung des NDR sei "kein gutes Signal für die Meinungsfreiheit" im Sender. Und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), sagte am Abend dieses Tages, die Entscheidung in Sachen Ruhs sei "ein extrem schlechtes Signal".

Die Redaktion von "ARD-aktuell" hielt die Reaktionen aus der Politik auf diese Personalentscheidung für derart relevant, dass sie sie am 18. September in einer Meldung in der Ausgabe der "Tagesschau" um 20 Uhr zusammenfasste. Das Thema lief in der Sendung noch vor einem Beitrag über Menschen, die zumindest kurzfristig aus Deutschland nach Syrien zurückkehren. Nur eines von vielen Beispielen dafür, wie rund um das Thema Ruhs die Relationen verrutschten.

Nicht Aufgabe der Politik, die Besetzungen öffentlich-rechtlicher Formate zu kommentieren.

Am heftigsten reagierte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann am 18. September auf die Entscheidung des NDR: "Wir frieren die Gebühren auf dem jetzigen Niveau bis auf Weiteres ein, damit endlich Druck entsteht, damit Reformen passieren", sagte er dem Sender Welt. Auf dem Boden der Verfassung bewegt sich Linnemann damit nicht. In der 5. Rundfunkentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom März 1987 heißt es: "In keinem Fall darf die Finanzierung beschränkt werden, um Einfluß auf die Art der Programmgestaltung oder gar auf den Inhalt einzelner Programme auszuüben und damit Gebote oder Verbote der Rundfunkfreiheit zu unterlaufen." Warum Linnemann überhaupt androhte, den Rundfunkbeitrag "einzufrieren", blieb rätselhaft, schließlich haben die Ministerpräsidenten der Länder dies bereits im Dezember 2024 beschlossen.

Vor allem auf Linnemann bezog sich am 19. September der Redaktionsausschuss des NDR, als er in einer Stellungnahme kritisierte, es sei "nicht die Aufgabe der Politik, die Besetzungen öffentlich-rechtlicher Formate zu kommentieren oder Sanktionen anzudrohen". Man wünsche sich "von der Leitung des Hauses ein klares Signal", so die Mitarbeitervertretung.

Journalismus ist keine Volksabstimmung.

Von der Wehrhaftigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks war in der Ruhs-Debatte jedoch nichts zu spüren. Statements von hochrangigen Funktionsträgern anderer Sender zu den Grenzüberschreitungen von Linnemann und anderen waren nicht zu vernehmen. Stattdessen sah sich WDR-Chefredakteur Stefan Brandenburg durch die Ruhs-Debatte dazu bemüßigt, im Netzwerk Linkedin Auskunft über sein journalistisches Selbstverständnis zu geben. In einem Post, den "Bild" freudig aufgriff, schrieb er: "Es geht darum, (…) zu sagen, was ist und nicht, was von uns gewünscht ist. Und ja, es geht auch darum, zu verstehen, dass die Mehrheiten in diesem Land derzeit eher konservativ sind."

Abgesehen davon, dass Brandenburg hier die Verschwörungserzählung reproduziert, Journalisten würden Entwicklungen oder Vorgänge verschweigen, die von ihnen nicht "gewünscht" sind: Die Aufgabe der Öffentlich-Rechtlichen ist es nicht, die "Wünsche" wie auch immer gearteter Mehrheiten eins zu eins umzusetzen. Der Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsksy hat zu diesem Aspekt kürzlich in der von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Zeitschrift "Drehscheibe" betont. Es sei wichtig, die Menschen mit ihren Anliegen ernst zu nehmen. Aber: "Journalismus ist keine Volksabstimmung."

Versuch politischer Einflussnahme

Auf Widerstand stießen die Einmischungen der Politiker dagegen bei Christoph Schmitz-Dethlefsen, für Medien zuständiges Mitglied im Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di. Er kritisierte mit Blick auf Günther und Söder: "Hier missverstehen zwei Landesfürsten ihre Rolle, wenn sie bestimmtes Personal bei den Sendern bestellen." Und Linnemanns "Forderung nach finanziellen Konsequenzen für den NDR" sei "als Versuch politischer Einflussnahme vollkommen inakzeptabel".

