In alter Freundschaft - epd medien

26.09.2025 06:50

Vom 1. Oktober an wird ProSiebenSat.1 voll beim neuen Mehrheitseigentümer Media for Europe (MFE) konsolidiert sein. Die Holding MFE, die von der Familie Berlusconi kontrolliert wird, hatte sich im Sommer mehr als 75 Prozent am deutschen Medienkonzern gesichert. Hans-Jürgen Jakobs ordnet die Übernahme auch mit Blick auf die lange Vorgeschichte ein, die bis in die Zeit des Münchner Medienmoguls Leo Kirch zurückreicht.

Warum die Berlusconi-Familie ProSiebenSat.1 übernimmt

Der italienische Medienunternehmer Pier Silvio Berlusconi am 2. September im Bundeskanzleramt

epd Es ist vier Jahrzehnte her, da hatten zwei Männer große Pläne für Europas Medienmarkt. Silvio Berlusconi aus Mailand und Leo Kirch aus München begeisterten sich für die Idee, Produktionsfirmen und private TV-Sender mit Verlagen zu verbinden. Das Ziel: integrierte Medienkolosse. Sie sollten sich gegenseitig stützen.

Das Verhältnis des italienischen "Cavaliere" zum deutschen Medienpaten war so innig, dass Berlusconi später im Kirch-Imperium als Gesellschafter beim Deutschen Sportfernsehen oder beim Bezahlfernsehen von Premiere auftauchte. Umgekehrt stieg die Kirch-Gruppe bei einem Pay-TV-Projekt von Berlusconi ein. Und selbstverständlich gewährte man sich gegenseitig Filmrechte.

Blühendes Entertainment-Reich

Beim Bundesgenossen aus der Lombardei - aber etwa auch beim Zeitungs- und Fernsehpotentaten Rupert Murdoch - sah Kirch damals "Beispiele einer logischen Zusammenarbeit zwischen der Monokultur Presse und der Monokultur Fernsehen". Er selbst hatte sich am Haus Axel Springer ("Bild") beteiligt und verkündete: "In Deutschland, gut, bin ich es."

Die zwei Medieneroberer von einst, beide gut katholisch, sind längst Geschichte. Während Leo Kirch (1926 bis 2011) trotz vieler Programmrechte im Jahr 2002 eine fulminante Pleite hinlegte, brachte der vormalige Bauunternehmer Berlusconi (1926 bis 2023) sein Entertainment-Reich so richtig zum Blühen. In vier Amtsperioden als italienischer Ministerpräsident konnte er selbst für einen gewissen Rechtsschutz sorgen.

Für die traditionell enge Verbindung zu Deutschland sorgt nun Pier Silvio Berlusconi, 56, ältester Sohn des verstorbenen Konzern-Architekten, nach dem sie in Mailand einen Flughafen benannt haben. In alter Freundschaft: Der Filius erfüllt lange gehegte Expansionswünsche - und tritt zugleich als später Erbe Leo Kirchs auf. Der Deutsche hatte den immensen Kapitalhunger im Jahr 2000 durch den Börsengang seiner Münchener Fernsehgruppe ProSiebenSat.1 Media gelindert, Höhepunkt einer jahrelangen Expansion rund um Sat.1 und den Sender ProSieben, den Kirchs Ex-Büroleiter Georg Kofler ersonnen und viele Jahre lang angetrieben hatte.

Kofler lobt MFE-Manager

Nun ist die Hinterlassenschaft ein zentraler Baustein in der Wachstumsstrategie von Media for Europe (MFE), wie die steuergünstig in Amsterdam gelegene Holding der Berlusconi-Familie inzwischen heißt. Sie hält seit kurzem mehr als 75,6 Prozent an der ProSiebenSat.1-Gruppe. Die kombinierten TV-Werbeeinnahmen dürften nach der Übernahme bei rund 3,6 Milliarden Euro liegen.

