03.12.2024 10:47
Der Reformstaatsvertrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
epd Als die Ministerpräsidenten nach ihrer Sitzung am 25. Oktober in Leipzig die Grundzüge der geplanten Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorstellten, auf die sie sich geeinigt hatten, versuchten sie das als Erfolg zu verkaufen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sprach von einem "großen Schritt". Und der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Alexander Schweitzer (SPD), der der Rundfunkkommission vorsitzt, kündigte an, die geplante Reform werde "unsere öffentlich-rechtlichen Medien zukunftsfester, digitaler, effizienter und interaktiver machen".
"Zukunftsfest" - wie oft ist dieses Wort in den vergangenen zehn Jahren bemüht worden, wenn es um Reformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ging? Und jetzt soll er gar noch "zukunftsfester" werden? Von Schweitzer wohl eher unbeabsichtigt, spiegelt dieses Wort die ganze Widersprüchlichkeit der Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den sogenannten Reformstaatsvertrag wider: Denn wie "fest" kann ein Rundfunk sein, der eine Zukunft haben soll und sich also entwickeln können muss?
Der Reformprozess, den die Länder im März 2023 mit der Einsetzung des sogenannten Zukunftsrats für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eingeleitet haben, hat jetzt also tatsächlich zu einem Entwurf für einen Reformstaatsvertrag geführt, auf den sich die Ministerpräsidenten geeinigt haben. Noch ist dieser Reformstaatsvertrag nicht verabschiedet und vor allem ist noch immer die künftige Finanzierung nicht geregelt. Doch dazu später. Denn in dem Entwurf mutet einiges widersprüchlich an. Da ist zum einen der Auftrag an die öffentlich-rechtlichen Anstalten, sie sollten ihre gemeinsame Plattform zu einem öffentlich-rechtlichen "Public Open Space" weiterentwickeln. Doch zugleich soll das Verbot der "Presseähnlichkeit" für die Angebote der Öffentlich-Rechtlichen verschärft und die Veröffentlichung von Texten im Internet stärker eingeschränkt werden.
Wolfgang Schulz, Direktor des Leibniz-Instituts für Medienforschung - Hans-Bredow-Institut, schrieb in einer Stellungnahme zu dem Ende September veröffentlichten Entwurf für den Reformstaatsvertrag, der Begriff der "Presseähnlichkeit" sei eine "Eigenschöpfung der deutschen Medienpolitik". Das europäische Recht schreibe nicht vor, dass die Angebote der Öffentlich-Rechtlichen nicht "presseähnlich" sein dürften. Die Neuregelung mute wie ein Rückfall in die Zeit vor 2014 an, "in der Internet-Angebote für öffentlich-rechtliche Anstalten nur als Ausspielform linearer Angebote und Annex-Angebote zu jenen zulässig waren". Damit werde "dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk unmöglich gemacht, den sich gerade in jungen Alterskohorten ändernden Nutzungsweisen zu folgen".
Möglicherweise werde mit dieser Regelung "die verfassungsrechtliche Entwicklungsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks missachtet", schrieb der Medienrechtler. Mit anderen Worten: Tritt der Reformstaatsvertrag so in Kraft, könnte hier eine Verfassungsbeschwerde drohen.
Grundsätzlich kritisierte Schulz, es sei in dem Reformstaatsvertrag nicht erkennbar, "dass die Medienpolitik eine Vorstellung davon entwickelt hat, welche Rolle öffentlich-rechtliche Angebote in Zukunft für die kommunikativen Bedürfnisse der Gesellschaft spielen werden". In der Tat lässt der Reformstaatsvertrag eine Vision, welche Rolle der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Mediensystem und in der Gesellschaft in Zukunft spielen sollte, vermissen. Dafür haben einige Ideen Eingang gefunden, die seit zwei Jahrzehnten in der Diskussion um die Reform von ARD und ZDF genannt werden und eher rückwärtsgewandt wirken, wie die Zusammenlegung von 3sat und Arte oder der Abbau von Spartenkanälen.
