30.06.2025 11:12
epd In der Wirtschaft ist es manchmal wie im Leben: Man bewegt sich im Kreis und nach einer vollbrachten Runde kommt das Gefühl auf, jetzt endlich gehe es richtig los. So in etwa ist das Verhältnis des Traditionskonzerns Bertelsmann zum Geschäft des Bezahlfernsehens zu beschreiben, das einmal "Pay-TV" hieß und nunmehr, seit einigen Jahren, digital-windschnittnig als "Streaming" firmiert.
Manch einer hat schon vergessen, dass es maßgeblich die Gütersloher waren, die 1991 den in Hamburg angesiedelten Pay-TV-Sender Premiere gegründet hatten: mit den französischen Mitgesellschaftern von Canal Plus, die ebenfalls 37,5 Prozent der Anteile erhielten, sowie als Juniorpartner dem ewigen Freund-Feind Leo Kirch, dem damaligen Münchener Medienrechtekrösus, der sich 2002 mit allzu gigantischen Fischzügen in die Pleite manövrieren sollte.
Bertelsmann sicherte sich damals bei Premiere in Erwartung schönster Zukunftsgeschäfte die Geschäftsführung - bis unter dem aufs E-Commerce versessenen Konzern-Vorstandsvorsitzenden Thomas Middelhoff Premiere im Jahr 1999 auf einmal als "kleiner Fliegendreck" galt. Man stieg aus dem teuren Abonnenten-Fernsehen aus.
Vom "Fliegendreck" zum neuen Höhenflug: Es ist die Premiere-Nachfolgeorganisation Sky Deutschland, deren Kauf das Großunternehmen Bertelsman ein Vierteljahrhundert später zur Überraschung vieler ankündigt - eine spektakuläre Rückkehr, ganz nach dem Motto "Zurück in die Zukunft". Wenn die Kartellbehörden keine Einwände haben, soll Sky Deutschland, also Ex-Premiere, von Mitte 2026 an die bei weitem wichtigste Konzern-Division von Bertelsmann schmücken, die börsennotierte RTL Group mit RTL Deutschland in Köln.
Ein Meilenstein - für Bertelsmann genauso wie für die europäische Medienindustrie
Der Deal ist zum großen Feldherren-Spektakel geworden zur Sicherung der Medienpositionierung von Bertelsmann im Kampf um TV-Abonnenten. Gemeinsam mit Sky Deutschland bringen es die Kaufwilligen auf 11,5 Millionen Kunden, was plakativ daherkommt, im Vergleich jedoch immer noch deutlich weniger ist als die Werte der überlegenen Marktführer Netflix (18 Millionen) und Amazon Prime Video (15 Millionen) aus den USA.
Thomas Rabe (59), der noch in Doppelfunktion im Auftrag der Eigentümerfamilie Mohn als CEO des Gütersloher Mutterkonzerns und der RTL Group agiert, spricht von einem "Meilenstein - für Bertelsmann genauso wie für die europäische Medienindustrie". Doch ist der Deal tatsächlich eine Schlüsselgröße der Wachstumspläne, die man mit dem bei Großstrategen beliebten Begriff "Boost" verziert hat? Bringt der Kauf Bertelsmann und den eigenen Streamingdienst RTL+ wirklich, wie von ihm geschildert, "auf Augenhöhe" mit den US-Plattformen Netflix und Amazon Prime Video?
Was hier deutlich wird, ist die Sehnsucht nach früherer Größe. Immerhin war Bertelsmann einmal, Ende der 1980er Jahre, nach einigen spektakulären Akquisitionen im amerikanischen Buch- und Musikmarkt, für einige Zeit der weltgrößte Medienkonzern. Doch im Laufe der Jahre, erst recht mit dem Siegeszug des Internets, war Bertelsmann in der Umsatz-Hitparade deutlich nach unten durchgereicht worden. Das Plattform-Business reüssierte ohne die Gütersloher.
Für das Jahr 2024 meldete der Konzern zuetzt 19 Milliarden Euro Erlöse, allein Netflix kam auf 39 Milliarden Dollar. Und das Super-Konglomerat Amazon (Gesamtumsatz 638 Milliarden Dollar), rangiert mit dem globalen Kundenbindungsprogramm "Prime" und dem inkludierten Streaming-Service ohnehin in einer anderen Dimension. Fernsehen (mit dem James-Bond-Studio MGM) ist hier sozusagen das Opium fürs Volk beim Versuch, ein Monopoldienstleister für die schöne neue Welt zu sein.
