19.02.2025 12:03
epd Spätestens seitdem Elon Musk außer als Eigentümer der Plattform X auch noch als enger Berater Donald Trumps in europäische Wahlkämpfe eingreift und seit sich auch Meta-Chef Mark Zuckerberg dem neuen US-Präsidenten anbiedert, wird vielen bewusst, wie schwierig es ist, die sogenannten sozialen Medien mit europäischen Gesetzen zu regulieren - schon weil ihre Zentralen nicht in Europa sitzen. Hätte das anders kommen können?
Dass es mal anders war, daran erinnert die Dokumentation "Gruschel mich! - Die StudiVZ-Story", die in der ARD-Mediathek steht. Die deutschen Plattformen StudiVZ und SchülerVZ wurden zu ihren besten Zeiten in den Jahren 2006, 2007 von "rund 17 Millionen Menschen" genutzt. Ihre Gründer lehnten ein Übernahmeangebot Zuckerbergs im Milliarden-Umfang ab. Darauf blickt Filmautor Fritz Lüders zurück. Er hat mit dem in Teheran geborenen, als Kind nach Deutschland geflohenen Gründer Ehssan Dariani und weiteren Zeitzeugen wie dem damaligen Chief Marketing Officer Dario Suter gesprochen.
Wenn ich Gefühle verletzt haben sollte, tut es mir leid.
Da die Gründer-"Boygroup" seinerzeit gerne in Berlin feierte, lässt sich die Zeit mit vielen Dokumenten, die damals auch auf die VZ-Netzwerke hochgeladen wurden, bebildern: Fotos mit rotstichigen Augen und ungelenk gefilmte Videos. Der Off-Kommentar schwelgt im melancholischen Tonfall des "Weißt Du noch ...?".
Außer auf das verrätselte Kunstverb "Gruscheln" setzte StudiVZ auf "Gruppen", also Foren, mit absurden und provokanten Namen wie "Dicke Kinder sind schwerer zu kidnappen" und "Brot kann schimmeln, was kannst Du?". "Mal ehrlich, in welcher warst Du?", fragt die Kommentarstimme das Publikum - als wüsste sie nicht, dass die ARD-Mediathek derlei Interaktionen nicht gestattet.
Dariani rollt für die NDR-Kameras auf einem Skateboard durch Hamburg und redet über vieles ähnlich eloquent, wie er einst in der "Harald-Schmidt-Show" vom Vorbild Facebook sprach. "Wenn ich Gefühle verletzt haben sollte, tut es mir leid", sagt er heute. Eine mit Sonnenbrille und Kappe getarnte Frau erzählt, wie sie sich in den Nuller Jahren, von Dariani betrunken auf Partys gefilmt, auf Youtube als "Mitte Chick" entdeckte. Auch dieses Video ist verpixelt in der ARD-Doku zu sehen.
Bald also zeigten sich auf StudiVZ "Belästigung, Rechtsextremismus, Propaganda", formuliert es Christian Stöcker, der als Journalist bei "Spiegel Online" die Entwicklung der Plattform verfolgt hat. Da "jeder hochladen konnte, was er wollte" fanden sich auf StudiVZ auch Kommentare zum türkisch-kurdischen Konflikt in Sprachen, die die Macher nicht verstanden, sagt einer von ihnen. Da könnte sich ein Kreis zur Gegenwart schließen. Unter ganz anderen Prämissen werden vergleichbare Diskussionen heute ähnlich hilflos über wirkmächtige globale Plattformen wie Facebook und Tiktok geführt.
Der damalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar erinnert daran, dass die Bedeutung des Themas Datenschutz im Internet in jenen Jahren vielen wegen Plattformen wie StudiVZ bewusst wurde. Und er berichtet, dass er ein Verschmelzen von StudiVZ und SchülerVZ verhinderte - womit er Facebook indirekt einen Vorteil verschaffte.
Leider erzählt die boulevardeske "Zapp"-Doku wenig über den langsamen Niedergang von StudiVZ, das erst 2022 final abgeschaltet wurde. Möglicherweise wollte sich niemand von der Verlagsgruppe Holtzbrinck, die die Plattform nach einem Bieterwettkampf mit Springer 2007 für 85 Millionen Euro gekauft hatte, äußern. Doch Autor Lüders hätte durchaus Experten finden können, die sich zu der Frage geäußert hätten, ob die Verlagsgruppe sich verspekuliert hatte oder ob eine privatwirtschaftliche deutsche Plattform Chancen gehabt hätte.
Stattdessen folgt "Gruschel mich!" Dariani, der vielleicht auch wegen ungebührlichen Verhaltens nach dem Verkauf schnell vor die Tür gesetzt worden war. In der Gegenwart sucht er seine Therapeutin auf. Seine Depressionen und die ADHS werden inzwischen, anders als damals, behandelt, erfährt man. Über die Frühgeschichte deutscher Netzwerke und mögliche Fehleinschätzungen der Gründer, Verlage und Datenschützer erfährt man leider wenig.
infobox: "Gruschel mich! - Die StudiVZ-Story", Dokumentation, Regie und Buch: Fritz Lüders, Kamera: Vincent Brügel u. a. (ARD-Mediathek/NDR, seit 5.2.25, NDR, 19.2.25, 22.45-23.45 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 19.02.2025 13:03
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KNDR, Dokumentation, Soziale Netzwerke, StudiVZ, Lüders, Bartels
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