Falsche Idylle - epd medien

12.12.2024 09:54

Wladimir Kaminer hat sich für seine neuen "Inside"-Dokumentationen für 3sat mit Brauchtum in Deutschland, Österreich und der Schweiz beschäftigt. Eine Erkenntnis: In allen drei Ländern bleiben die Männer in vielen Traditionsvereinen noch gerne unter sich.

Wladimir Kaminer mit Zylinder und Gehstock bei den "Kaisertagen" in Österreich

epd Alte Bräuche können ziemlich verstörend sein. Wie der Zufall es wollte, setzte 3sat die "Kaminer Inside"-Reihe parallel zur Debatte um das "Klaasohm"-Fest auf der Nordseeinsel Borkum fort. Nachdem das NDR-Magazin "Panorama - Die Reporter" über die Tradition berichtet hatte, bei der maskierte Männer Frauen jagen und mit Kuhhörnern schlagen, verzichtete der Verein Borkumer Jungens am Abend des 5. Dezember erstmals auf den gewaltsamen Teil des Brauchs. Erleichtert berichteten die Medien bundesweit, es sei ausgelassen und friedlich gefeiert worden. Immerhin: Ein Stück deutscher Leidkultur weniger.

Wladimir Kaminer, der aus Russland stammende Schriftsteller, der seit 2018 als launiger Brauchtumsforscher im Auftrag des Dreiländersenders 3sat unterwegs ist, hat für die Folgen 19 bis 21 seiner "Inside"-Reihe 16 Orte in Deutschland, der Schweiz und in Österreich abgeklappert. Auf Borkum war er nicht. Doch wie sich eine patriarchale Gesellschaft in ihren Bräuchen spiegelt, wie sich Traditionsvereine schwertun mit Reformen und Veränderungen, das ist auch Teil seiner Filme. Allerdings eher nebenbei, denn auf Kritik, Infragestellen oder gar Skandalisierung ist die Reihe nicht angelegt.

Heidnischer Brauch

Gleich zu Beginn liefert der Film über Bräuche in Deutschland dennoch entlarvende Einblicke. Das ist wörtlich zu nehmen, denn die Kameraperspektive beim Dirndldrahn im bayerischen Greimharting zeigt unverhohlen, dass man(n) hier den jungen, sich um die eigene Achse drehenden Tänzerinnen ungestraft unter die fliegenden Röcke blicken kann. Wohl nicht von ungefähr gibt es die Regel, dass die Frauen an diesem sportlichen Traditions-Wettbewerb nur so lange teilnehmen dürfen, bis sie heiraten.

Eine Station weiter, im Harz, begleitet Kaminer "Oberteufel" Michael Gebbert beim Umzug vor der Walpurgisnacht. Gebbert erläutert, dass sich Luzifer nach der Legende mit den Hexen paare. "Der nimmt sie alle richtig ran", sagt er lachend, "und macht sie glücklich." Das nennt man dann wohl eine zünftig männliche Beschreibung eines heidnischen Brauchs, bei dem es tatsächlich nicht nur um Dämonenvertreibung, sondern auch um Frühlingsgefühle und Fruchtbarkeit geht.

Beim anschließenden Dreckschweinfest in Hergisdorf in Sachsen-Anhalt werden die neuen Pfingstburschen getauft, indem man sie in einer matschigen Pfütze untertaucht. Noch so ein "Typisch Männer"-Moment zum Fremdschämen, allerdings ist es auch ein bisschen lustig, wie sich die Herren da vergnügt im Schlamm suhlen. Eher unwahrscheinlich, dass es Frauen stört, von diesem Ritual ausgeschlossen zu sein. Aber Kaminers Frage beim Husumer Ringfest, einem Volksfest mit Reit-Wettbewerb, erscheint berechtigt: "Warum dürfen Frauen eigentlich mitmachen, das ist doch unüblich für alte Traditionen?"