Bei den Ausgaben für Sportrechte hingegen müssen ARD und ZDF nun gar nicht kürzen, da die Ministerpräsidenten die Bezugsgrößen im Vertragsentwurf geändert haben. War in einem früheren Entwurf vorgesehen, dass die Ausgaben für Sportrechte acht bis zehn Prozent des gesamten Programmaufwands bei ARD und ZDF nicht überschreiten dürfen, heißt es nun, dass diese Ausgaben nicht mehr als fünf Prozent des anerkannten Gesamtaufwands ausmachen dürfen. Das entspricht bis zu 480 Millionen Euro im Jahr. Derzeit gibt die ARD rund 240 Millionen Euro pro Jahr für Übertragungsrechte aus, das ZDF rund 160 Millionen.
Der Vorsitzende des Privatsenderverbands Vaunet, Claus Grewenig, sagte denn auch, hier habe die Politik "eine große Chance verpasst, in erheblichem Umfang beitragssenkende Effekte zu erzielen".
Vor allem die geplante gesetzliche Deckelung des Sportrechte-Etats hatte ARD und ZDF auf die Barrikaden gebracht. In ihrer Stellungnahme zum Entwurf des Reformstaatsvertrags hatte die ARD "die gesellschaftliche und identitätsstiftende Bedeutung von Sportgroßereignissen" unterstrichen. Es habe sich in diesem Jahr einmal mehr gezeigt, "wie wichtig die Übertragung von Sportereignissen ist, um insbesondere junge Menschen zu erreichen und gleichzeitig die Strahlkraft der Sportgroßereignisse auf unsere anderen Angebote, wie Informationsangebote, zu nutzen". Auch das ZDF hatte in seiner Stellungnahme wortreich auf die "besondere Bedeutung des Sports für das Programm" hingewiesen.
Auf weniger Ablehnung stieß bei ARD und ZDF die Vorgabe im Gesetzentwurf, dass "in Abstimmung mit den beteiligten öffentlich-rechtlichen europäischen Veranstaltern die Inhalte des Vollprogramms 3sat teilweise oder vollständig in das Vollprogramm Arte - Der europäische Kulturkanal und dessen Telemedienangebote" überführt werden sollten. In den Stellungnahmen der Sender findet sich kein Wort dazu. Dafür gab es Proteste von Kulturverbänden und Kreativen gegen diese Pläne. In dem Entwurf, auf den sich die Ministerpräsidenten nun einigten, entfiel in dieser Passage das Wörtchen "die" vor Inhalte, so dass nun nicht mehr von einer vollständigen Überführung von 3sat in Arte die Rede ist.
War die Bedeutung der Kultur für die Angebote der Öffentlich-Rechtlichen im Dritten Medienänderungsstaatsvertrag, der im Juli 2023 in Kraft getreten ist, noch gestärkt worden, scheint es jetzt weder bei der Politik noch bei den Sendern großes Interesse daran zu geben, die kulturellen Angebote bei ARD und ZDF auszubauen. Auch die von den Ministerpräsidenten diktierte Reduzierung von Radiowellen nimmt die ARD einigermaßen gelassen hin. Das passt ins Bild, in den letzten Jahren hatte man den Eindruck, dass die ARD vor allem beim Radio spart, obwohl die Radiowellen linear besser funktionieren als die Fernsehangebote.
Der Abbau von Kanälen löst keine Strukturprobleme und bringt wenig Geld
Bei den Kulturradioprogrammen hat die ARD bereits umfassende Kooperationen in Angriff genommen und baut Angebote ab. Doch hier, gibt Roger de Weck, der stellvertretende Vorsitzende des Zukunftsrats, zu bedenken, lässt sich nur wenig einsparen: "Der Abbau von Kanälen löst keine Strukturprobleme und bringt wenig Geld", sagte er in einem Interview mit epd medien. Für wichtiger hielte er es, Arte zu einem wirklichen europäischen Kulturkanal auszubauen. Das würde jedoch Investitionen in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro erfordern. Hier seien aber auch die beteiligten Staaten gefragt.