"Die Übernahme durch Media for Europe ist eine absolut gute Lösung", sagt der langjährige Ex-Senderchef Kofler, 68, auf Anfrage: "Vor 30 Jahren habe ich mich als Operating CEO selbst mit solchen Gedanken befasst und mir eine Zusammenarbeit dieser Art sehr gewünscht." Vor allem der Berlusconi-Sender Italia 1 hätte gut zu ProSieben gepasst. Einmal präsentierte der in Bruneck/Südtirol geborene TV-Pionier dazu sogar auf einer Jahrestagung von Publitalia, der Werbeabteilung des TV-Konzerns - auf Italienisch. "Aber die Zeit war noch nicht reif", so Kofler.

Jetzt ist das anders. "Eine europäische Konsolidierung der Medienbranche, eine wirkliche Medienunion, hilft im Wettbewerb mit den großen US-Medienkonzernen. Für diese Auseinandersetzung brauchen die heimischen Manager ein anderes Standing", erklärt der Experte. Die Verantwortlichen bei Media for Europe hätten "das Herz am rechten Fleck", das seien "gute Medienunternehmer mit einem tiefen Verständnis für Werbemärkte und mit sehr innovativen Ideen".

Münchens Antwort kommt aus Mailand

Es geht nicht mehr, wie früher, um eine Ehe zwischen Fernsehen und Print. Nun geht es um die richtige Kombination zwischen herkömmlichen linearen TV-Kanälen und modernen Streaming-Angeboten. Die Zuschauer sollen zwischen werbefinanziertem Free-TV und gebührenpflichtigem Fernsehen hin und her wechseln - ein ewiger Strom von Anreizen. Hier liegt für das bisher nur in Südeuropa aktive Familienunternehmen Berlusconi der wahre Charme ihres Zugs über die Alpen. Das in mehreren Etappen geplante und beharrlich durchgeführte Take-over soll den italienischen Konzern in neue Höhen der Anerkennung und Wirtschaftlichkeit führen.

Mit der Offensive soll Joyn, das eigene, stark auf Werbeerlöse ausgerichtete Streaming-Angebot von ProSiebenSat.1, ausgebaut und gestählt werden. Zuletzt überschlug man sich hier mit immer neuen Erfolgsmeldungen, feierte neue Zuschauer und Reichweitenzuwächse. Auch eine Folge des gehypten Sommerfußballs mit der U21-Europameisterschaft und der Fifa-Klub-Weltmeisterschaft.

Doch auch die Jubelmeldungen können nicht verhehlen, dass die amerikanischen Streaming-Marktführer Netflix und Amazon Prime noch sehr weit entfernt sind. Und der deutsche Rivale, die Bertelsmann-Tochter RTL Group aus Köln, hat ihre Plattform RTL+ durch den Kauf von Sky Deutschland (mit dem inkludierten Streamingdienst Wow) nach oben katapultiert. Man ist nun Dritter hinter den beiden Champions aus den USA - und hat, gemessen an der Zahl der Abonnenten, den Disney-Konzern überholt. Seit dem RTL-Sky-Deal wartete die Branche auf die Antwort aus München. Sie kommt aus Mailand.

Möglichkeiten im Fünf-Länder-Markt

Durch die Zugehörigkeit zum Berlusconi-Imperium tun sich ganz neue Möglichkeiten auf. Schließlich haben die Italiener in ihrem Heimatland mit dem Angebot Mediaset Infinity bereits seit einigen Jahren erfolgreich Streaming-Erfahrungen gesammelt. Bot man hier zunächst Ware der eigenen Free-TV-Großsender Canale 5, Rete 4 und Italia 1 an, kamen später etwa mehr Fußball und Anime-Programme dazu. Im Zuge ihrer Expansion sannen die Berlusconis auf ähnliche Aktivitäten in Spanien, wo ihnen seit langem der Sender Telecinco gehört (und angeschlossene Digitalsender wie Cuatro oder Be Mad). Erst vor kurzem, im Mai 2025, nannten die Strategen aus Mailand ihre spanische Streaming-Plattform Mitele um - in "Mediaset Infinity", analog dem italienischen Vorbild.

Das wirkt wie eine Blaupause für Deutschland. "Wichtig im Streaming ist eine gut abgestimmte Plattform mit einer einheitlichen Markenführung", erklärt denn auch Ex-Pro-Sieben-Chef Kofler: "Disney+ ist ja auch überall in Europa Disney+, und Netflix sowie Amazon Prime heißen in anderen Märkten genauso." Im Übrigen sei Joyn ein wirklich guter Markenname, ganz im Gegensatz zu ProSiebenSat.1: "Diesen Namen hat man bei der Fusion vor vielen Jahren nur genommen, um die Egos der beteiligten Senderchefs nicht zu verletzen."

