24.02.2025 12:04
Vor 20 Jahren ging Youtube an den Start
epd Rückenschmerzen? Nach der Behandlung empfiehlt die Physiotherapeutin ein Übungsvideo. Die Gebrauchsanweisung der vererbten Fotokamera ist nicht mehr auffindbar? Irgendein Nutzer hat sie bestimmt hochgeladen. Wie ging nochmal der Dreisatz? Ein ansprechendes Erklärvideo ist schnell gefunden. Die Videoplattform Youtube ist aus dem Alltag vieler Menschen nicht mehr wegzudenken: für jedes Interesse findet sich das passende Video. Nun wird die Plattform 20 Jahre alt. Im Januar 2024 verzeichnete Youtube weltweit über 2,5 Milliarden monatliche Nutzer und Nutzerinnen.
Ein großer Vorteil von Youtube liege in seiner individuellen Verfügbarkeit, sagt Josephine Schmitt, wissenschaftliche Koordinatorin am "Center for Advanced Internet Studies" in Bochum. Nutzer und Nutzerinnen könnten jederzeit Videos nach ihren Interessen abrufen, pausieren oder weiterführen, was besonders für selbstgesteuertes Lernen vorteilhaft ist. Neben Bildung und Information spiele auch Unterhaltung eine zentrale Rolle. Nicht zu unterschätzen sei Youtube außerdem als Ort der Vernetzung und des Austauschs für subkultureller Gruppen.
Youtube sei als soziales Netzwerk bedeutend, sagt Schmitt. Nutzer und Nutzerinnen könnten die Inhalte nicht nur passiv konsumieren, sondern auch aktiv kommentieren, diskutieren und eigene Videos erstellen. Diese Beteiligungsmöglichkeiten erlaubten es, verschiedene Rollen auszuprobieren und sich mit anderen auszutauschen. "Damit fungiert Youtube als wichtiger Sozialisationsagent", sagt Schmitt.
In den vergangenen Jahren, sagt Schmitt, habe sich die Plattform stark professionalisiert und kommerzialisiert. Verschiedene Akteure mit unterschiedlichen Zielen agierten und konkurrierten: Museen setzen auf Aufklärung, während Medienhäuser versuchen, junge Zielgruppen mit innovativen Formaten anzusprechen. Unternehmen nutzen Youtube für Marketing, Produktplatzierung und Brand Building, während politische Akteure und Akteurinnen die Plattform für Mobilisierung einsetzen. "Dadurch bleibt zwar das soziale Netzwerk erhalten, doch die Sichtbarkeit durchschnittlicher Nutzer und Nutzerinnen ist deutlich gesunken."
Wolfgang Schweiger, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Hohenheim, erklärt, dass Youtube von einer "Video-Plattform für alle" zu einem hochprofessionellen, gewinnorientierten Marktplatz geworden sei, eine "Art neuzeitliches Massenmedium mit Video-on-Demand". Youtube sei heute vor allem eine Plattform für Profis, die dort ihr Geld mit Werbung verdienten. "Anders als etwa bei Instagram müssen sich Influencer hier nicht selbst um Einnahmen kümmern, sondern bekommen in ihren Videos von Youtube passende Werbung eingeblendet und werden anschließend an den Einnahmen beteiligt."
Im Vergleich zu den professionellen Videos, die die Plattform heute dominieren, wirkt das erste Video, das am 24. April 2005 bei Youtube hochgeladen geladen wurde, wie aus der Zeit gefallen: Ein junger Mann steht vor einem Elefantengehege, die Bildqualität lässt vermuten, dass es sich um ein Amateurvideo handelt. Das Coole an den Elefanten sei, sagt der Mann, dass sie echt lange Rüssel hätten. Zögern, ein Blick über die Schulter. "Und das", fügt er noch hinzu, "ist so ziemlich alles, was es dazu zu sagen gibt."