Und schließlich ist die Politik auch die Aufgabe nicht angegangen, die der Zukunftsrat in seinem Bericht als die wichtigste herausgestellt hat: die grundsätzliche Strukturreform der ARD, um den Senderverbund in der Plattformwelt strategiefähig zu machen. Der Vorschlag der Rundfunkreferenten, eine Geschäftsführung für die ARD einzurichten, scheiterte dem Vernehmen nach am Widerstand einiger ARD-Sender sowie einiger Länder. Nun sollen einzelne ARD-Anstalten Federführungsfunktion für bestimmte Aufgaben übernehmen. Nach diesem Prinzip ist der Senderverbund jedoch bereits seit Jahren organisiert. Wie wenig das funktioniert, sieht man immer dann, wenn es ums Sparen geht und die Anstalten Jahre brauchen, um eine Strukturoptimierung umzusetzen.
Zeitgleich mit dem Reformstaatsvertrag hat die Rundfunkkommission auch an einem neuen Finanzierungsstaatsvertrag gearbeitet. Hier drängt die Zeit, denn im Februar hat die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) empfohlen, den Rundfunkbeitrag zum 1. Januar 2025 um 58 Cent auf 18,94 Euro zu erhöhen. Doch einige Länder hatten sich bereits Monate zuvor deutlich gegen eine Beitragserhöhung ausgesprochen. Dabei dürfen die Ministerpräsidenten nach den Regeln, die sie selbst im Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag festgelegt haben, nur in wenigen gut begründeten Fällen von der Empfehlung der KEF abweichen.
Alle Modelle, die die Referenten in den Staatskanzleien in den vergangenen Monaten entwarfen, um die Diskussion um den Rundfunkbeitrag zu entpolitisieren, scheiterten am Widerstand einzelner Länder. Nach der Ministerpräsidentenkonferenz sagte Schweitzer dazu: "Wir haben heute beschlossen, nichts zu beschließen." Und er versprach, dass bis zur nächsten Ministerpräsidentenkonferenz im Dezember "ein neuer Finanzierungsmechanismus" gefunden werde.
Das sogenannte Rationalisierungsmodell, über das im Sommer noch gesprochen wurde, sah vor, dass die Anstalten weiterhin alle vier Jahre ihren Finanzbedarf bei der KEF anmelden. Die Kommission sollte wie bisher auf dieser Grundlage den Bedarf und die erforderliche Höhe des Rundfunkbeitrags feststellen. Wäre die Erhöhung unter einem gewissen Limit geblieben, hätten die Ministerpräsidenten den Beitrag per Verordnung festlegen können, ohne dass die Landtage noch einmal darüber abgestimmt hätten. Eine Einstimmigkeit der Ministerpräsidenten wäre nicht mehr nötig gewesen, der Einspruch eines einzelnen Landes hätte nicht ausgereicht, um das übliche KEF-Verfahren einzuleiten, in dem alle Parlamente zustimmen müssen.
Das nun auf dem Tisch liegende "Widerspruchsmodell" ist deutlich komplizierter. Es sieht zwar auch vor, dass die Länder einer Erhöhung des Rundfunkbeitrags nicht mehr aktiv zustimmen müssen, sondern ein Widerspruchsrecht nutzen können, solange die Steigerung unter fünf Prozent bleibt, doch die Quoren sind sehr niedrig. Hat die KEF eine Steigerung errechnet, die unter zwei Prozent liegt, müssten mindestens drei Bundesländer widersprechen, damit dann wiederum das derzeitige Verfahren in Gang kommt und alle Landtage zustimmen müssen. Liegt die errechnete Steigerung zwischen 2,0 und 3,5 Prozent, reicht es, wenn zwei Länder widersprechen. Liegt sie zwischen 3,5 und 5 Prozent, reicht es, wenn ein Land widerspricht. Empfiehlt die KEF eine Steigerung von mehr als fünf Prozent, greift unmittelbar das aktuelle Verfahren, nach dem alle Bundesländer zustimmen müssen.
