Der Unperfekte - epd medien

24.11.2025 11:58

Nach drei Jahren Vorarbeit ist es nun so weit: Der Reformstaatsvertrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kann am 1. Dezember in Kraft treten, alle 16 Landesparlamente haben zugestimmt. Ob dies der Fall sein würde, war wenige Wochen vor dem Fristende für die Ratifizierung immer noch unklar. Michael Ridder blickt auf die Inhalte der Novelle, die sich seit dem Beginn der Reformüberlegungen teils stark verändert haben.

Was leistet der Reformstaatsvertrag?

Roger de Weck, Bettina Reitz, Heike Raab, Annika Sehl, Julia Jäkel, Maria Exner, Oliver Schenk und Mark Cole (v.l.) bei der Übergabe der Empfehlungen des Zukunftsrats im Januar 2024

epd Der Schlussakt im Ratifizierungsverfahren war in Brandenburg angesetzt. Als letztes der 16 Länder-Parlamente stimmte am 19. November der Potsdamer Landtag dem Reformstaatsvertrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu. Allerdings votierte beim SPD-Koalitionspartner BSW nur der stellvertretende Ministerpräsident Robert Crumbach für die Novelle. Die meisten BSW-Abgeordneten stimmten dagegen, einige beteiligten sich nicht. Ohne die Zustimmung der oppositionellen CDU wäre es schiefgegangen.

Die monatelange Diskussion über das Verfahren hat die Auseinandersetzung mit den Inhalten der Novelle in den Hintergrund gedrängt. Ein Blick zurück in den Herbst 2022: Dort begann alles mit der Idee eines "gesamtgesellschaftlichen Runden Tischs" (Tom Buhrow) oder eines "Herrenchiemseer Konvents" für den Rundfunk (Bayerns Medien-Staatsminister Florian Herrmann), was große Erwartungen schürte. Diese wurden nicht kleiner, als die Bundesländer im Jahr darauf einen mit Expertinnen und Experten besetzten "Zukunftsrat" einsetzen.

Bestenfalls Minimalkompromiss

Der große Wurf schien tatsächlich denkbar, die tiefgreifende Reform, die ARD und ZDF (und dem Rundfunkbeitrag) wieder mehr Akzeptanz in der Gesamtbevölkerung bringt. Blickt man nun vom Ergebnis her auf die Anfänge des Reformprozesses, dann muss leider konstatiert werden, dass auf dem Weg sehr vieles verloren gegangen ist. Der Reformstaatsvertrag in der nach vielen Überarbeitungen verabschiedeten Form ist bestenfalls ein Minimalkompromiss, der vielfach in Ansätzen steckenbleibt - und der auch als Sparprogramm wahrscheinlich nicht halten kann, was mit ihm versprochen wurde.

So ist beispielsweise ungewiss, ob die Reduzierung der TV-Spartenkanäle und der ARD-Radiosender Wirkung zeigen wird. Das gilt sowohl für den finanziellen Impact als auch für die angestrebte bessere Balance im dualen Rundfunksystem. Zukunftsrats-Mitglied Roger de Weck kritisierte Ende 2024 in einem epd-Interview, der Abbau von Kanälen löse keine Strukturprobleme und bringe wenig Geld. Und der Privat-Medienverband Vaunet erklärte im September, die sogenannte ARD-Radiostrategie bleibe deutlich hinter den von den Ländern formulierten Anforderungen zurück und verschärfe die schwierige Wettbewerbssituation für die privaten Anbieter weiter.

Deutlicheres Signal wünschenswert

Ein anderes Beispiel ist die Deckelung des Sportrechte-Budgets von ARD und ZDF auf fünf Prozent der zusammengerechneten Gesamtausgaben der Sender. Damit wird das Budget auf dem aktuellen Niveau eingefroren, was offenbar einer Intervention der Sender zu verdanken ist: In einem vorherigen Entwurf der Rundfunkkommission war die Bezugsgröße der "gesamte Programmaufwand" in einer Beitragsperiode gewesen, in einem noch früheren Entwurf sollte der Rechteerwerb zuzüglich der Programmherstellungskosten im Bereich Sport ins Verhältnis zum Gesamtprogrammaufwand gesetzt werden.