Ist es damit sogar denkbar, dass Berlusconis paneuropäische Streaming-Plattform irgendwann Joyn heißt? Da die ProSiebenSat.1-Gruppe auch in Österreich und in der Schweiz sehr aktiv ist, ergibt sich in der neuen Kombination mit Berlusconi jedenfalls ein Fünf-Länder-Markt mit mehr als 210 Millionen Menschen. Von einem "wichtigen Meilenstein" spricht denn auch Vorstandschef Bert Habets, 54, einst CEO der RTL Group. Media for Europe reagierte nicht auf eine Anfrage.

Kaum größere öffentliche Wellen

Erstaunlich ist, dass der italiensche Vorstoß in München öffentlich kaum größere Wellen geschlagen hat. Dies mag daran liegen, dass Pier Silvio Berlusconi weit weniger extrovertiert ist als sein Vater Silvio, der allerlei Angriffsflächen bot. So zelebrierte der Senior seine Männerfreundschaften mit Diktatoren wie Wladimir Putin und Muammar al-Gaddafi oder feierte auf Sardinien Sexpartys ("Bunga-Bunga"). 2013 wurde der Serien-Ministerpräsident letztinstanzlich wegen Steuerbetrugs verurteilt, es gab ein zweijähriges Amtsverbot. Einst waren die Medienmacht Berlusconis und seine Deutschland-Pläne Anlass für manches Medienseminar.

Pier Silvio Berlusconi ist völlig anders gestrickt: zurückhaltend, langfristig orientiert, ungleich seriöser. In Fragen des Rechts war nur einmal aufgefallen: 2016 wurde er von einem Mailänder Gericht wegen Steuerbetrugs zu 14 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Der von ihm stets scharf dementierte Vorwurf: Eine Konzerntochter habe Film- und Fernsehrechte zu überhöhten Preisen gekauft, um so weniger Steuern zu zahlen. Dadurch habe man rund 43 Millionen Dollar Schwarzgeld in Steueroasen ansammeln können. Das Kassationsgericht, das höchste Gericht Italiens, hob dann letztinstanzlich das Urteil wieder auf und sprach Berlusconi Junior von allen Vorwürfen frei.

Verbindungen zur Politik

Wie Papa Silvio, der die Partei Forza Italia 1994 mit Hilfe seiner Werbeabteilung Publitalia angeschoben hatte, unterhält auch der Filius besondere Verbindungen zur Politik. Nachdem 2023 öffentlich wurde, dass Forza Italia den Berlusconis rund 100 Millionen Euro schulde, erklärte die Familie sich bereit, die Gruppierung finanziell auch in Zukunft zu unterstützen.

Mit Forza Italia (zwischenzeitlich Popolo della Libertà) hatte es Silvio Berlusconi zur zwischenzeitlich bestimmenden politischen Kraft Italiens geschafft. Aktuell ist die Partei Teil der regierenden Mitte-Rechts-Regierung unter Giorgia Meloni - mit einigen Ministern, allen voran mit dem für Auswärtiges zuständigen Parteichef Antonio Tajani. Damit ist ProSiebenSat.1, wenn man so will, über den neuen Mehrheitsaktionär mittelbar mit Italiens Politik liiert.

"Meine Besorgnis kreist um die Frage, ob die journalistische und wirtschaftliche Unabhängigkeit auch nach einem Eigentümerwechsel gewahrt bleibt", erklärte der parteilose Kulturstaatsminister Wolfram Weimer im "Spiegel". Eine ungewöhnliche Zwischenmeldung, schließlich ist Medienpolitik in Deutschland vorwiegend Ländersache und keine Bundesangelegenheit. Bei einem Besuch im Kanzleramt gelang es Pier Silvio Berlusconi kürzlich, die Sorgen zu vertreiben. Der Konzern habe sich "zum Standort Deutschland und zur Wahrung redaktioneller Unabhängigkeit" bekannt, erklärte Weimer danach.