Man kann den Eintritt von RTL bei Sky Deutschland auch mit einigem Fug und Recht als erzwungenes Geschäft in wachsender Gefahr sehen - und die Beteiligten müssen nunmehr beweisen, dass die alte Lästerei nicht stimmt, wonach eine Art "Lazarett" entsteht, wenn sich zwei Verletzte zusammentun.
Zur Erinnerung: Zuletzt stagnierte der Umsatz der RTL Group bei 6,25 Milliarden Euro. Das wachsende Streaming-Geschäft (403 Millionen Euro) konnte die Einbußen im schwindenden Werbegeschäft nicht übertreffen. Der operative Gewinn der RTL Group ging leicht zurück. Und bei Sky Deutschland hat der Eigentümer aus den USA, die im TV-Kabelgeschäft großgewordene Comcast-Gruppe der Familie Roberts, schon lange keine genauen Geschäftszahlen mehr vorgelegt. Die Zahl der Abonnenten verharrt seit Jahren auf wundersame Weise bei fünf Millionen, trotz des 2022 gegründeten Streamingdiensts WOW.
Ökonomisch ist hier hier gar nichts "Wow". Serien-Eigenproduktionen wie "Das Boot" oder "Babylon Berlin" wurden eingestellt, Sparaktion auf Sparaktion rollte an. So wurde die Verlustzahl nach unten gedrückt, die Braut sollte schöner werden. Seit langem hat Comcast einen Käufer für die schwierige Tochter in Deutschland gesucht, deren Umsatz bei zwei Milliarden Euro liegen soll.
Noch vor einigen Jahren wäre der RTL-Sky-Walk ein Milliarden-Deal gewesen. Nun aber zeigt schon die verkündete Kaufsumme von nur 150 Millionen Euro, dass sich die Verhältnisse grundlegend geändert haben. Comcast stellte die Firma schuldenfrei. Einst hatte der Konzern dem Vorbesitzer Rupert Murdoch nach einem Wettbieten mit Disney immerhin fast 40 Milliarden Euro für das europäische Netzwerk an Sky-Sendern gezahlt, zu dem auch ein starkes Abonnenten-Geschäft in Großbritannien und Italien gehört, das (vorerst) bei Comcast bleibt. Immerhin kann der US-Familienkonzern noch bis zu 377 Millionen Euro kassieren, falls sich der Aktienkurs von RTL Group künftig in stratosphärische Höhen katapultieren sollte. Eine Art Besserungsschein, wenn sich wirklich alles bessern sollte.
Es sieht ganz so aus, als wolle Bertelsmann-Chef Rabe, der gerne "nationale Medien-Champions" preist, im Kampf mit den US-Internet-Giganten wenigstens den deutschen Heimatmarkt sichern. Man schließt die Reihen. Die Konkurrenz ist zu mächtig geworden, weitere Bedrohungen im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz (KI) drohen. Algorithmen sind das Werkzeug von Google, Meta und Amazon, die mit ihren Datenschätzen weltweit ihre Geschäftsmodelle ausrollen und dabei weiter Werbegelder von einstigen Platzhirschen wie RTL abziehen. Dass Bertelsmann unter dem legendären Reinhard Mohn selbst einmal mit seinen Buchklubs ein früher Globalisierer war, ist nur noch eine Notiz für Nostalgiker.
Es wird auf die Management-Güte bei Bertelsmann ankommen, ob der Plan mit Sky Deutschland tatsächlich funktioniert. Charts und Investitionsanträge sind das eine, die Reaktion von Menschen und Märkten das andere. Theoretisch ist alles klar: So ergänzt sich das ältere, männliche Publikum von Sky Deutschland trefflich mit den jüngeren, weiblicheren Zielgruppen von RTL und RTL +, was die Werbewirtschaft locken könnte. Und es stehen bedeutende Investitionen in Programme von jährlich 2,5 Milliarden sowie mögliche Synergien von 250 Millionen Euro in den nächsten drei Jahren zu Buche. Produktionen, Redaktionen und Verwaltungseinheiten könnten besser verzahnt, Doppelkapazitäten reduziert werden - üblicherweise mit Stellenabbau.
Gerade im Sport sind die Fantasien groß: Sky Deutschland und RTL zeigen beide die Autorennen der Formel 1 genauso wie Fußball oder American Football. Auch vom Knowhow der Sky-Macher könnte RTL + profitieren, das stark auf Reality-TV-Angebote wie "Are you the One", "Temptation Island", "Der Bachelor" oder "Das Sommerhaus der Normalos" setzt. Das Motto der Show "Hot oder Schrott" steht hier fürs ganze Programm.
