05.03.2025 09:45
epd Hannah Höch war eine staunenswerte Künstlerin. Schon vor dem Ersten Weltkrieg fiel die Kunststudentin aus Gotha als einzige Frau unter Berliner Dadaisten auf. Und auch ihre eigenartigen Bilder und Fotomontagen fielen auf, besonders der Wurf "Schnitt mit dem Küchenmesser Dada", mit dem sich Hannah Höch (1889-1978) als Chronistin ihrer Epoche des Umbruchs profilierte. Denn diese grandiose Collage von 1919, 1920 bei der Ersten Dada-Messe und heute in der Berliner Nationalgalerie ausgestellt, umspannt kontrastreich Köpfe damaliger Prominenz, vom Genie Einstein über Repräsentanten der morschen Monarchie wie Kaiser Wilhelm II. und Hindenburg bis zum aufbruchswilligen neuen Politiker Philipp Scheidemann.
Wenn Höch hier Menschen mit modernen Maschinenteilen versetzt, stellt sie implizit vielerlei Fragen. Es geht um Geist und Ungeist jener Zeit, in der die Dadaisten auftauchten, um mit grotesk verspielten Einfällen zu provozieren und ernsthaft gegen den Ersten Weltkrieg zu protestieren.
Annika von Trier fragt in ihrem Hörstück, dem Medium entsprechend, in ganz andere, in akustische Richtung. Als Klang- und Performancekünstlerin schmettert sie mit Elan zum eigenen Akkordeonspiel gerne den Song "Dada ist mein Steckenpferd". Zudem begibt sie sich auf die Suche nach der authentischen Stimme Hannah Höchs. In musikalischen Dada-Revuen, die sie seit 2016 in Höchs denkmalgeschützter Gartenidylle in Berlin-Heiligensee veranstaltet, hat sich Annika von Trier immer wieder gefragt: Wo könnte diese Stimme dokumentiert sein?
Nach jahrelangen Recherchen in Berliner Archiven kommt der Zufall ihr zuhilfe. An unvermuteter Stelle, nach einer Performance-Veranstaltung in Apolda, begegnet sie Dieter Rössner, einem Großneffen Hannah Höchs, der jahrzehntelang Kassettenaufzeichnungen der alten Tante in Tübingen aufbewahrte. Großzügig macht er diese Annika von Trier zugänglich, die sie für ihr Hörstück nutzt.
Neben drolligen Alltagsaufnahmen zu Hannah Höchs Umgang mit dem Recorder ist da auch ein konzentriertes Interview Höchs über ihr Leben und Werk, das die Künstlerin vor bald 50 Jahren in Paris gab. Anlass war eine Ausstellung, mit der Suzanne Pagé 1976 als Kuratorin im Musée d'Art Moderne Höch international wiederentdeckte. Mit ihrer so lässigen wie lebhaften Stimme von damals wirkt Hannah Höch hier ganz gegenwärtig. So belebt und bewegt sie im Wechsel mit Annika von Triers Einführungen nachhaltig das Hörstück.
Sie wolle die Welt "wie eine Dokumentation wiedergeben mit allem, was los ist", kommentiert Höch selbst ihre bahnbrechenden Fotomontagen und ihr waches politisches Bewusstsein, das sich ihr Leben lang bewährte. Weniger stabil waren ihre persönlichen Beziehungen. Von ihrem ersten Geliebten Raoul Hausmann, der sie zur Kunst erweckte, trennte sie sich 1922, um mehr eigenen Spielraum zu gewinnen. Einige Jahre wohnte sie in Berlin mit der niederländischen Autorin Til Brugman zusammen, mit der sie ein Buch veröffentlichte. In der Nazizeit reiste sie, wie ihre Notizen bezeugen, auch um Eindrücke vom Wüten des Regimes zu sammeln, durch Deutschland, und zwar mit einem viel jüngeren Mann, mit dem sie ein paar Jahre verheiratet war.
Beständig hing sie aber an ihren besten Freunden unter den Avantgardisten wie Hans Arp, George Grosz, Richard Huelsenbeck, Tristan Tzara und László Moholy-Nagy, die gleich ihr in der Nazizeit als entartete Künstler verfemt waren, aber im Gegensatz zu ihr Deutschland verließen. Ihr besonderer Freund war Kurt Schwitters, der Hannah gerne in seine witzige Wortspiel-Liebe zu Anna Blume einbezog: Gerne führte Schwitters vor, wie beide Vornamen, Anna wie Hannah, vorwärts wie rückwärts gelesen, gleich klingen, also pure Perfektion versprechen.
Wie Schwitters das zelebrierte, ist hier im hinreißenden Originalton zu hören. Überhaupt gelingt Annika von Trier in dieser akustischen "Spurensuche"das Kunststück, auch die besten Freunde Hannah Höchs mit deren Originalstimmen zu präsentieren. Annika von Trier gibt ihr Bestes als Montage-Künstlerin und versammelt noch einmal nach den Schrecken des Naziregimes und Strapazen der Emigration alle mit Höch zur "Geistergesellschaft" und lässt deren beherztes Lachen hören.
infobox: "Spurensuche Hannah Höch", Hörspiel mit O-Ton-Aufnahmen, Regie und Arrangement: Annika von Trier, Musik: Annika von Trier (Radio 3/RBB, 23.2.25, 19.03-20.00 Uhr und in der ARD-Audiothek)
Zuerst veröffentlicht 05.03.2025 10:45
Schlagworte: Medien, Kritik, Radio, Kritik.(Radio), KRBB, Hörspiel, Höch, Lenz
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