Heute ist das Video "Me at the zoo" ("Ich im Zoo") berühmt. Der US-Amerikaner Jawed Karim lud es hoch, inwzischen hat es knapp 350 Millionen Aufrufe. Gemeinsam mit Chad Hurley und Steve Chen hat Karim Youtube erfunden. Am 14. Februar 2005 hatten sich die Drei die Rechte an der Marke gesichert und die Internetadresse www.youtube.com registriert. Schnell erkannte der Internetrkonzern Google das Potenzial und kaufte Youtube Ende 2006 für 1,65 Milliarden US-Dollar.
Andreas Briese, nach Angaben des Unternehmens erster Mitarbeiter für Youtube in Deutschland und heutiger Youtube Country Director Deutschland sagte dem epd, die Geschichte von Youtube sei eine "Erfolgsgeschichte, die von Kreativität, Innovation und Community geprägt ist." In den vergangenen 20 Jahren, in denen sich die Medienlandschaft grundlegend verändert habe, sei Youtube die Videoplattform Nummer eins in Deutschland geworden und zu einer Plattform herangewachsen, "auf der jeder eine Stimme findet und zum Creator werden kann - ob mit kurzen oder langen Videos, von Unterhaltung über Nachrichten bis hin zu Musik".
Laut der JIM-Studie 2024 - einer Untersuchung zum Medienumgang von 12- bis 19-Jährigen - werden Videos auf Internet-Plattformen wie Youtube von 85 Prozent der Zielgruppe regelmäßig angesehen. Youtube spielt vor allem für die 12- bis 13-Jährigen eine zentrale Rolle. Die Jugendlichen gaben an, dass sie bei Langeweile am häufigsten auf Youtube gehen (38 Prozent). Auch bei der Suche nach Unterhaltung und Spaß spielt Youtube eine bedeutende Rolle, ein Viertel der Jugendlichen sucht die Plattform dafür auf (25 Prozent). Für 28 Prozent der Jugendlichen dient Youtube als wichtigste Quelle für Nachrichten zum Weltgeschehen.
Die Plattform nimmt über die bereitgestellten Inhalte schon lange Einfluss auf gesellschaftliche Debatten - auch in Deutschland: Im September 2015 interviewte der Influencer LeFloid die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das Video sahen bis heute knapp 6 Millionen Nutzer - das zeigt die Macht der Influencer, die auf der Plattform unterwegs sind. Rezos "Die Zerstörung der CDU" wurde 2019 in Deutschland das meistgesehene Video des Jahres und beeinflusste die politische Diskussion, das Video erreichte bis heute 20 Millionen Views. Im April 2020, am Anfang der Corona-Pandemie, wurde der Kanal "Mailab" von Mai Thi Nguyen Kim mit "Corona geht gerade erst los" einem breiten Publikum bekannt. Der Beitrag war das meistgesehene Video des Jahres 2020 in Deutschland, er erreichte inzwischen 6,7 Millionen Views.
So viel Aufmerksamkeit bedeutet aber auch Verantwortung: Schmitt, die sich wissenschaftlich mit der Verbreitung und Wirkung von extremistischer Propaganda im Internet beschäftigt, beklagt, dass problematische Inhalte wie Desinformation und Hassrede trotz Moderationsmaßnahmen und Regulierung, zum Beispiel durch den Digital Services Act (DSA), weiterhin sehr präsent auf Youtube seien.
Der DSA schreibt unter anderem vor, dass Internet-Plattformen Maßnahmen ergreifen müssen, um Nutzerinnen und Nutzer vor rechtswidrigen Inhalten zu schützen. Außerdem werden die Plattformen zu mehr Transparenz verpflichtet und die Verbraucherrechte gestärkt. Der DSA gilt seit dem 17. Februar 2024 vollständig in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
Auf Nachfrage teilte Youtube mit, dass die Plattform bei der Suche nach Inhalten, die gegen die Community-Richtlinien verstießen, auf eine Kombination aus maschinellem Lernen und menschlichen Prüfern setze. Wie Youtube mitteilte, machten im zweiten Quartal 2024 rechtsverletzende Inhalte 0,09-0,11 Prozent der Aufrufe auf der Plattform weltweit aus: "Das bedeutet, dass pro 10.000 Aufrufe auf Youtube zwischen 9 und 11 Inhalte auftraten, die gegen unsere Community-Richtlinien verstießen."