Alles andere als "hot" war bei RTL zuletzt die heftig beworbene Show "Du gewinnst hier nicht die Million" mit Branchenveteran Stefan Raab, die für viele Abos sorgen sollte. Sie wurde im Juni fürs erste aus dem Verkehr genommen. Auch "Das Supertalent" scheiterte: Spektakuläre Talente sind nun mal laufend auf Tiktok und Googles Youtube zu sehen.
In dieser Lage könnte Sky Deutschland ein Aphrodisiakum sein. Läuft alles gut, erfüllt sich die Hoffnung auf eine starke Wertschöpfungskette, die Bertelsmann schon 1991 zur Gründung von Premiere getrieben hatte. Dabei helfen sich Abonnenten-TV und Free TV in einer mit vielen Akquisitionen ausgebauten Senderfamilie, unterstützt von vielen Produktionsfirmen der Obergesellschaft Fremantle. Das vorgebliche Zaubermittel heißt Cross-Promotion und Cross-Selling. Schon spricht Stephan Schmitter, CEO von RTL Deutschland, davon, nach vollzogener Fusion auch Live-Spiele der Bundesliga im frei empfangbaren RTL als Appetitanreger fürs zahlungspflichtige RTL+ zu zeigen: "Definitiv denkbar."
Manches aber muss bei aller Euphorie skeptisch stimmen. So haben sich teuer eingekaufte Rechte für die Fußball-Bundesliga - schon immer der Stützpfeiler von Premiere und Sky Deutschland - noch nie als jene Marketing- und Gewinnrakete erwiesen, für die Fernsehmanager sie gehalten haben. Die Wertschöpfung im Fußball verbleibt vor allem bei sündteuren Spieler-Stars und ihren Beratern - ein "Piranha"-Becken. Ohne Fußball wiederum ist im Abo-Fernsehen alles nichts. Diese Erfahrung machte der zwischenzeitliche Premiere-Chef Georg Kofler, der tatsächlich einmal wegen zu hoher Preise auf die Darbietungen der Kicker verzichtet hatte.
Kein Wunder, dass sich Sky Deutschland - im Vorgriff auf den angestrebten Firmenverkauf - im Dezember 2024 wieder für jährlich mehrere hundert Millionen Euro die Rechte an den Live-Spielen der Ersten Bundesliga am Freitag und Samstag sowie an der Zweiten Bundesliga gesichert hat - bis einschließlich der Saison 2028/2029. Die beliebte Samstagskonferenz von den Spielen musste man hingegen der in 200 Märkten aktiven Plattform Dazn des amerikanisch-britischen Oligarchen Len Blavatnik abtreten. Seit Gründung hat er mehr als sechs Milliarden Euro in sein "Netflix des Sports" gesteckt. Die Verluste sind so hoch (2023: 1,44 Milliarden Euro), dass - wie bei Sky Deutschland - die Preise für Abonnenten deutlich stiegen, andererseits auch Kapitalmaßnahmen nötig waren.
Bei Dazn helfen "Petro-Dollars". Eine Tochter des saudi-arabischen Staatsfonds PIF kaufte vor einigen Monaten für eine Milliarde Dollar zehn Prozent der Sport-Plattform. In Saudi-Arabien läuft 2034 die Fußball-Weltmeisterschaft.
Amazon, Netflix, Blavatnik, Saudi-Arabien - das sind die Größen, mit denen es Bertelsmann und RTL im Streaming-Geschäft zu tun haben. Weltumspannende, aggressive Imperien, für die eine Milliarde die normale Recheneinheit ist. Mit einer Marktkapitalisierung von umgerechnet 482 Milliarden Euro ist Netflix an der Börse 85 Mal so viel wert wie die RTL Group. Augenhöhe? Man wird in Gütersloh die Schatulle offenhalten müssen.
Die unterschiedlichen Kulturen von Sky Deutschland und RTL müssten bald zusammenschmelzen, eine Aufgabe, mit der Bertelsmann bei der Integration von Gruner + Jahr jüngst gescheitert ist. Vom einstigen Renommier-Verlag ist nichts mehr übrig, der Plan, mit einer Super-App für alle Medien die digitale Welt aufzumischen, wurde rasch beerdigt. Diesmal muss es besser laufen.
Einen Erfolg kann Bertelsmann-Chef Rabe schon für sich reklamieren: Der heimische Konkurrent ProSiebenSat.1 Media SE, der sich mit Joyn einen eigenen Streamingdienst leistet, ist so gut wie abgemeldet. Rabes immer wieder vorgebrachte Gedankenskizze, RTL solle mit ProSiebenSat.1 fusionieren, erscheint im Nachhinein wie eine Finte. Die inzwischen von der Mailänder Berlusconi-Familie gesteuerte ProSieben-Gruppe soll Teil eines paneuropäischen Fernsehgeschäfts werden. Vielleicht aber gibt es auch hier bald neue Deals im Kampf der Milliardäre um Streaming-Märkte.