Man war sehr freundlich

Sein Gast hatte schon im Vorfeld öffentlich bekundet, man sinne nicht auf absolute Kontrolle, sondern auf "Flexibilität, die es uns ermöglicht, eine klare Richtung vorzugeben, die auf einer gemeinsamen Vision beruht". Die nationale Identität von ProSiebenSat.1 werde bewahrt. Nach Informationen aus dem Umfeld der bayerischen Staatskanzlei hat Berlusconi Junior längst das Wohlwollen von CSU-Chef Markus Söder. Vor drei Jahren hatte der stets wendige Ministerpräsident noch süffisant erklärt: "Wir Bayern lieben Italien, aber wir müssen hier auch nicht komplett italienisch werden." Man wolle unabhängig bleiben und keine "Abspielstation aus Italien" sein.

Beim Abschied von Minister Weimer in Berlin traf Berlusconi, der seinen operativ dominierenden Finanzminister Marco Giordani, 64, im Schlepptau hatte, sogar zufällig auf Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Man war sehr freundlich zueinander, so geht die Erzählung. Nach der Stippvisite versicherte der Gast aus Mailand noch einmal, redaktionelle und journalistische Freiheit zu wahren, Pluralität zu fördern und allem Gehör zu verschaffen.

Im christdemokratischen Milieu verankert

Ohnehin zielt Berlusconi Junior darauf, mit seiner Partei gut im christdemokratischen Milieu verankert zu sein; in Brüssel ist man wie CDU und CSU Mitglied der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP). In diese Gruppierung soll, so die von Forza Italia propagierte Idee, auch die post-faschistische Fratelli d'Italia von Regierungschefin Meloni aufgenommen werden. "Die Partei Forza Italia muss immer eine liberale und gemäßigte Kraft sein, die sich zur rechten Mitte hin orientiert", so Pier Silvio Berlusconi. Seine Partei liegt in Umfragen derzeit allerdings deutlich unter zehn Prozent, weit hinter den Fratelli der Regierungschefin (rund 30 Prozent). Viele halten die politisch geschickt agierende Meloni für die wahre politische Erbin Berlusconis. Im Gespräch ist auch, dank Berlusconi und Meloni, die nach Korruptionsskandalen untergegangene "Democrazia Cristiana" auf andere Art wiederzubeleben.

Wie dem auch sei: Mit dem Deal von Media for Europe steigt erkennbar der Einfluss Italiens auf die deutsche Wirtschaft. Das Geld für den ProSiebenSat.1-Konzern - das finale Übernahmeangebot lag bei 1,85 Milliarden Euro - organisierte ein Bankenkonsortium unter Führung jener Unicredit aus Mailand, die bereits die Hypo-Vereinsbank in München kontrolliert und sich als weitaus größter Aktionär der Commerzbank anschickt, das nächste deutsche Kreditinstitut zu übernehmen - gegen den Widerstand von Management, Betriebsrat und Bundesregierung.

Platte politische Parolen sind Pier Silvio Berlusconi so fremd wie Großmanns-Getue. Wo sein Vater die reichweitenstarken Mediaset-Kanäle stramm auf Rechtskurs brachte, agiert der Sohn unideologischer: Er warb zum Beispiel die linksliberale Starjournalistin und Talkshow-Moderatorin Bianca Berlinguer, Tochter des früheren Kommunistenchefs Enrico Berlinguer, vom Staatssender Rai ab. Dort ist der Einfluss der Politik viel stärker als bei Mediaset.

Mamas Lieblinge

Auch von Interventionen ins Programm hält sich Berlusconi Junior üblicherweise fern. Nur einmal, im vorigen Jahr, wies er die Mitarbeiter an, "alle türkischen Serien zu kaufen, die es gibt". Das hänge mit einer "familiären Angelegenheit" zusammen, erklärte er offen in der Zeitung "Italia Oggi": Seine Mutter Carla Dall'Oglio schaue diese Telenovelas immer im Fernsehen: "Sie sagt zu mir: Hallo Pier Silvio, jetzt setzt du dich zu mir und wir schauen sie zusammen oder komm' ein anderes Mal wieder." Mamas Lieblinge laufen jetzt auf Mediaset Infinity+.

