Suche nach Zusammenhängen - epd medien

12.02.2025 09:10

Für das Hörstück "Orakelmaschine" hat sich Heiner Goebbels in Sprach- und Klangwelten auf die Suche nach Antworten auf zentrale Fragen gemacht. Sein Stück verbindet Soundscapes und Zitate zu einer Komposition, die zur Reflexion einlädt.

In der 1873 gegründeten Völklinger Hütte, heute Weltkulturerbe, nahm Heiner Goebbels für sein Hörstück metallische Sounds und Maschinengeräusche auf

epd Wie geht es weiter? Und wie wird es ausgehen? Solche Fragen beantwortete in konkreten Fällen die Pythia, das antike Orakel von Delphi, traditionell gerne mit Rätseln, deren Vieldeutigkeit weitere Ratlosigkeit weckte. Dazu passt in mancher Hinsicht Heiner Goebbels‘ Orakelmethode in seinem neuen Hörstück. Die bewegten, scharf gestochenen Klangmontagen wirken wie immer bei Goebbels suggestiv und sind für Überraschungen gut. Doch die großen kontrastreichen Szenarien schaffen diesmal keine eindeutigen Verbindungslinien zwischen den verschiedenen Themenblöcken. "Orakelmaschine" ist ein Hörstück, das uns immer wieder auf die Suche nach Zusammenhängen schickt. Nicht zufällig gleicht es darin der Realität.

Heiner Goebbels' renommiertes, umfangreiches Musiktheaterschaffen für Bühne und Funk setzte sich jahrzehntelang vielperspektivisch mit prominenten Autoren auseinander. So lehnte er sich beispielsweise gerne an Heiner Müller an, gab aber auch dessen Werk sein eigenes, neues Gewicht. Goebbels erschloss und umspielte seit den 80er Jahren ganze Stücke Heiner Müllers. Zudem aktualisierte er Kierkegaards existenzielle Sichtweisen, indem er große Teile von dessen Essay "Die Wiederholung" im gleichnamigen preisgekrönten Hörstück 1997 mit Musik- und Soundsequenzen versetzte und durchdachte. Zuletzt ergründete er in "Gegenwärtig lebe ich allein" in musikalischer Interaktion mit Henri Michaux' Texten das Vermächtnis dieses Weltreisenden und Poeten.

Field-Recordings aus der Völklinger Hütte

Diesmal riskiert Goebbels mehr Offenheit, mehr Brüche und Sprünge denn je, wenn er "Orakelmaschine" ohne eine dominante kontinuierliche Textstütze entwickelt. Nur vereinzelt streut er Zitate ein, während er sich auf einen Gang durch allerlei klangvolle Lebensbereiche begibt. Seine Soundscapes werden durchweg bewegt von elektronischer Musik der Gruppe The Mayfield, in der Goebbels selbst präpariertes Klavier spielt. Sie umspannen eine Park-Idylle mit zwitschernden Vögeln, folkloristische Solo-Gesangseinblenden aus Griechenland, Kroatien und Litauen oder der Ukraine. Besonders raumgreifend aber wirken die Field-Recordings aus dem stillgelegten industriellen Eisenwerk Völklinger Hütte, das als Weltkulturerbe zu besichtigen ist und hier mit einer klangfarbenreichen Skala von metallischen Sounds und Maschinengeräuschen lockt.

Wo gibt es heute inmitten solcher Vielfalt Antworten auf zentrale Fragen? Als moderne Pythia profiliert sich die französische Autorin Marguerite Duras in historischen O-Ton-Interviewausschnitten. Sie stellt den Mangel an Antworten fest. Schon vor dem Siegeszug der Smartphones wagt sie die Diagnose, dass dieser Mangel mit einem Übermaß an Informationen aus dem Fernsehen und an Bildschirmen rundum einhergehe. Doch eines Tages, meint sie, werde ein Mensch, einmal ganz alleingelassen, wieder sein Glück, sein Unglück, seine Freiheit entdecken.

Kein finaler Crash

Mit anderen Kategorien kommt Helmut Heißenbüttel, Begründer und Schöpfer experimenteller Sprachspiele, zu Wort. Mit naiver Präzision unterscheidet er zwischen "Gegenden" und "Landschaften": "Gegend ist was, wo man sowieso ist und Landschaften was, wo man sich was vorstellen kann." In diesem Sinn sind Goebbels' Klangmontagen natürlich allesamt Landschaften. Eine Landschaft besonderer Art entwirft in "Orakelmaschine" eine Szene aus dem Roman "Thomas, der Dunkle" des französischen Autors Maurice Blanchot: Was als Aufbruch ins Freie beginnt, führt da albtraumartig in ein Kellergefängnis.

Am Ende des Hörstücks wiederholt Hannah Arendt mit ihrer charakteristisch herben Stimme dreimal ein Zitat aus Brechts Oper "Mahagonny": "Wir brauchen keinen Hurrikan, wir brauchen keinen Taifun. Was er an Schrecken tun kann, das können wir selber tun." In diesem schmissigen Satz liegen alle Risiken der Welt. Vielleicht aber enthält seine Einsicht auch eine Rest-Chance zur Vorsicht. Jedenfalls folgt hier kein finaler Crash, sondern Goebbels' nachdenkliches Klavierspiel.

infobox: "Orakelmaschine", Hörstück, Regie und Komposition: Heiner Goebbels (SWR/DLF Kultur, 1.2.25,23.03-24.00 Uhr, ARD-Audiothek seit 1.2.25)



Zuerst veröffentlicht 12.02.2025 10:10 Letzte Änderung: 12.02.2025 18:15

Eva-Maria Lenz

Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KSWR, KDLF Kultur, Hörstück, Goebbels, Lenz, NEU

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