Bemerkenswert düster - epd medien

10.10.2024 07:53

Die sechsteilige Thriller-Serie "Informant - Angst über der Stadt" taucht tief in die afghanische Flüchtlingsszene im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg ein. Die Botschaft der Geschichte ist hinsichtlich terroristischer Gefahren und Polizeiarbeit desillusionierend, findet Peter Luley.

Holly (Elisa Schlott) konfrontiert Gabriel (Jürgen Vogel) mit verstörenden Nachrichten

epd Schon der Vorspann zeigt, dass hier (mindestens) ein Attentat nicht verhindert werden konnte. An gleich zwei Orten in Hamburg wird geschossen: im Großen Saal der Elbphilharmonie, wo mitten im Konzert eine Massenpanik ausbricht, und in Barney’s Coffee Shop im Schanzenviertel. Dort kauern sich Menschen hinter Bar und Mobiliar, um Schutz vor den Kugeln eines Amokschützen zu finden. Was genau sich warum zugetragen hat, ist Gegenstand der sechsteiligen ARD-Thriller-Serie "Informant - Angst über der Stadt", die das BBC-Format "Informer" von 2018 adaptiert.

Nach dem Intro, in dem auch Szenen aus einer späteren Gerichtsverhandlung zu sehen sind, zählt Autor und Regisseur Matthias Glasner mit Einblendungen ("9 Tage bis zum Anschlag") die Zeit bis zur Katastrophe runter. Er schildert, wie die Polizei Indizien für einen bevorstehenden islamistischen Terroranschlag sammelt und einen Auftritt der Münchner Philharmoniker mit jüdischem Stardirigenten sowie einer muslimischen Geigerin als potenzielles Anschlagsziel identifiziert. Für die zentrale Figur des LKA-Manns Gabriel Bach setzt der Filmemacher einmal mehr auf seinen langjährigen Kreativpartner Jürgen Vogel.

Gebrochener Undercover-Ermittler

Der 56-jährige Schauspieler verkörpert einen gebrochenen Undercover-Ermittler, der zuletzt unter dem Decknamen Charlie im rechtsextremen Milieu operiert hat und die Schatten dieser Jahre nicht mehr losgeworden ist. Als er an einer Tankstelle zufällig auf einen ehemaligen Nazi-Kumpan (Bernd Hölscher) trifft, schlüpft er vorübergehend in die alte Rolle, um den Mann mit einer brutalen Abreibung auf Abstand zu zwingen. Beim Wiedersehen mit der Fascho-Punkrock-Sängerin Marion (Katharina Schlothauer) kommt es zu schnellem, hartem Backstage-Sex.

Noch immer trägt Gabriel ein großes Schwarze-Sonne-Tattoo auf dem Rücken, das Doppelleben hat seine Ehe mit der Geschichts-Professorin Emilia (Claudia Michelsen) und das Verhältnis zur gemeinsamen Tochter belastet. Zugleich fordert das Alter seinen Tribut: Seit einer Hüftoperation läuft er etwas unrund. Nun aber soll er seine Kontakte in die migrantische Drogenszene einsetzen, um an Informationen über den Drahtzieher eines islamistischen Terroranschlags in Oslo zu kommen. Der nämlich hat sich vor zwei Wochen in Hamburg aufgehalten - womöglich, um auch in der Hansestadt Attentäter zu rekrutieren? Zur Sicherheit wird dem alten Außenseiter die aufstrebende BKA-Beamtin Holly Valentin (Elisa Schlott) an die Seite gestellt.

Vogel steht das Alter gut

Der einsame Wolf und die junge Kollegin, das unvermeidliche Kompetenzgerangel zwischen LKA, BKA und BND - was auf dem Papier ein wenig nach Routine klingt, erweist sich in der Umsetzung als spannend erzählter, bemerkenswert düsterer Stoff. Zum einen steht Vogel das Alter gut, er wirkt in dieser Rolle weitaus glaubwürdiger als in dem ebenfalls mit Glasner realisierten ZDF-Mehrteiler "Blochin" (2015), in dem er einen breitbeinigen Berliner Motorrad-Cop mit krimineller Vergangenheit geben musste.

Zum anderen ist Gabriel von faszinierend vielschichtigen Frauen umgeben. Dazu zählt neben Marion, Ehefrau Emilia und Kollegin Holly, die gerne mal ein Samuel-Beckett-Zitat in die Unterhaltung einstreut, auch seine Chefin Rose Kuhlenkampf (Gabriela Maria Schmeide). Die ruhige Pragmatikerin, die ihre Leute bittet, sich "nicht unnötig dumm anzustellen", und zur Motivation ein Wellness-Wochenende auslobt, schafft es immer wieder, den explosiven Gabriel zu erden: "Bist du da?", fragt sie dann in ihrem Büro. Und lässt den Unbehausten so lange über Gerüche und Geräusche reden, bis der sich wieder "sicher" fühlt.

Desillusionierende Botschaft

Der Clou an "Informant" aber ist, dass die Serie über die Person des Titelhelden tief und authentisch - und mit gar nicht postkartenhaften Hamburg-Bildern - in die afghanische Flüchtlingsszene im Stadtteil Wilhelmsburg eintaucht. Nachdem Gabriels wichtigster Kontaktmann ermordet worden ist, verfallen Holly und er auf den Gedanken, den hoffnungsvollen Hilfslehrer Raziq "Raza" Shaheen (Ivar Wafaei) als Spitzel zu akquirieren. Der junge Mann, der mit seinem trinkenden Vater (Majid Bakhtiari) und dem kleineren Bruder (Ali Reza Ahmadi) in armen Verhältnissen lebt, ist nach einem unbedeutenden Drogendelikt erpressbar, weil seine Freundin Sadia (Bayan Layla) weder Pass noch Bleiberecht besitzt. Das LKA-Duo fordert ihn auf, sich an den jüngeren Bruder (Benny O. Arthur) des ermordeten Dealers heranzupirschen - im Erfolgsfall winken Sadia dann Papiere.

So sehr die Familien- und Liebesgeschichte Raziqs anrühren, so nachvollziehbar es ist, dass der Neu-Informant nach ersten erfolgreichen Einsätzen Gefallen an seiner Tätigkeit findet - so desillusionierend ist die Botschaft der Geschichte hinsichtlich terroristischer Gefahren und Polizeiarbeit: Obwohl die Beamten in bester Absicht handeln, geraten sie auf eine falsche Spur. Am Ende haben sie keine Katastrophe verhindert, sondern mit ihrer Arbeit sogar eine ganz andere hervorgebracht.

infobox: "Informant - Angst über der Stadt", sechsteilige Thriller-Serie, Regie und Buch: Matthias Glasner, Kamera: Friede Clausz, Alex Förderer, Matthias Biber, Produktion: Filmpool Fiction (Arte/ARD/NDR/Degeto/NRK, 10. und 11.10.24, jeweils 20.15-22.40 Uhr sowie ab 10.10.24 in der Arte-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 10.10.2024 09:53

Peter Luley

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KArte, KARD, Luley

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