18.02.2025 10:02
epd Das Markenzeichen des Fernsehreporters Jenke von Wilmsdorff ist, dass er immer ganz nah an die Dinge herangeht. So hat es ihm nicht genügt, über Alkoholismus zu berichten, er musste selbst herausfinden, was es damit auf sich hat. In der Reihe "Jenke-Experiment" unternahm der Presenter weitere Selbstversuche bis hin zu einem "Leben in Armut". Solche kühnen Vorstöße und Grenzüberschreitungen brachten ihm etliche Preisnominierungen ein und 2019 sogar den Deutschen Fernsehpreis.
Jetzt hat "Jenke", wie er sich schlicht und burschikos nennen lässt, kurz vor der Bundestagswahl die "Baustelle Deutschland" in den Fokus genommen. Man weiß ja längst, dass es überall hapert; das Versprechen war nun, dass, wenn Jenke nachguckt, wirklich rauskommt, woran es liegt und wie man die Probleme beheben kann. In der "Baustellen"-Folge versprach er, sich zuvörderst der Problemzonen Gesundheit, Verkehr, Bürokratie und - eher knapp - Wirtschaft anzunehmen, und er ging dann auch los und redete mit Verantwortlichen und Betroffenen.
Um es gleich vorweg zu sagen: Viel mehr als eine Diagnose - also die Beschreibung dessen, was schiefläuft beziehungsweise nicht funktioniert - ist auch bei dieser Reportage nicht herausgekommen. Man kannte das wirklich alles schon und erfuhr durch die Recherchen Jenkes nur, dass das, was alles im Argen liegt, da auch nicht so bald wieder rauskommen wird. Oder?
Deutschland leidet unter Fachkräftemangel. Man versucht, geeignete Leute aus dem Ausland anzuwerben, etwa aus Tunesien. Da werden dann zwei Leute gezeigt, die was drauf und Deutsch gelernt haben, aber dann stehen sie vor den Einreiseschwierigkeiten und all den Formularen. Oja, die Bürokratie, die ist ja auch eine Baustelle, genauer gesagt eine Abbaustelle, das jedenfalls wünscht man sich. Denn sie lähmt. Und ist nicht digitalisiert. Ein junger Mann aus Estland erklärt, dass man dort alles online machen kann, sogar wählen und heiraten. Und da erhebt sich die Frage: Will man das eigentlich? Immerhin eins ist klar: Man muss die Prozesse "neu denken".
Die ergiebigste Baustelle, was die Fernsehpräsentation betrifft, ist natürlich der Verkehr. Da kann man Staus von oben zeigen, außerdem die gesperrte A45 bei Lüdenscheid und all das Elend, das so eine jahrelange Sperrung mit sich bringt. Ein Ehepaar hat nun den Umleitungslärm im Ohr und darf sich vor der Kamera beklagen. Ferner machen eingestürzte Brücken sich gut als Motiv, sogar die von Genua 2018 kommt vor, und dann natürlich die Carolabrücke in Dresden. Das Problem ist, dass man als Verwaltung - sprich Bürokratie - dazu neigt, Reparaturen so lange aufzuschieben, bis alles zusammenkracht.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass wir uns ganz oft selbst in die Tasche lügen.
Dazu sinniert Jenke: "Ich werde das Gefühl nicht los, dass wir uns ganz oft selbst in die Tasche lügen." Und er interviewt den Bauingenieur Theo Reddemann, den Erfinder der "Expressbrücke", der durch seine Modul-Bauweise imstande wäre, die Bauzeit einer neuen Brücke zu minimieren. Immerhin, da kam mal eine offenbar umsetzbare Zukunftsidee ins Bild.
Bei der Bahn wurde Jenke dann deutlich. Ramsauer, Dobrindt und Scheuer, diese Verkehrsminister hätten falsche Prioritäten gesetzt. Die Privatisierung war ein Flop. Das Sparprogramm auch: Ein Zugführer, der sich nicht zu erkennen geben wollte und nur von hinten zu sehen ist, schimpft kräftig auf die Bahnherren. Jeder dritte Zug kommt zu spät, 34 Milliarden Euro Schulden habe die Bahn, und das Netz sei geschrumpft. "Viele Züge, wenig Gleise", heißt es, wobei dazugesagt werden muss, dass viele Züge klapprig sind und viele Gleise marode. Die Netzleitstelle in Frankfurt kann daran nichts ändern. In Japan läuft es viel besser, die Bahn ist dort Prestigeobjekt.
Unser Gesundheitswesen ist auch defizitär, das gibt selbst Minister Lauterbach zu, das System selbst ist ein Patient. Wie heilt man ihn? Wo doch 150.000 Pflegekräfte fehlen? Laura Dahlhaus ist Hausärztin und moniert mit empörtem Unterton, dass es die Orientierung der Kliniken am Profit gewesen sei, also das Oktroi marktwirtschaftlichen Verhaltes, das unsere Medizin kaputt gemacht habe. Die Krankenhausreform, die jetzt vorbereitet wird, scheint für sie aber auch keine Lösung zu sein. Was tun? Es gibt auch hier eine Vision: Die Telemedizin. Sie kann zwar nicht alle Wunden heilen, ist aber besser als ihr Ruf.
Janina Mütze ist Meinungsforscherin und sieht die Bevölkerung des Baustellen-Landes Deutschland "in Schockstarre". Die Menschen glaubten nicht mehr daran, dass es besser werde. Das ist die gute Absicht dieser Jenke-Reportage: ihnen diesen Glauben nicht vollends zu rauben, sondern ihn vielleicht doch neu anzufachen. Denn Jenke, so sein image, ist der Prototyp eines Zeitgenossen, der es ehrlich meint. Er legt den Finger in die Wunde, er nennt die Dinge beim Namen, er geht so nahe ran, dass es weh tut.
Im Fall der "Baustelle Deutschland" hat er es nicht vermocht, einen Sanierungsplan aufzustellen und jene zu benennen, die "unser Land reparieren" werden, aber er hat noch einmal aufgezeigt, wo es hapert - und dazu sein Gesicht als vertrauensbildende Maßnahme in die Kamera gehalten. Man kann so etwas machen. Es ändert nichts - außer vielleicht den Gemütszustand mancher Zuschauer, die hoffen, dass an den Baustellen, die Jenke in Augenschein genommen hat, nun kräftig weiter und erfolgreich malocht wird.
infobox: "Jenke. Report. Baustelle Deutschland: Wer repariert unser Land?", Presenter-Reportage mit Jenke von Wilmsdorff, Produktion: SEO Entertainment GmbH (ProSieben, 11.2.25, 20.15-22.15 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 18.02.2025 11:02
Schlagworte: Medien, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KProSieben, Jenke von Wilmsdorff, Sichtermann
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