27.01.2025 09:10
epd Dass die Plage von "Hass und Hetze" im Netz ganz etwas Neues ist, darf bezweifelt werden. Auch vor der Erfindung des World Wide Web gab es das schon - dafür genügten Zeitungen, elektronische Medien und der Rumor. Wenn jetzt die Filmemacherin Cordula Echterhoff an Heinrich Böll und sein berühmtestes Buch "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" erinnert, so tut sie das nicht deshalb, weil das Werk vor 50 Jahren erschien, man also ein Jubiläum feiern könnte, sondern um darauf zu verweisen, dass die Probleme mit medialen Schmähungen sehr alt sind und wir lange versäumt haben, jenen Zivilisationsschritt zu gehen, der sie lösen könnte.
Heute reden wir von Hatespeech, vor 50 Jahren (und davor) hieß es Rufmord. Böll hat versucht, die Zusammenhänge zu verstehen und literarisch für das Verständnis aller aufzubereiten. Was er herausfinden wollte, hat er so formuliert: "Wie Gewalt entsteht und wohin sie führen kann." Cordula Echterhoff und Birgit Schulz knüpfen hier an und liefern eine aktuelle filmische Version der Problemstellung.
Die Dokumentation zeigt erst einmal Böll, wie er an seiner Schreibmaschine sitzt, auch wie er mit seinen großen runden Augen unter der Baskenmütze hervorschaut - das sind ikonische Bilder, Erinnerungen an einen Schriftsteller, der in den frühen 70er Jahren als das moralische Gewissen der Nation galt. Es folgen Sequenzen aus dem Film "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" mit Angela Winkler in der Hauptrolle, den Margarethe von Trotta und Volker Schlöndorff bald nach dem Erscheinen des Buches drehten. Die beiden sind auch in aktuellen Interviews zu sehen und zu hören, Schlöndorff fasst zusammen, worum es in Buch und Film geht: Das Buch sei ein "Pamphlet für die Menschlichkeit", es gehe um "den Humanismus, diesen uralten Zopf".
Wo heute auf Internetplattformen gehetzt wird, hat sich seinerzeit "Bild" hervorgetan. Böll hat sich mehrfach mit der Boulevardzeitung angelegt, wie auch die Aktivisten der Studentenbewegung, die einst "Enteignet Springer" riefen und nach dem Attentat auf Rudi Dutschke die Auslieferung der Zeitung gewaltsam verhinderten ("Bild hat mitgeschossen"). Böll stellte sich auf die Seite der Studenten, sogar die RAF versuchte er zu Beginn zu verstehen. Seine Katharina Blum ist Opfer einer Schmutzkampagne der "Bild" (die im Film "Zeitung" heißt), am Ende erschießt sie ihren Rufmörder. So kann es gehen, sagt Böll, mäßigt Euch, ihr Schreiberlinge, sonst kommt es zur Eskalation.
Als die Katharina Blums von heute haben die Filmemacherinnen Schriftstellerinnen und Aktivistinnen vor die Kamera geholt, die mit Drohungen und Beschimpfungen im Netz konfrontiert werden und sich zur Wehr setzen. Sie heißen Rokhaya Diallo, Sharon Dodua Otoo, Katja Diehl und Anne Rabe und beziehen Stellung im Sinne Bölls und Schlöndorffs für Menschlichkeit und Würde. Sie alle wurden für ihr Engagement angegriffen und zwar bösartig.
Was tun? Ist Ehre ein Wort ohne Sinn? Schlöndorff meint, es sei ein Synonym für Würde. Warum wird die Würde des Einzelnen so leicht, so gern, so oft gekränkt - einst wie jetzt? Eine Antwort gibt der Film nicht. Zeitzeuge Günter Wallraff betont, die Sache mit der verlorenen Ehre sei immer noch ein wichtiges Thema. Am Ende zeigt die Doku jene Filmszene, in der Katharina Blum ihren Quälgeist erschießt. Das ist eine Warnung. Denn die Anfänge von Gewalt liegen eben nicht selten in tödlich verletzenden Worten.
Die Dokumentation ehrt den Dichter und Nobelpreisträger Böll auf die bestmögliche Weise, indem sie dieses Thema aufgreift und aktualisiert. Dass ausschließlich Frauen als Opfer von Hass und Hetze auftreten, ist richtig, denn es trifft sie in der Tat sehr viel häufiger als Männer. Dass sie sich gern eine Pistole besorgen und abdrücken würden, sagt keine dieser Frauen, aber die Frage einer Gegenwehr, die nicht den Klageweg geht, klingt unterschwellig an.
Die Montage dieses Films muss eine große Herausforderung gewesen sein: Es gibt zwei Zeitebenen, das Heute und die 1970er Jahre, es gibt jetzt lebende Opfer von verbaler Gewalt und jene Katharina, die eine Fiktion ist, aber für die zornige Jugend von damals steht, für die Böll Partei ergriff. Es gibt Szenen aus dem Film über die fiktive Katharina und viele Szenen aus jenen Straßenkämpfen, die sich in der Realität ereigneten, als Buch und Film entstanden. In diesem Geflecht von Ereignissen und Reaktionen, von Statements unserer heutigen Zeitgenossen und der Zeitzeugen von einst galt es, mit ruhiger Hand zu verknüpfen, zu staffeln, zu verbinden und die Übergänge geschmeidig zu halten. Das ist gut gelungen. "Das Erbe einer Erzählung", wie der Untertitel heißt, wurde wahrhaft angetreten. Chapeau!
infobox: "Heinrich Böll: 'Katharina Blum lebt!' - Das Erbe einer Erzählung", Dokumentation, Regie und Buch: Cordula Echterhoff, Birgit Schulz, Kamera: Frank Kranstedt, Julien Prause, Produktion: Bildersturm Filmproduktion (Arte/ZDF, 15.1.25, 21.50-22.45 Uhr, Arte-Mediathek bis 14.4.25)
Zuerst veröffentlicht 27.01.2025 10:10
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KArte, Dokumentation, Echterhoff, Schulz, Sichtermann
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