Hochinteressante Details - epd medien

28.01.2025 09:30

Bis auf ein paar Längen und Redundanzen ist die Arte-Dokumentation "Mafiajäger" durchaus fesselnd, findet Tilmann Gangloff. Detailliert gibt sie Einblick in jahrelange Polizeiarbeit gegen die kalabrische Mafia ’Ndrangheta.

Der LKA-Zugriff auf das Angelparadies in Breckerfeld

epd Wenn das kein Stoff ist, aus dem Thriller gemacht sind: Nach jahrelangen Observierungen und verdeckten Ermittlungen ist es deutschen und italienischen Polizeibehörden im Rahmen der Operation "Eureka" 2023 gelungen, ein internationales Drogennetzwerk der italienischen Mafia ’Ndrangheta zu zerschlagen. Minutiös schildert die Arte-Dokumentation "Mafiajäger" die Arbeit der Polizei. Zentrale Figur ist Oliver Huth, leitender Ermittler des LKA Düsseldorf. Der Mann ist Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter und ein Medienprofi; er war unter anderem an der RTL-Reihe "110 - Echte Fälle der Polizei" beteiligt und ist ein guter Erzähler.

Für die fünfteilige Reihe gilt das Prädikat "fesselnd" jedoch nur zunächst; spätestens ab Folge drei, wenn sich die Redundanzen häufen, zeigt sich, dass gut 200 Minuten deutlich zu viel Sendezeit sind. Nun wiederholen sich auch die verwendeten Bilder. Größeres Manko ist jedoch der zweite Schwerpunkt. Natürlich ist es ein Coup, dass die Verantwortlichen ein früheres führendes Mitglied der kalabrischen Mafia als Kronzeugen gewinnen konnten, aber selbst wenn die Ausführungen des Mannes interessante Einblicke in die patriarchalischen Rituale der Organisation bieten: Seine Erinnerungen sind viel zu weitschweifig und hätten sich kürzen lassen.

Wie eine Krake

Umso spannender sind die Schilderungen Huths, zumal er hochinteressante Details aus der Polizeiarbeit berichtet. "Wie eine Krake" habe sich die ’Ndrangheta unter dem Deckmantel der Gastronomie seit den frühen Achtzigerjahren hierzulande ausgebreitet. Ein altgedienter Kollege aus Bochum ergänzt, seine entsprechenden Warnungen seien anfangs verpufft: Das Ruhrgebiet sei doch nicht Palermo. Nach dem Mauerfall expandierte die Organisation, die ihren Ursprung in einem einst bitterarmen kalabrischen Dorf hatte und sich das "Startkapital" für den Drogenhandel durch Entführungen besorgte, in die neuen Bundesländer und kassierte für ihre Investitionen auch noch Steuergelder.

Als zentrale Operationspunkte für den Drogenhandel hat Huths Team ein Eiscafé in Siegen und ein scheinbar harmloses "Angelparadies" in der Nähe von Hagen ausgemacht. Mit beredten Sprachbildern beschreibt der Kriminalhauptkommissar, wie die Angelsportfassade funktionierte: Der Chef, ein älterer Herr mit Bart und Bauch, hätte auch als Nikolaus auf einem Weihnachtsmarkt Räucheraal im Brötchen verkaufen können. In einem fiktionalen Drehbuch wäre das womöglich mit dem Vermerk "völlig unrealistisch" versehen worden.

Mit einem GPS-Sender durch Europa

Dank vieler rekonstruierter und mit Thriller-Musik unterlegter Szenen sowie eines stellenweise flotten Schnitts sieht die um TV-Ausschnitte, Bildmaterial aus Polizeiarchiven und einen Rückblick auf den jahrzehntelangen Kampf der italienischen Behörden gegen die Mafia ergänzte Doku-Serie wie ein Spielfilm in fünf Teilen aus. Auf dieser Ebene ist die Detailfreude völlig angebracht, weil sie die Arbeitsweise der Polizei veranschaulicht und zudem offenbart, dass am Anfang einer Operation wie "Eureka", an der schließlich 3.000 Einsatzkräfte beteiligt waren, ein Zufall steht: Irgendwo in Kalabrien streikt 2019 das Auto zweier vermeintlicher Urlauberinnen aus Wuppertal. Ihre telefonische Bitte um Hilfe gilt jedoch nicht einem Pannendienst, sondern einem führenden Mitglied der Mafia und wird von der Polizei mitgehört. Der Wagen kommt vorerst in eine Werkstatt. In der Folge können die Behörden dank eines heimlich platzierten GPS-Senders nun verfolgen, wie das Auto kreuz und quer durch Europa fährt; mal mit Drogen, mal mit Bargeld. Auf diese Weise entsteht nach und nach das Organigramm eines Netzwerks, dessen logistisches Zentrum die Sportfischerei ist.

Weitaus mehr Relevanz

Ausführlich dokumentieren die fünf Episoden, wie sich Huths Team geduldig auf die Lauer legt. Für weitere Perspektiven sorgen ein Vertreter des bayerischen LKA, dem bei einer Personenkontrolle am Bahnhof zufällig ein Mafioso ins Netz ging, sowie Huths römisches Pendant und eine Interpol-Beamtin. Diese Teile des Puzzles passen perfekt zusammen.

Die Beiträge des früheren Mafiabosses sind sinnvoll, wenn er aufs Stichwort die passenden Ergänzungen liefert, etwa zum technologischen Kommunikationsvorsprung der ’Ndrangheta gegenüber der Polizei. Oft stören seine Erzählungen jedoch den Fluss der Handlung und lassen das Konzept prompt unstrukturiert wirken: Gerade noch berichtete Huth, wie er bei einer Stippvisite im Eiscafé Blickkontakt mit dem "Hauptmatador" aufnahm, um gewissermaßen seine Visitenkarte abzugeben, im Anschluss erzählt der Aussteiger, wie ihm klar geworden sei, dass er sich als "Leiter des militärischen Flügels" von seiner ersten großen Liebe trennen musste, weil sie nicht zur "Familie" gehörte.

Später schildert er, wie ihn der eigene Vater erschießen wollte; das hat weitaus mehr Relevanz. Die letzte Folge ("Action Day") mit dem Countdown zum europaweiten Zugriff ist ohnehin wieder ziemlich spannend.

infobox: "Mafiajäger", fünfteilige Dokumentation, Regie: Veronika Kaserer, Stefano Strocchi, Buch: Veronika Kaserer, Ina Kessebohm, Stefano Strocchi, Georg Tschurtschenthaler, Kamera: Nikolaus von Schlebrügge, Produktion: Gebrüder Beetz Filmproduktion (Arte/WDR/NDR/SWR/MDR/BR/RBB, 28.1.25, 20.15-00.05 Uhr und bis 29.3.25 in der Arte-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 28.01.2025 10:30

Tilmann Gangloff

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KArte, KWDR, Krimi, Kaserer, Strocchi, Gangloff

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