Was der NDR bei "Klar" plant, ist eigentlich unspektakulär. Es ist gang und gäbe, dass bei einer Sendung im Übergang vom Test- in den Regelbetrieb Veränderungen vorgenommen werden. Bei Magazinsendungen, zu denen mehrere Landesrundfunkanstalten der ARD beitragen, ist es zudem üblich, dass, wie künftig bei "Klar", die Zuständigkeit im Wechsel bei den einzelnen Sendern liegt. Das gilt für die Auslandsmagazine "Weltspiegel" und" Europamagazin" und für die Wirtschaftsendung "Plusminus" ebenso wie für das Politikmagazin "Report", das mal aus Mainz und mal aus München gesendet wird. Ebenso normal ist es, dass Magazinsendungen von mehreren Personen moderiert werden.

Handwerkliche Schwächen

Einen Anteil an der Negativ-Berichterstattung über den NDR hat sich der Sender aber auch selbst zuzuschreiben, da er sich bei der Veröffentlichung seiner Pläne für eine Salamitaktik entschieden hat. Die Information, dass Ruhs im kommenden Jahr keineswegs weniger "Klar"-Folgen moderieren wird, sondern weiterhin drei (weil BR und NDR insgesamt sechs planen), hielt man zunächst zurück. Ebenso die Mitteilung, dass statt Ruhs beim NDR in Zukunft die frühere "Bild"- und RTL-Chefredakteurin Tanit Koch die Sendung präsentieren wird.

"Am Ende geht es (…) vor allem um journalistisches Handwerk, und Tanit Koch ist eine sehr erfahrene Journalistin", begründete die stellvertretende NDR-Programmdirektorin Juliane von Schwerin gegenüber der "Zeit" die Entscheidung für Koch. Hier macht sich der NDR einen schlanken Fuß: Trotz Ruhs' handwerklicher Schwächen - auf die von Schwerin indirekt anspielt - hat der Sender die "Klar"-Ausgaben redaktionell abgenommen. Diese Schwächen waren unter anderem in der Folge "Der Frust der Bauern" in einem Interview mit einem Landwirt, der AfD wählt, deutlich zutage getreten.

Online-Befragung zu "Klar"

Dass man die Sendung überhaupt weiterführt, begründet der NDR unter anderem mit positiven Ergebnissen aus der Medienforschung: "Unabhängig von Geschlecht, Alter, Bildung oder regionalen Unterschieden zeigt sich ein durchweg positives Bild." Das Format bediene "den Wunsch nach Meinungsvielfalt sowie klarer Haltung". Auf Nachfrage des epd sagte eine Sendersprecherin, für die Untersuchung seinen "insgesamt 2.000 Personen aus ganz Deutschland befragt" worden - jeweils 1.000 zu den Folgen "Migration: Was falsch läuft" und "Der Frust der Bauern". Es handle sich um eine "online-bevölkerungsrepräsentative Stichprobe".

Die Folge "Migration: Was falsch läuft" hatten 250 Mitarbeiter des NDR im April dieses Jahres in einem internen Brief kritisiert. Diese Ausgabe sei nicht dem "öffentlich-rechtlichen Auftrag gemäß NDR-Staatsvertrag" nachgekommen, schrieben sie laut Medienberichten.

Als die Entwicklung von "Klar" 2023 begann, schwebte NDR-Programmdirektor Frank Beckmann nach epd-Informationen ursprünglich ein "multiperspektivisches" Format vor. Nach seinen Vorstellungen sollte das Konzept der in jenem Jahr vom NDR und WDR erstmals fürs Erste produzierten Debattensendung "Die 100 - Was Deutschland bewegt" abgewandelt werden. Bei "Die 100" stimmen 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer über eine von der Redaktion festgelegte Frage ab ("Mehr Verbote wegen Klimawandel?", "Reichen vier Tage Arbeit die Woche?"). Der Untertitel "Was Deutschland bewegt" wurde dann zwar für "Klar" übernommen - nicht gerade ein Ausdruck überbordender Kreativität beim NDR -, aber das Konzept der Sendung entwickelte sich eher weg von Beckmanns "multiperspektivischer" Ausgangsidee.

Mein Rauswurf war vor allem eines: politisch.

In einem am 19. September veröffentlichten Interview mit NDR Info zu den Veränderungen bei der Moderation schien Beckmann auf die anfänglichen Überlegungen zu rekurrieren: Er sagte, nach der Testphase wolle der Sender bei "Klar" "das Thema Meinungsvielfalt eher verbreitern". Am Nachmittag desselben Tages präsentierte der Sender dann aber Tanit Koch als zweite Moderatorin. Das "Klar"-Moderatorinnen-Duo besteht 2026 somit aus einer Frau, die monatlich zwei bis drei Kolumnen für "Focus" verfasst (Ruhs), und einer Kollegin, die für "Focus" monatlich rund zehn Ausgaben des morgendlichen Newsletters "Focus Briefing" schreibt (Koch). Die von Beckmann angesprochene "Verbreiterung" der Vielfalt lässt sich da auf den ersten Blick nicht erkennen.