Mal abgesehen davon, dass Teile des internationalen Sportrechte-Markts - siehe Paramount und die Champions League - inzwischen aus so großen Geldkoffern gespeist werden, dass ARD und ZDF nicht einmal mehr im Ansatz mitbieten können: Ein deutlicheres Signal wäre möglich und wünschenswert gewesen. Zu begrüßen ist indes die neue Vorgabe, dass der Sport "in seiner Breite in Rundfunk und Telemedien abgebildet wird". Insbesondere sollen "auch solche Sportarten und Sportereignisse von gesellschaftlicher Bedeutung Ausdruck finden, die keiner oder nur einer geringen kommerziellen Vermarktung unterliegen".

Steuerungs- und Verantwortungsdefizit

Einige wichtige Ideen des Zukunftsrats haben die Bundesländer bis zur Unkenntlichkeit abgewandelt. Statt der vorgeschlagenen zentralen Geschäftsführung für die ARD ist nun lediglich vorgesehen, dass einzelne ARD-Anstalten eine Federführungsfunktion für bestimmte Aufgaben übernehmen - vor allem im technischen und administrativen Bereich. Mehrere Mitglieder des Zukunftsrats kritisierten dies deutlich als nicht ausreichend. Zu Recht: Wer zuletzt die chaotischen Kommunikations- und Entscheidungsabläufe bei den umstrittenen Personalien Thilo Mischke und Julia Ruhs verfolgt hat, kann nicht umhinkommen, ein großes Steuerungs- und Verantwortungsdefizit in der ARD wahrzunehmen.

Pikant war, dass auch der ARD-Vorsitzende Florian Hager es bedauerte, dass die Politik das Modell einer ARD-Geschäftsführung nicht umgesetzt hat. "Ich bin persönlich davon überzeugt, eine Geschäftsführung wäre besser gewesen", sagte der HR-Intendant im Frühjahr in einem epd-Interview. Das Modell hätte seiner Ansicht nach geholfen, strukturelle Veränderungen in der ARD "stringenter aufzustellen".

Der Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder, Alexander Schweitzer (SPD), konterte im Sommer: Nichts von dem, was im Reformstaatsvertrag festgelegt sei, hänge "an dieser rein strukturellen Frage". Es sei "in erster Linie eine Frage der Binnenorganisation", befand der rheinland-pfälzische Ministerpräsident. Doch ist es ja gerade die Veränderung der Binnenorganisation, mit der sich die ARD traditionell mehr als schwertut.

Drittel-Kontingent voll ausgeschöpft

Die Expertinnen und Experten des Zukunftsrats hatten außerdem empfohlen, dass es bei ARD, ZDF und Deutschlandradio künftig jeweils einen pluralistisch besetzten Medienrat geben soll, der die Auftragserfüllung überprüft. Ein kleinerer, überwiegend mit Experten besetzter Verwaltungsrat sollte in jeder der drei Organisationen die oberste strategische Verantwortung tragen und die Kontrolle über die Geschäftsleitung haben. Diese Organe sollten die bisherigen Aufsichtsgremien ersetzen.

Laut dem Reformstaatsvertrag kommt stattdessen - zusätzlich zu den bisherigen Gremien - ein neuer Medienrat aus sechs Sachverständigen, der die Auftragserfüllung im Ganzen überprüfen soll. Zwei Sachverständige werden von der Gremienvertreterkonferenz der ARD (die unter dem neuen Namen erstmals gesetzlich formulierte Aufgaben erhält) und jeweils einer vom ZDF-Fernsehrat und vom Deutschlandradio-Hörfunkrat. Zwei Mitglieder des Gremiums werden durch die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder berufen - hier schöpft die Politik also wieder einmal das ihr vom Bundesverfassungsgericht zugestandende Drittel-Kontingent voll aus.