So emotional geht es nun mal zuweilen im Familienunternehmen Berlusconi zu, in dem Marina Berlusconi, 59, ältestes Kind von "Il Cavaliere", viel Einfluss hat. Wie Bruder Silvio war sie aktuell den deutschen Behörden gegenüber mitteilungspflichtig, als man die Stimmenmehrheit bei ProSiebenSat.1 übernahm. Marina Berlusconi ist als "Chairman" des Board of Directors der hauseigenen Finanzholding Fininvest ausgewiesen. Ihre Geschwister Pier Silvio, Luigi, Barbara und Eleonora fungieren als einfache Directors. Anders als die ebenfalls zahlreichen Murdoch-Kinder, die sich erbittert vor Gericht um Geld und Macht stritten, übt sich der Berlusconi-Nachwuchs in Solidarität. Die Familie ist heilig.

Spareffekte erwartet

Der Gesamtumsatz der von Fininvest kontrollierten Firmen liegt inzwischen bei sieben Milliarden Euro. Auch bei einer wichtigen Beteiligung, dem börsennotierten Großverlag Mondadori, hat Marina Berlusconi als "Chairman" das Sagen. Mehr als 50 Buchverlage und mehr als 500 Buchläden gehören zum Betriebsvermögen.

Angesichts des sensiblen Themas Politik und Medien hat vor allem der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) bis zuletzt vor Berlusconi gewarnt. Media for Europe biete "keine Gewähr für den Fortbestand von Medienvielfalt und kritischem Journalismus", so der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster. Außerdem seien journalistische Arbeitsplätze bei ProSiebenSat.1 in Gefahr: "Das ist das Letzte, was wir im privaten Rundfunk in Deutschland brauchen."

Tatsächlich geht es bei ProSiebenSat.1 unter der neuen italienischen Ägide nicht um Parteiwirtschaft, sondern um Betriebswirtschaft. Schließlich ist es Sinn solcher Zusammenschlüsse, Doppelkapazitäten abzubauen und zu rationalisieren. Das bedeutet: Jobabbau. Innerhalb der kommenden vier bis fünf Jahre könnten beide Konzerne jährlich rund 150 Millionen Euro durch Synergieeffekte einsparen, teilte ProSiebenSat.1 mit. Vom 1. Oktober an wird das deutsche Unternehmen voll bei Media for Europe konsolidiert. Bestenfalls sind wohl 200 Millionen Euro Einsparung realistisch.

Ein Sanierungsfall

Bei ProSiebenSat.1 - hochverschuldet, schlechte Zahlen - handelt es sich, realistisch betrachtet, um einen Sanierungsfall. Jahrelanges Missmanagement, viele Führungswechsel, eine zu lange gepflegte Bunkermentalität, dazu eine schlechte Werbekonjunktur und hohe Investitionen ins Streaminggeschäft haben zunächst den Ruf, dann die Rendite ruiniert. Den einst ruhmreichen Sendern Sat 1 und Pro Sieben fehlt es - jenseits weniger Stars wie Heidi Klum ("Germany’s Next Topmodel") oder "Joko" Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf - deutlich an Profil.

Vorbei die Zeit, als die Sendergruppe unter CEO Thomas Ebeling Gewinnrekorde meldete und sogar ins Börsen-Oberhaus Dax aufstieg. Ebelings Programmphilosophie schloss die Abgrenzung zu einer Münchener Nobel-Disko ein: "Wir brauchen mehr Bottrop und weniger P1." Den Nachrichtensender N24 (heute Welt TV) hatte man verkauft, das teure Nachrichtengeschäft sich einige Jahre zuliefern lassen und die üppigen Programmreserven in Wiederholungsschleifen weggesendet.

Jüngst gab es sogar mal wieder eine Gewinnwarnung: Fürs Jahr 2025 rechnet TV-Chef Habets jetzt nur mit 3,65 bis 3,8 Milliarden Euro Umsatz (statt wie vorher 3,7 bis 4,0 Milliarden). Und das Betriebsergebnis (adjusted Ebitda) liege nun zwischen 420 und 470 Millionen Euro (statt 470 bis 570 Millionen). Das Abmelden von Gewinnen ist intern offenbar Routine geworden. Im vorigen Jahr fielen noch 537 Millionen Euro Ebitda an, bei 3,918 Milliarden Euro Umsatz.

