08.11.2024 08:46
epd Es ist Younes' erster Schultag an der Stadtteilschule Wandsbek, er ist von Hannover nach Hamburg gezogen. Hannover? "Kenn ich nich", sagt Shirin (Manal Raga a Sabbit) zu Younes (David Ali Rashed) in der ersten von sehr vielen Schulhofszenen, die "KEKs" tragen. Doch bevor er mit Shirin zusammentrifft, wird Younes erst einmal von seiner neuen Schulleiterin Sabine Bischoff (Bettina Hoppe) angefahren. Die verlangt, Younes' blutende Nase hin oder her, 160 Euro für den Lackschaden, in bar bis zum Ende des ersten Schultages. Wie gut, dass der neue Lehrer Elias Schneider (Hassan Akkouch) sein Portemonnaie mitgebracht hat und Younes sich direkt auch mit Amadou (Aaron Maldonado Morales) und Rocky (Vito Sack) anfreundet, die dem Lehrer ohne viel Aufwand den Geldbeutel entwenden. "Sie gehen doch auch nicht mit Kleidern in die Badewanne", wird Bischoff später den neuen Lehrer tadeln.
Comedy aus der Brennpunktschule: Das klingt sehr nach "Fack Ju Göhte", womit "KEKs" selbst spielt, denn Lehrer Elias Schneider sieht aus wie "Göhte"-Hauptdarsteller Elyas M'Barek und wird deshalb von allen "Herr Elias" genannt. Aber gibt es im Genre Schulserie, ob komödiantisch oder nicht, überhaupt noch etwas Neues zu erzählen?
"KEKs" - "Kek" heißt in Jugendsprache so viel wie "Loser" oder "Feigling", ist aber auch ein Synonym für "LOL" - weiß tatsächlich zu überraschen, denn die Serie spielt nicht in Klassenzimmern, sondern meistens auf dem Pausenhof, allenfalls mal in der Turnhalle, die nachts kurzerhand zum Schauplatz für Hundekämpfe umfunktioniert wird. Die Schule ist hier Freizeitort, an dem Jungs sich "Testo" spritzen und Mädchen die Lippen auf, wo Lehrer und allen voran die Schulleiterin versuchen, sich irgendwie durch den Berufsalltag zu mogeln. Vorbild war die niederländische Serie "Herres", die dort beim öffentlich-rechtlichen Sender NPO3 lief.
Seinen Witz bezieht "KEKs" trotz des Settings nicht in erster Linie daraus, die Schüler als halbstarke, vorlaute Einfaltspinsel zu brandmarken, die Fails der Lehrer bloßzustellen, Teenagersorgen vorzuführen oder Schulhofhierarchien genüsslich auszuleuchten. All das spielt selbstredend eine Rolle, aber auf angenehm herunter gedimmte Art. So erlaubt das Team um Regisseur Leonard Fuchs sowie Headautorin und "Spiegel"-Redakteurin Nora Gantenbrink (Co-Autoren: Jakob Schreier und "Herr Elias" Hassan Akkouch) es den Zuschauern, sich ganz auf die Situationskomik der Szenen einzulassen. "KEKs" ist nur gelegentlich vorhersehbar, die Charaktere kippen kaum mal ins im Comedygenre so verlockende Schablonenhafte, bleiben angenehm ambivalent und liebenswürdig. Die Dialoge hat der Cast weitgehend improvisiert, lediglich die Rahmenhandlung war vorgegeben. Viel Verantwortung also auch für die Schauspieler.
Diese Ensembleleistung ist bei "KEKs" eindeutig geglückt. David Ali Rashed ("Die Discounter") verortet Younes mit herrlich verkniffener Miene irgendwo zwischen Außenseitertum, Mitläufertum und zartem Mut zum Ausbruch. Manal Raga a Sabit ist eine echte Entdeckung und verbreitet als Shirin ein ansteckendes Selbstbewusstsein. Aaron Maldonado Morales verleiht dem von Abschiebung bedrohten Amadou eine betörende Naivität, Vito Sacks Rocky möchte man den Wunsch, richtig Kochen zu lernen, gerne erfüllen. Charles Booz Jakob mimt den Schulhofbabo Ufuk als stilechten Poser (Protz, Angeber), dessen Bedrohlichkeit allerdings schon auf den ersten Blick bröckelt und buchstäblich zur Farce wird.
Hassan Akkouch schwankt als Sympathieträger im Lehrerkollegium zwischen Empowerment der Schüler und der eigenen Hilflosigkeit, Sophie Hutter ist als Lehrerin Shiva Duvenkamp so entrückt wie deren Vorname und die Idee eines imaginären Hundes, den sie ihrem Schüler Rocky für einen Tag überlässt. Und allen voran schreitet Bettina Hoppe, die als schnoddrige Schulleiterin Sprüche klopfend "Stromberg"-Vibes versprüht, vor allem aber sympathisch unsympathisch ist.
Im Vorfeld wurde "KEKs" als kleine Schwester des Fremdscham-Klassikers "Jerks" (2017-2023) und dessen kleinen Bruders "Intimate" (zweite Staffel für Frühjahr 2025 erwartet) beworben. Wie "Jerks" wurde "KEKs" von Christian Ulmens Firma Pyjama Pictures produziert, wie bei "Intimate" führte Leonard Fuchs Regie. Doch für Fuchs ist es das erste Soloprojekt, ganz ohne Kollegen aus der Hamburger Freundesgruppe um Bruno Alexander sowie Emil und Oskar Belton, die hinter "Intimate" und "Die Discounter" stehen. Und während das Humorrezept von "Jerks" und "Intimate" darin besteht, die mittelalten beziehungsweise jungen männlichen Hauptdarsteller in Selbstbeschau-Manier auf immer neue Glatteisflächen der Fremdscham zu führen, hat "KEKs" einen horizontalen Spannungsbogen und eine etwas abwechslungsreichere, oft tiefgründigere Humorfarbe. Was nicht heißt, dass man auf wohlige Fremdscham-Momente verzichten muss. Die für "Jerks" und "Intimate" typischen Cameo-Auftritte von allerlei Prominenz sucht man in "KEKs" dagegen weitgehend vergeblich.
Weil "KEKs" keine typische Schulserie ist - Auftritt der Hamburger Schulsenatorin (Milena Dreissig) hin oder her - fällt auch gar nicht so sehr ins Gewicht, was sonst gerne und fast schon gebetsmühlenartig an diesem Genre kritisiert wird: Dass die Hauptdarsteller auch hier keine Teenager mehr sind, Vito Sack zum Beispiel ist Jahrgang 1995. "KEKs" ist vor allen Dingen eine Serie über die kleinen bis mittelgroßen Zumutungen des Alltags, die Vergeblichkeit der Dinge und die Holprigkeit des Lebens. Gute Comedy also.
infobox: "KEKs", achtteilige Comedyserie, Regie: Leonard Fuchs, Buch: Nora Gantenbrink (Head-Autorin), Jakob Schreier, Hassan Akkouch, Kamera: Philip Jestädt (ProSieben, ab 13.11.24, 23.35-00.05 Uhr, immer mittwochs und donnerstags und seit 16.10.24 bei Joyn)
Zuerst veröffentlicht 08.11.2024 09:46 Letzte Änderung: 08.11.2024 10:19
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), Comedy, Serien, KProSieben, KJoyn, Speck, NEU
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