Hier von einem "vereinfachten" Verfahren zu sprechen, wie die Medienstaatssekretärin von Rheinland-Pfalz Heike Raab (SPD) es tat, ist absurd. Dass es wenig tragfähig sein dürfte, zeigt der Zank um die relativ geringe Beitragserhöhung, die die KEF in diesem Jahr empfohlen hat: 58 Cent, das ist gerade einmal eine Steigerung um 3,2 Prozent, auf vier Jahre gerechnet sind das weniger als ein Prozent pro Jahr - die Erhöhung bewegt sich also deutlich unter den allgemeinen Preissteigerungsraten. Selbst dieser moderaten Erhöhung wollten mehrere Ministerpräsidenten nicht zustimmen, das Widerspruchsmodell wäre damit bereits gescheitert.
"Es gibt eine verfassungsrechtliche Verpflichtung der Ländergemeinschaft, für eine funktionsgerechte Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu sorgen", sagte der Medienrechtler Wolfgang Schulz kürzlich der "Süddeutschen Zeitung". Weil die Länder dieser Verpflichtung schon vor vier Jahren nicht nachgekommen sind, hatte 2021 das Bundesverfassungsgericht die Erhöhung des Rundfunkbeitrags auf 18,36 Euro in Kraft gesetzt.
Alle müssen sich an Recht und Gesetz halten.
Angesichts der verfahrenen Diskussion war es unausweichlich, dass ARD und ZDF am 19. November erneut eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe einreichten. "Alle müssen sich an Recht und Gesetz halten", sagte der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke der "Zeit". Die Ministerpräsidenten beschädigten durch ihr Verhalten das ganze gesetzlich festgelegte Verfahren. ARD und ZDF können sich vor Gericht auch auf den Sonderbericht der KEF berufen, den die Länder im Sommer in Auftrag gegeben hatten. Darin kommt die Kommission zu dem Schluss, dass ARD und ZDF durch die nun geplanten Reformen bis 2028 "keine wesentlichen zusätzlichen Einsparpotenziale realisieren können". Deutschlandradio konnte keine Verfassungsbeschwerde einlegen, da die Anstalt nach der Empfehlung der KEF nicht von einer Beitragserhöhung profitiert hätte.
Der Medienrechtler Wolfgang Schulz sieht große Erfolgschancen für ARD und ZDF in Karlsruhe: "Wenn die Länder den KEF-Vorschlag ohne verfassungsrechtlich tragfähige Begründung nicht umsetzen, ist fast sicher, dass die Beschwerde Erfolg hat", sagte er dem epd. Er warnte allerdings auch davor, dass die Verfassungsrichter grundsätzliche Anmerkungen zum Rundfunksystem machen könnten, die nicht im Interesse der Anstalten liegen könnten.
Wenn nun also der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) behauptet, ARD und ZDF dürften "die Akzeptanz und den Rückhalt in der Bevölkerung nicht verspielen", versucht er davon ablenken, dass die Medienpolitik durch ihre Untätigkeit die Regeln verletzt und damit die Klage provoziert hat. Und wenn sein Amtskollege aus Sachsen-Anhalt Reiner Haseloff (CDU) dafür plädiert, "aus Respekt vor dem höchsten Gericht" den Beschluss über die künftige Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu vertagen, so ist dies wohl eher eine willkommene Ausrede, die genutzt werden kann, wenn die Ministerpräsidenten in ihrer nächsten Sitzung wieder nicht zu einer Einigung kommen.
Drei Jahre hatten die Länder nach dem letzten Spruch aus Karlsruhe Zeit, die Finanzierung zu reformieren. Zu lange haben sie sich gegenseitig blockiert und damit steht jetzt auch die ganze Reform auf der Kippe. Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist alles andere als gesichert.
Copyright: epd-bild/Heike Lyding Darstellung: Autorenbox Text: Diemut Roether ist Verantwortliche Redakteurin von epd medien.
Zuerst veröffentlicht 03.12.2024 11:47 Letzte Änderung: 03.12.2024 11:50
Schlagworte: Medien, Medienpolitik, Medienstaatsvertrag, Rundfunk, ARD, ZDF, Reform, Roether, NEU
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