Kontroverse oder externe Inhalte erzielen hohe Reichweiten.
Schmitt räumt ein, dass Youtube auf die Verbreitung von Verschwörungsnarrativen, Desinformation und Hassrede mit verschiedenen Maßnahmen reagiert habe, insbesondere durch Anpassungen des Algorithmus beispielsweise während der Corona-Pandemie, um vertrauenswürdige Quellen gegenüber irreführenden Inhalten zu bevorzugen. Zwar erfülle die Plattform die regulatorischen Vorgaben, gehe aber nicht über das Nötigste hinaus, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin.
Zudem seien die Empfehlungsalgorithmen für die Öffentlichkeit intransparent, kritisiert Schmitt: "Das führt dazu, dass kontroverse oder extreme Inhalte oft hohe Reichweiten erzielen, während weniger emotionalisierende und polarisierende Inhalte und Akteure - wie Bildungs- und Präventionsangebote - Schwierigkeiten haben, sichtbar zu sein."
Daraus ergäben sich zum Beispiel für Qualitätsmedien, die die mit experimentellen Formaten auf der Plattform präsent seien, viele Herausforderungen: Sie müssten sich gegen algorithmisch bevorzugte kommerzielle oder auch problematische Inhalte behaupten und der Plattformlogik zum Trotz eigene journalistische Standards wahren.
Auch Funk, das Jugendangebot von ARD und ZDF, das sich an 14- bis 29-Jährige richtet, ist seit 2016 mit unterschiedlichen Formaten auf der Plattform präsent. Nach Angaben von ARD und ZDF kannten 2024 88 Prozent der Zielgruppe das Content-Netzwerk. 78 Prozent haben Funk-Inhalte bereits genutzt. Funk-Formate verzeichnen 17,1 Millionen Abonnements auf Youtube.
Für die Studie "Funk im Medienalltag der Nutzerinnen und Nutzer" , deren Ergebnisse im Januar in der Zeitschrift "Media Perspektiven" veröffentlicht wurden, wurden von Juli bis September 2022 in einer Online-Umfrage 17.049 Nutzerinnen und Nutzer von Funk befragt. 95 Prozent der Befragten halten es für wichtig, dass es in sozialen Netzwerken wie Instagram oder Youtube öffentlich-rechtliche Inhalte gibt. Nur 20 Prozent der Befragten sagten, sie würden Funk-Formate auch nutzen, wenn sie nicht über soziale Medien abrufbar wären. Die meisten nutzten Funk-Inhalte auf Instagram (95 Prozent) oder Youtube (80 Prozent).
Es ist essenziell, unsere Produktionslogiken an die Entwicklungen anzupassen.
Nach Angaben von Funk zählte das Video "Alle Kanzlerkandidaten erklärt" von "MrWissen2go" (Mirko Drotschmann), das im Dezember 2024 hochgeladen wurde, mit rund 2,5 Millionen Views im vergangenen Jahr zu den meistgesehenen Funk-Videos auf Youtube: "Das hohe Bedürfnis der 14- bis 29-Jährigen nach der Einordnung gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen zeigt sich in der hohen Nutzung von aktuellen Funk-Inhalten, wie beispielsweise zum Krieg in der Ukraine, den Entwicklungen im Nahen Osten oder der anstehenden Bundestagswahl", teilte das Presseteam mit. Themen wie diese würden regelmäßig in reichweitenstarken Videos von Formaten wie "MrWissen2go", "Die Da Oben!" oder dem "Dunklen Parabelritter" aufgegriffen.