Unter dem Strich stand 2024 ein erschreckender Verlust von 122 Millionen Euro. Die Aktie ist auf Kellerniveau. In der Not hat ProSiebenSat.1 schon vor Monaten avisiert, rund 430 Vollzeitstellen (von mehr als 7.000) abzubauen.

Handwerkliche Fragen

Das werden noch strapaziöse Stunden für Neu-Eigner Media for Europe, für die Retter aus Mailand. Da gibt es einiges zu richten und viel handwerkliche Fragen zu lösen. Was ist beispielsweise die richtige Werbetechnologie? Die Mailänder setzen auch auf eine Steigerung bei den Werbeerlösen, paneuropäisches Fernsehen soll's möglich machen.

Schon vor zehn Jahren hatten sich die Berlusconi-Leute zusammen mit den Chefs von ProSiebenSat.1 und anderen Sendergruppen wie Channel 4 (Großbritannien) oder Antenna Group (Südosteuropa) in der "Europäischen Medienallianz" (EMA) zusammengefunden. Mit großen Projekten bei Streaming, Technologie und Monetarisierung wollte man den Wandel der Medienlandschaft besser beherrschen. Das Thema schon damals: Skalierung. Man wollte zum Beispiel dem Google-Konzern, der den Werbekunden bei Youtube die ganze Welt bieten kann, etwas entgegensetzen. Zunehmend aber nahm der Berlusconi-Konzern die Deutschen bei solchen Planspielen als selbstverliebte Bremser wahr. Sie schritten zur Tat.

Selbst ist die Mailänder Gruppe mit 2,95 Milliarden Euro Umsatz zwar kleiner als ProSiebenSat.1, der wirtschaftliche Trend zeigt hier aber, anders als in München, eindeutig nach oben. Das Ebitda von Media for Europe stieg 2024 auf 792,1 Millionen Euro (2023: 782,3 Millionen), insgesamt fielen 266 Millionen Euro Nettogewinn an. Während die Münchner 2024 rund 13,7 Prozent Rendite (bezogen auf den Betriebsgewinn) schafften, kamen die Mailänder auf 27 Prozent.

Durchregieren im Aufsichtsrat

Im Aufsichtsrat von ProSiebenSat.1 Media kann Pier Silvio Berlusconi nun durchregieren. Klára Brachtlová und Christoph Mainusch gaben rasch nach dem Take-over ihre Mandate ab; sie waren von der tschechischen Finanzgruppe PPF entsandt, die ihre ProSiebenSat.1-Aktien an MFE verkaufte. Der neue Mehrheitseigentümer wolle die neue Aktionärsstruktur "adäquat abbilden", so die eindeutige Ankündigung aus Italien.

Für Pier Silvio Berlusconi und seinen überaus wichtigen Finanzchef Marco Giordani wäre es wichtig, "selbst in den Aufsichtsrat von ProSiebenSat.1 zu gehen, um das beste Gefühl für die Company zu bekommen", glaubt Experte Kofler: "Aber es steht mir natürlich nicht zu, den beiden einen Rat zu geben." Berlusconi Junior denkt derzeit offenbar nicht an einen solchen Schritt.

Größere Unabhängigkeit im Management kann es für die Deutschen nach dem Deal vermutlich erst bei besseren Geschäftszahlen geben. Auch in Spanien griff der Mailänder Konzern 2022 durch, nachdem Telecinco Programm-Innovationen verpasste und die Marktführerschaft an Antena 3 verlor. Da nutzten dem Statthalter Paolo Vasile, der wie ein "Sonnenkönig" regierte, auch seine engen Kontakte zu Silvio Berlusconi nichts mehr. Unternehmerische Freiheit muss man sich in diesem System verdienen.

Denkschule gegen Denkschule

Finanzchef Giordani erklärte öffentlich, Medien in Europa stünden wegen der Konkurrenz von Google, Facebook & Co. unter Druck. Sie müssten Kräfte in Technologie und Inhalte bündeln, um bestehen zu können: "Dabei gibt es zwei Denkschulen: die nationale Konsolidierung und die internationale." ProSiebenSat.1 habe jedoch versucht zu überleben, ohne überhaupt eine Strategie für sein Mediengeschäft zu haben.