"Nachgewiesene Sachkunde"

Maßgeblich für die Auswahl der Sachverständigen ist ihre für die Aufgaben nötige "nachgewiesene Sachkunde", was aber im Staatsvertrag nicht näher definiert wird. Das neue Gremium erstattet alle zwei Jahre einen Bericht über seine Evaluierung. "Stellt der Medienrat in einem oder mehreren Bereichen Mängel in den Verfahren und ihrer Anwendung oder bei der Auftragserfüllung fest, haben die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sich unter Einbeziehung ihrer Gremien hiermit zu befassen und mögliche Maßnahmen zu erörtern", heißt es im Staatsvertrag.

Welche konkreten Auswirkungen dies haben wird, muss abgewartet werden. Schon die Besetzung des Medienrats dürfte interessant werden, insbesondere bei den beiden Personen, die von der Politik berufen werden. Zu hoffen ist, dass sich das neue Gremium nicht in Klein-Klein-Betrachtungen umstrittener Einzelsendungen ergeht, sondern wirklich das Ganze in den Blick nimmt. Vaunet-Chef Claus Grewenig hatte beispielsweise im vergangenen Jahr gefordert, der Kauf und die Sublizenzierung von Sportrechten müssten ein Thema für den Medienrat sein.

Auswirkung auf Formatentscheidungen

Wenig zukunftsweisend ist der Reformstaatsvertrag dort, wo er Regelungen, die schon bisher anachronistisch anmuteten, noch weiter verschärft - etwa beim Verbot "presseähnlicher" Internetangebote von ARD und ZDF. In der Aussprache im sächsischen Landtag im Oktober kritisierten Sprecherinnen und Sprecher fast aller Fraktionen die Verschärfung, sogar Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) gestand ein, die Frage der Presseähnlichkeit sei im Staatsvertrag nicht optimal geregelt. Er versprach, sich bei künftigen Novellen für Nachbesserungen einzusetzen.

Der Neuregelung zufolge sind zulässige sendungsbegleitende Texte "Sendungstranskripte, Zusammenfassungen der wesentlichen Inhalte einer Sendung sowie solche, die der nachträglichen Aufbereitung von Inhalten aus einer konkreten, nicht länger als vier Wochen zurückliegenden Sendung einschließlich Hintergrundinformationen dienen". Das hat Folgen, die tief in die Formatentscheidungen öffentlich-rechtlicher Redaktionen hineinwirken.

In der Debatte im sächsischen Landtag wurde etwa von Gesprächen mit ARD-Verantwortlichen aus dem mittleren Management berichtet, wonach nun mehr "Alibi-Videos" produziert werden müssten, damit man Bewegtbild habe, zu dem dann Text gestellt werden könne. Das gilt auch für Audios, wie ein aktuelles Beispiel zeigt: Die Medienkolumne "Altpapier" des MDR-Portals "Medien360G" erscheint nun als kurzes Audio-Format unter dem Namen "Das Altpapier - Dein tägliches Medien-Update". Im Mittelpunkt steht ein moderiertes Gespräch von fünf bis zehn Minuten Dauer, die gewohnte Textkolumne erscheint staatsvertragskonform "begleitend zum Audioformat".

Großer Lobby-Einfluss

Ob die Zeitungsverleger-Lobby, die weiterhin einen erstaunlich großen Einfluss auf die Regierungschefs der Länder hat, aus dieser Neuregelung irgendwelche nennenswerten Vorteile ziehen kann, ist mehr als fraglich. Zum einen wegen der Studienlage: Eine im Oktober 2024 veröffentlichte Goldmedia-Untersuchung im Auftrag der ARD ergab, dass Pressemedien nicht stark von einer Reduktion des Textangebotes von ARD und ZDF im Internet profitieren würden. Eine Studie von Schweizer Medienforschern legte jüngst nahe, dass Menschen, die Online-Angebote öffentlicher Medien nutzen, auch häufiger die Angebote von Abonnementmedien konsumieren als Personen, die keine öffentlichen Medien nutzen.