Gleichzeitig beobachte Funk, "dass Youtube - wie auch andere Plattformen - sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich weiterentwickelt". Insbesondere die Mediennutzung junger Zielgruppen sei entscheidend durch "vertikale Inhalte" geprägt, wie sie beispielsweise von Tiktok bekannt seien, teilte Funk mit. Auch Youtube setze mit "Youtube Shorts" verstärkt auf Hochformate: "Um unseren Auftrag, junge Menschen zu erreichen, weiterhin erfolgreich zu erfüllen, ist es für uns essenziell, unsere Produktionslogiken kontinuierlich an die Entwicklungen anzupassen."
Auch Wolfgang Schweiger betont die Bedeutung von Youtube für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Gerade für die jungen Funk-Formate sei Youtube ein wichtiger Ausspielkanal: "Zum einen, weil besonders junge Menschen kaum mehr das klassische, lineare Fernsehen nutzen und nur selten den Weg in die Mediatheken finden. Zum anderen, weil sie die interaktiven Möglichkeiten - Kommentieren und Community - schätzen."
Schmitt ergänzt, dass die Plattform zudem Raum für experimentelle Formate biete, die im traditionellen Fernsehen keinen Platz fänden. Durch Kommentare, Diskussionen, Live-Formate und Community-Funktionen werde eine direkte Interaktion mit dem Publikum ermöglicht: "Dadurch kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich jugendlicher präsentieren, ohne seine journalistische Glaubwürdigkeit zu verlieren. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, junge Menschen an öffentlich-rechtliche Anbieter heranzuführen und ein alternatives Image aufzubauen."
Auch andere Qualitätsmedien würden ihre Video-Inhalte bei Youtube präsentieren, um Reichweiten zu erhöhen, ergänzt Schweiger. Problematisch sei jedoch die Lage von Content-Erstellern, die auf die Plattform als Einnahmequelle angewiesen seien, gibt er zu bedenken: "Das Monetarisierungssystem honoriert anspruchsvolle Inhalte mit überschaubarem Publikum viel weniger als massenattraktive und werberelevante Angebote."
Inzwischen ist Youtube nicht nur für Videos bekannt, auch der Audio-Stream ist erfolgreich. Am 1. Februar teilte Google mit, dass Youtube Music Premium die Marke von 100 Millionen Abonnenten überstiegen hat. Mit Youtube Music Premium können Songs und Videos für 10,99 Euro im Monat auf der Plattform ohne Werbung gehört und angesehen werden. Außerdem können mit der Hintergrundwiedergabe Musik und Podcasts abgespielt werden, während andere Apps oder Anwendungen genutzt werden.
Auch der Online-Audio-Monitor 2024 der Landesmedienanstalten bestätigt die Bedeutung von Audio: Im vergangenen Jahr legte Youtube beim Musikstreaming um sechs Prozentpunkte zu und behauptete sich mit 63 Prozent als führende Online-Audio-Plattform für Musikstreaming. Neben Spotify ist Youtube mit 35 Prozent auch für Hörbücher der beliebteste Zugang.
In den USA ist Youtube nach Angaben des Unternehmens die beliebteste Plattform für die Nutzung von Podcasts. Der Chief Executive Officer von Youtube, Neal Mohan, schrieb im Februar außerdem, die Online-Plattform sei "das neue Fernsehen": In den USA sei Youtube im Dezember 2024 am häufigsten über Fernsehgeräte genutzt worden. Diese haben den mobilen Geräten den Rang abgelaufen.
Copyright: epd-bild/Heike Lyding
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Text: Elisa Makowski ist Redakteurin bei epd Medien.
Zuerst veröffentlicht 24.02.2025 13:04
Schlagworte: Medien, Internet, Youtube, Google, Alphabet, Plattformen, Makowski
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