In München erinnerte man sich zuweilen, mit der eigenen milliardenstarken Tochter SBS Broadcasting Group schon einmal wenig erfolgreich aufs Europageschäft gesetzt zu haben. Nacheinander wurden von 2011 an Aktivitäten in den Benelux-Ländern, Skandinavien und Osteuropa verkauft. Nun versucht sich Media for Europe erneut mit länderübergreifenden Allianzen - freilich in größeren Märkten. Rivale RTL Group setzt dagegen auf "nationale Champions" und reduzierte das Engagement in Europa - Denkschule gegen Denkschule.

Keinen Platz in der Zukunftsstrategie haben die zahlreichen Beteiligungen von ProSiebenSat.1 an Digitalfirmen. Man ließ sich in der Vergangenheit - als die Reichweiten noch stark waren - von den Kunden die gewährte Werbezeit in den eigenen vielen Sendern nicht mit Geld, sondern mit Anteilen bezahlen ("Media for Equity"). Konnte in diesem Jahr das so akquirierte Vergleichsportal Verivox noch für mindestens 232 Millionen Euro verkauft werden, stocken andere geplante Online-Deals, etwa bei Flaconi (Parfüm) oder der ParshipMeet Group (Dating). Hohe Abschlüsse sind wichtig, um die Verschuldung weiter zu reduzieren.

Kostengünstige Dauerserien

Ziemlich viele Aufgaben auf einmal also für Pier Silvio Berlusconi. Beim Besuch im Kanzleramt hatte er versichert, der deutsche Markt spiele eine zentrale Rolle in der Strategie seines Konzerns. Dazu würde ein auf das deutsche Publikum zugeschnittenes lokales Angebot gehören, unter anderem mit mehr Nachrichten. München werde als Standort weiterentwickelt sowie ein Medien- und Streaming-Plattformgeschäft aufgebaut. Man setzt nun auf kostengünstige Dauerserien, die Publikum binden, weniger auf Hochglanzprodukte, die es in die Feuilletons schaffen.

Im Umfeld jedoch konsolidiert sich der überbesetzte Streamingmarkt. So kaufte in den USA die von Larry Ellison und seiner Familie kontrollierte Medienfirma Skydance den Konkurrenten Paramount, inklusive dessen Steamingdienst. Als nächstes soll Warner Bros. Discovery ins Netz der Ellisons gehen - Discovery war einst Partner von ProSiebenSat.1 bei Joyn.

"Evidente Herausforderungen"

Georg Kofler, Gründungschef von ProSieben, analysiert die Lage so: "Im linearen Fernsehen muss man aufpassen, dass das Geschäftsmodell nicht erodiert. Es kommt darauf an, die digitale Transformation und die Europäisierung mit Entschlossenheit anzugehen." Die größten Synergien bestünden nach Berlusconis Deal darin, "dass sich die Programm-Macher der einzelnen Länder mit ihren kreativen Ideen befruchten".

Vermutlich werde es aber mindestens ein Jahr dauern, bis die Effekte der wirtschaftlichen Konsolidierung tragen, glaubt Kofler: "Das ist keine leichte Aktion, ProSiebenSat.1 steht vor evidenten Herausforderungen. Danach könnte man eventuell überlegen, weitere Partner für das Streaming-Geschäft zu holen." Im aufgewühlten Fernsehmarkt gilt nun einmal: Nach dem Deal ist vor dem Deal.

Hans-Jürgen Jakobs Copyright: Foto: "Handelsblatt Darstellung: Autorenbox Text: Hans-Jürgen Jakobs ist Senior Editor beim "Handelsblatt".



Zuerst veröffentlicht 26.09.2025 08:50 Letzte Änderung: 26.09.2025 11:14 (Klarstellung: Der italienische Kassationsgerichtshof sprach Pier Silvio Berlusconi 2016 letztinstanzlich frei.)

Hans-Jürgen Jakobs

Schlagworte: Medien, Medienwirtschaft, Unternehmen, ProSiebenSat.1, Berlusconi, MFE, Jakobs, NEU

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