Zum anderen scheinen die Verleger inzwischen selbst erkannt zu haben, dass der Feind woanders steht. Dass der Anfang Oktober auch in Deutschland eingeführte "KI-Modus" von Google bei Suchanfragen Antworten ohne die bisher übliche vorrangige Verlinkung zu den Originalquellen liefert, rief den Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) auf den Plan. Er forderte eine sofortige politische und regulatorische Prüfung. Kurz darauf teilte der BDZV mit, das vor rund anderthalb Jahren bei der EU-Kommission angestoßene Beihilfeverfahren zu den Textangeboten der öffentlich-rechtlichen Sender ruhen lasse. Es gebe konstruktive Gespräche.

Kooperation mit Privaten gefordert

Was ändert sich noch mit dem Reformstaatsvertrag? ARD, ZDF und Deutschlandradio sind aufgefordert, in ihren Angeboten "zielgruppengerechte interaktive Kommunikation mit den Nutzern" sowie "verstetigte Möglichkeiten der Partizipation" anzubieten. Sie sollen, was eigentlich selbstverständlich ist, ihre Bildungsangebote "leicht nutz- und auffindbar" machen und "Partnerschaften insbesondere mit Bildungs- und Kultureinrichtungen" anstreben.

Die Novelle hält die öffentlich-rechtlichen Sender außerdem zur Kooperation auch mit privaten Akteuren an. "Kooperationen können insbesondere eine Verlinkung (Embedding) oder sonstige Vernetzung öffentlich-rechtlicher Inhalte oder Angebote, vereinfachte Verfahren der Zurverfügungstellung öffentlich-rechtlicher Inhalte oder die gemeinsame Nutzung von Infrastrukturen beinhalten", heißt es wörtlich. Der Medienrechtler Dieter Dörr hat kürzlich allerdings aufgezeigt, der dieser Soll-Vorschrift auch Grenzen gesetzt sind.

Hintertüren offen

Die häufig populistisch geführte Diskussion über außertarifliche Gehälter, insbesondere bei den Intendantinnen und Intendanten der Sender, versucht der Reformstaatsvertrag mit einer neuen Vorgabe einzufangen. "Die Höhe der Gesamtvergütung hat sich an den Bezügen im öffentlichen Sektor einschließlich vergleichbarer öffentlicher Unternehmen zu orientieren", heißt es. Auch der Zukunftsrat hatte in seinem Bericht "funktionsadäquate Gehälter" gefordert. Dass der Staatsvertrag vom öffentlichen "Sektor" spricht statt vom öffentlichen Dienst, lässt allerdings Hintertüren offen.

Mehr als ein Anfang kann der Reformstaatsvertrag insgesamt nicht sein, zumal die zeitgleiche Verabschiedung eines neuen Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrags gescheitert ist. Reform und Rundfunkbeitrag seien nicht verfahrensmäßig, aber politisch untrennbar verknüpft, sagte Anfang 2024 die rheinland-pfälzische Medienstaatssekretärin Heike Raab (SPD). Ein Ende dieser Verknüpfung ist nun fest angebunden, während das andere in der Luft hängt.

Michael Ridder Copyright: epd-bild/Heike Lyding Darstellung: Autorenbox Text: Michael Ridder ist stellvertretender Verantwortlicher Redakteur von epd medien.



Zuerst veröffentlicht 24.11.2025 12:58 Letzte Änderung: 24.11.2025 14:14

Michael Ridder

Schlagworte: Medien, Rundfunk, Bundesländer, NEU

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