In Deutschland hilft Bertelsmann eine "Erfolgspartnerschaft" mit der Deutschen Telekom ("Magenta TV"), die allem Anschein nach intern selbst einmal den Kauf von Sky Deutschland erwogen hatte. Beide Partner haben erst im Januar - bis mindestens 2030 - ihre Kooperation wieder aufgefrischt. Der Bonner Konzern bietet in einem "Premium-Paket" den Magenta-TV-Kunden vollen Zugriff auf alle Angebote von RTL+. Wenn dazu bald Sky Deutschland gehören sollte, ist vieles vereint, was schon einmal - in den Jahren 1997 und 1998 - Basis für die Eroberung des digitalen Fernsehens sein sollte. Damals scheiterten gemeinsame Pläne von Bertelsmann, Telekom und der Kirch-Gruppe an den Wettbewerbswächtern der Europäischen Kommission.
In einem radikal veränderten Medienmarkt mit "Hyperscalern" aus den USA als bestimmende Kräfte, dürften sich - Rationalität unterstellt - hingegen wenig kartellrechtliche Einwände ergeben. Denn tatsächlich liefert Geopolitik den Subtext für die jüngste Akquisition von Bertelsmann. Es geht ganz offen um Standortpolitik. Mit seiner 190-jährigen Geschichte sehe sich Bertelsmann in der Verantwortung für den Wirtschaftsstandort Deutschland, "dem mit dem Erwerb von Sky wieder größten Markt von Bertelsmann", erklärt Vorstandschef Rabe. Er spricht vom "Schritt auf dem Weg zur Stärkung der europäischen Medienmärkte, die im Wettbewerb mit den globalen Tech- und Streamingplattformen zwingend ist".
In der Gütersloher Diktion ist der Kauf von Sky Deutschland das Kronjuwel des 2021 aufgesetzten Investitionsprogramms "Boost+", in das bis 2026 bis zu acht Milliarden Euro fließen sollen; bis Ende 2024 waren bereits 5,4 Milliarden ausgegeben. "Boost+" klingt großartig, beschreibt aber im Grunde nur die üblichen Schwerpunkte eines Konzerns: neue Geschäfte anzustoßen, in wachstumsstarke Regionen (Indien, Mexiko) zu expandieren sowie Mergers & Acquisitions zu betreiben.
Wenig hat "Boost+" zu tun mit der früher bei Bertelsmann üblichen "Sägezahn-Technik": In der Ära des Aufsichtsratschefs Reinhard Mohn und des CEOs Mark Wössner gab man für tollkühne internationale Deals reichlich Geld aus, um dann erst einmal zu konsolidieren und die Schuldenquote herunterzubringen.
Der Sky-Deal dürfte Thomas Rabe helfen, bei Bertelsmann einen guten Abgang hinzulegen. Der Vorstandschef wird im August 60 Jahre alt und hat für Ende 2026 sein Ausscheiden angekündigt. Rabe war im Jahr 2000 als Finanzvorstand zur RTL Group gestoßen und bekam 2002 mit, wie Bertelsmann schon damals insgeheim eine Rückkehr zu Premiere sondierte. Der Plan, so womöglich die Pleite des hochverschuldeten Pay-TV der Kirch-Gruppe zu verhindern, ging nicht auf. Jetzt ist es so weit.
Nachdem Rabe im Jahr 2012 zum Bertelsmann-Vorstandschef aufgestiegen war, formulierte er rasch das Umsatzziel von 20 Milliarden Euro - das erst jetzt, mit dem Sky-Deal erreicht wäre. Nun sollen es bald schon 24 Milliarden werden. Das aber wird die Aufgabe der Vorstandsmitglieder Thomas und Carsten Coesfeld sein. Noch-CEO Rabe hat den Enkeln des Konzernarchitekten Reinhard Mohn, die zur Macht drängen, das Spielfeld bereitet. Nun müssen nur noch die nötigen Tore geschossen werden.
Copyright: Foto: "Handelsblatt
Darstellung: Autorenbox
Text: Hans-Jürgen Jakobs ist Senior Editor beim "Handelsblatt".
Zuerst veröffentlicht 30.06.2025 13:12 Letzte Änderung: 30.06.2025 13:43
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Streaming, Internet, Medienwirtschaft, Medienkonzerne, RTL Deutschland, Sky Deutschland, Jakobs, NEU
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