Dass der NDR für seine "Klar"-Ausgaben eine "Focus"-Autorin durch eine andere "Focus"-Autorin ersetzt, hielt Julia Ruhs aber nicht davon ab, am Tag nach der Bekanntgabe der Personalie Koch in ihrer aktuellen "Focus"-Kolumne zu schreiben: "Mein Rauswurf war vor allem eines: politisch." Dem Magazin "Cicero" sagte sie: "Ich glaube, dass SPD und Grüne beim NDR sehr genau hingeschaut haben. Ihnen gefiel nicht, wie wir das Format umgesetzt haben. Also wurde die Ansage gemacht: Meinungsvielfalt ist schön und gut - aber wir bestimmen, wo sie aufhört." Dass SPD und Grüne über die Grenzen der "Meinungsvielfalt" beim NDR bestimmen, ist - freundlich formuliert - eine Verschwörungserzählung.

Eine Moderatorin, die das System beschädigt

In einem Interview mit dem Podcast "Table Today" sagte Ruhs zudem, "offenbar" halte der NDR "weniger Meinungsvielfalt aus" als der BR. "Für die" (womit nur der NDR gemeint sein kann) fange "wahrscheinlich schon die Rechtsradikalität an, wenn man sagt, man findet Positionen von Friedrich Merz zum Beispiel gut". Es könne "nicht sein, dass man Meinungen kriminalisiert", die "eigentlich noch der Mitte" zuzurechnen seien, "oder zumindest Mitte rechts sind". Die Unterstellung, es gebe beim NDR Mitarbeiter, die Positionen der "Mitte" für strafrechtlich relevant halten, ist aberwitzig.

Anton Rainer fragte in einem "Spiegel"-Beitrag zu Recht: "Wann gab es das zuletzt, dass eine ARD-Journalistin so gegen eine ARD-Anstalt austeilte? Dass sie weiterhin in der ARD senden und sich trotzdem als Opfer inszenieren darf? Dass eine Moderatorin ein System so (...) beschädigt?" Ruhs scheint derzeit eine Dreifachstrategie zu fahren. Mit Unterstützung der ARD stärkt sie ihren Status und steigert Reichweite wie Popularität - zugleich inszeniert sie sich als Opfer genau jener Programmmanager, die zu ihrem Aufstieg beigetragen haben. Diese Inszenierungen zielen nicht zuletzt darauf ab, mindestens einen Sender, den NDR, nachhaltig zu schädigen. Die ARD muss sich langsam fragen, ob sie sich mit Ruhs nicht ein trojanisches Pferd ins Haus geholt hat.

Grundsätzlicher Gesprächsstoff

Bisher hat der NDR zu Ruhs' Verschwörungserzählungen und Verleumdungen keine Stellung genommen. Ebenso wenig wie zu den übergriffigen Äußerungen von Politikern. Das Verhalten des NDR scheint vor allem von der Angst getrieben zu sein, negative Reaktionen bei der CDU, der AfD und deren Multiplikatoren auszulösen.

Verbesserungswürdig ist aber nicht nur die Kommunikation des Senders nach außen: Bei der Sitzung des Programmausschusses des Rundfunkrats am Nachmittag des 16. September bezeichnete Programmdirektor Beckmann nach epd-Informationen den Plan, "Klar" weiterzuführen und für die NDR-Sendungen eine neue Moderatorin einzusetzen, als vorläufig. Der Sender wolle der Entscheidung des Rundfunkrats über eine Programmbeschwerde gegen die erste Ausgabe von "Klar" nicht vorgreifen. Doch schon am Morgen nach dieser Sitzung bestätigte der NDR den Plan offiziell.

Bei besagter Sitzung hat der Programmausschuss dem Rundfunkrat empfohlen, die Beschwerde bei seiner nächsten Sitzung am 26. September zurückzuweisen. Dass das Gremium der Empfehlung nicht folgt, ist unwahrscheinlich. An grundsätzlichem Gesprächsstoff in Sachen "Klar" dürfte es den Kontrolleuren nicht mangeln. Angesichts der irrlichternden Performance der Geschäftsleitung des Senders wäre es umso wichtiger, dass das Aufsichtsgremium deutliche Worte findet.



Zuerst veröffentlicht 24.09.2025 11:13

René Martens

Schlagworte: Medien, Rundfunk, ARD, NDR, BR, Medienpolitik, Personalien, Ruhs, Martens

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