Fernseh-Schalk

Im Brauchtum darf der Mann noch unter sich sein, zum Beispiel bei der Zürcher Stadtzunft. Auch in Husum und andernorts löste die Frage, ob Frauen gleichberechtigt mitmachen dürfen, in den rein männlichen Traditionsvereinen lange Debatten aus.

Kaminer ist bei all dem als neugieriger, zugewandter Fernseh-Schalk aus der Fremde unterwegs. In staunender Zugewandtheit mischt er sich unters Volk, stellt zwischendurch die harmlosen Fragen eines ahnungslosen Zugereisten, lässt hin und wieder seinen Sinn für Ironie und Humor aufblitzen. "Ich gratuliere im Namen des deutschen Fernsehens. Was ist das für ein Gefühl, Ihre Majestät?", fragt er untertänigst und schüttelt dem neuen Neusser Schützenkönig ausdauernd die Hand. Der ist der erste Schützenkönig jüdischen Glaubens und noch dazu homosexuell. Frauen werden erst ab 2025 als aktive Mitglieder in die zahlreichen Neusser Schützenvereine aufgenommen. Allerdings wird es nach wie vor keine Schützenkönigin geben, denn Frauen dürfen weder schießen noch bei den Umzügen mitmarschieren. "Aber mitfeiern", tröstet Kaminer.

Wiener Walzer

Ab und zu spielt Kaminer selbst mit. Er versucht sich mit mäßigem Erfolg am Hornussen, einer seltsamen Mischung aus Golf und Baseball im Kanton Bern, fühlt sich beim Marché Concours in der Westschweiz auf dem Rücken eines Pferdes sichtlich unwohl, spielt im schweizerischen Tafers das Kartenspiel Jass, lernt in Wien Walzer und schlüpft in verschiedene Kostüme: "Darf ich ein schwarzes Schaf sein?", fragt er bei den Haller Salzteufeln, wo es gilt, ein Fell für das Krampus-Kostüm auszuwählen. Es ist mitunter schwer auszumachen, ob seine Gegenüber den komischen Fremden belächeln oder über seinen Charme lächeln. Wahrscheinlich beides.

Der sympathische Kaminer wirkt niemals von oben herab, macht sich niemals lustig und kommentiert nichts abfällig. Allerdings bieten seine Stippvisiten an den verschiedenen Orten auch nicht mehr als oberflächliche Eindrücke. Zwar ist die Mischung aus populären Touristen-Attraktionen (Weihnachten im Erzgebirge, Kaisertage in Bad Ischl, Zürcher Sechseläuten), cleverem Stadtmarketing (Kürbisfest in Preding/Steiermark) und Abseitigem (Dreckschweinfest) vielseitig. Aber die einzelnen Stationen werden etwas beliebig aneinandergereiht. Und intellektuelle Versuche, das Gesehene in einen größeren Zusammenhang zu stellen, unterbleiben ganz. "Man soll sie nicht belächeln, denn so lange die Tradition lebt, so lange lebt auch das Land", bilanziert Kaminer am Ende, als wären alle Traditionen gleichwertig. Hier müffelt es doch etwas nach falscher Idylle.

infobox: "Kaminer Inside ...", dreiteilige Dokumentation mit Wladimir Kaminer, 1. "Brauchtum in Deutschland", Regie und Buch: Nadja Kölling, Produktion: Docstation; 2. "Brauchtum in der Schweiz", Regie und Buch: Roger Brunner, Produktion: Roger Brunner Film; 3. "Brauchtum in Österreich", Regie und Buch: Constanze Griessler, Franziska Mayr-Keber (3sat/ZDF/SRF/ORF, 7.12.24, 20.15-22.30 Uhr, 3sat-Mediathek seit 7.12.24)



Zuerst veröffentlicht 12.12.2024 10:54

Thomas Gehringer

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), K3sat, KZDF, KSRF, KORF, Kaminer Dokumentation, Kölling, Brunner, Grissler, Mayr-Keber, Gehringer

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