12.03.2025 09:10
epd Spätestens seit dem Aufkommen der Neuen Frauenbewegung in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts gibt es den Spruch: Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine Frau, die ihm den Rücken frei hielt, die Kärrnerarbeit und den Papierkram erledigte oder sonstwie von Nutzen war. Beispiele gab es en masse. Inzwischen gibt es eine aggressivere Variante, die besagt: So mancher erfolgreiche Mann verdankt seinen Erfolg einer Frau, die er beklaut hat. Soll heißen: Die Frau hat etwas entwickelt, entdeckt oder erfunden, drang aber damit nicht durch. Der Mann nahm es ihr weg, publizierte es unter seinem Namen und voilà, er kam zu Ruhm mit ihrer Idee oder Erfindung, und sie geriet in Vergessenheit.
Die Autorin Leonie Schöler hat das Phänomen erkundet und ein Buch darüber geschrieben. Es heißt "Beklaute Frauen. Denkerinnen, Forscherinnen, Pionierinnen. Die unsichtbaren Heldinnen der Geschichte". Es ist zugleich ein Who is Who der männlichen Ideendiebe, von Bertolt Brecht bis Pablo Picasso. Jetzt haben Filmemacher die Autorin als Presenterin für zwei von ihnen dokumentierte "Fälle" aus dem Buch eingesetzt. Schöler erklärt, was es auf sich hatte mit dem weltweit bekannten und beliebten Spiel "Monopoly" sowie mit der Entzifferung der DNA, der Antwort auf die Frage: Was ist Leben? In beiden Fällen gelangten Männer als Erfinder und Erforscher zu Ansehen und Vermögen, doch es waren Frauen, die vor ihnen die ganze Arbeit geleistet hatten. Wenigstens im Nachhinein sorgt Schöler auf diese Weise für ein wenig ausgleichende Gerechtigkeit.
Die im Jahre 1866 in Illinois geborene Elizabeth Magie wächst in einer Familie politischer Aktivisten auf. Der Vater ist Gegner der Sklaverei, die Tochter möchte nicht den üblichen Weg gehen und schließt sich, statt zu heiraten, den Suffragetten an. Sie arbeitet als Stenotypistin und entwickelt in ihrer Freizeit das Spiel "The Landlord's Game", in dem sie versucht, Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen unterzubringen 1903 meldet sie ein Patent an. Das Spiel sollte "das Übel der Geldvermehrung auf Kosten anderer" anprangern, so hatte sie es geplant.
Eine regelrechte Industrie für Brettspiele gab es seinerzeit noch nicht, man kopierte händisch umlaufende Versionen und reichte sie weiter. Als 1929 die Weltwirtschaftskrise ausbricht, haben die Menschen ohnehin andere Sorgen, die große Depression verdirbt ihnen das Spiel. Aber wenn die Krise vorbei ist, wird natürlich wieder viel gespielt, das wusste ein gewisser Charles Darrow, dem das "Landlord's Game" untergekommen war. Er kopierte es, wandelte es ab, setzte nicht auf Kapitalismuskritik, sondern auf Gier und vermarktete es als "Monopoly". Lange galt er als der Erfinder des Spiels, er verdiente ein Vermögen damit, bis im Verlaufe eines Rechtsstreites herauskam, dass die Idee des Spiels von Elizabeth Magie stammte, der er ihr Patent für eine vergleichsweise lächerliche Summe abgekauft hatte.
Die Filmemacher Katja Runge und Henning von Lil erzählen die Geschichte der beklauten Frau Magie (als sie dann doch noch heiratet, heißt sie mit Nachnamen Phillips) mit viel Zeitkolorit - man sieht die Märsche der Frauen für das Wahlrecht 1913, man erahnt das Lebensgefühl der Zeit und die Motive der klugen "Lizzy", als sie ihr Spiel entwirft. Die beiden Autoren gehen auch ins Heute und stellen den Spielesammler de Carolis aus Neapel vor und die Spieleentwicklerin Sophia Wagner, die meist die einzige Frau und lauter Kerlen ist - die Welt der Spiele ist immer noch eine Men's World.
Im zweiten Teil wird Rosalind Franklin vorgestellt, eine hochbegabte Biochemikerin, 1920 in London geboren, nach einem Studium in Cambridge am King's College London tätig. Sie ist eine Ausnahmeerscheinung, eine verschlossene Frau, ganz ihrer Forschungsarbeit hingegeben. Sie züchtet Kristalle und analysiert deren Moleküle mittels Röntgenstrahlen. Das klingt sehr abstrakt, ist aber die Grundlage für die Erforschung und Erfassung der Doppelhelixstruktur der DNA, also die biochemische Antwort auf die Frage, was Leben ist.
She never gave up.
Franklin war die erste, die diese Struktur verstand. Zwei Biochemikerinnen von heute, Liz Duke und Isabel Bento kommen im Film zu Wort und bemühen sich, diese hochspezialisierte Forschung und Franklins Rolle darin zu erklären. Es gehörte viel Beharrlichkeit dazu, über die Wechselwirkung zwischen Atomen und Molekülen aufzuklären, und Rosalind Franklin besaß dieses Durchhaltevermögen: "She never gave up."
Der Filmemacher Sven Reich lässt seine viel zu früh, im Jahre 1958 an Krebs verstorbene Heldin von verschiedenen Seiten noch mal ins Leben treten. Die Wissenschaftshistorikerin Patricia Fara aus Oxford würdigt Franklins Verdienste. Die Nichte Shirley Franklin, die heute noch das Grab pflegt, hat ihre Tante als lebensfrohe Person in Erinnerung: "Sie war eine bescheidene Frau. Sie hätte all die Bewunderung nicht gewollt."
Die Bewunderung für Franklins Forschung heimsten andere ein - ihre Kollegen James D. Watson und Francis Crick. Diese beiden bauten auf Franklins Resultaten auf, ernteten die Lorbeeren in Gestalt des Nobelpreises und unterschlugen dabei ihren Namen. Die Krebserkrankung übrigens, der Franklin erlag, ging mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Röntgenstrahlung zurück, der die Forscherin oft ausgesetzt war und deren Gefährlichkeit man damals noch nicht kannte.
Auch Sven Reich erzählt seine Geschichte vom Ideenklau und vom Totschweigen der Verdienste einer genialen Frau nach sorgsamer Recherche einfühlsam, nachvollziehbar, anhand trefflicher historischer Aufnahmen und luzider Erklärsequenzen schlicht, gradlinig und ohne Häme. Den beiden Dokus, der über die erfinderische Lizzy und der über die unentwegte Rosalind hätte als Motto dieser Satz vorangestellt werden können: "Ehre wem Ehre gebührt." Besser spät als nie.
infobox: "Gestohlener Ruhm", zweiteilige Dokumentation, 1. "Elizabeth Magie Phillips und Monopoly", 2. "Rosalind Franklin und die DNA", Regie und Buch: Katja Runge, Henning van Lil, Sven Reich, Kamera: Thomas Henk Henkel, Moritz Merz, Produktion: Telekult (Arte/WDR, 6.3.25, 20.15-21.40 Uhr, Arte-Mediathek, bis 4.6.25)
Zuerst veröffentlicht 12.03.2025 10:10
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KArte, KWDR, Dokumentation, Runge, van Lil, Reich, Sichtermann
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