03.03.2025 10:16
epd Die "Spreewaldkrimis" leben atmosphärisch einerseits vom Spreewald und andererseits vom Kriminalisten Thorsten Krüger. Beiden eignet etwas Geheimnisvolles: dem Spreewald wegen der Verwunschenheit der Kanäle und des Waldes, dem Kommissar, weil er wortkarg und verschlossen ist und stets etwas mehr wahrnimmt als die Oberfläche, davon verrät er aber nichts. Christian Redl spielt die Figur des Krüger so mühelos, als sei er selbst so. Jetzt ist der Kommissar im Ruhestand, lebt zurückgezogen und liest viel. Auch philosophische Bücher, zum Beispiel über Wahrnehmung. Zur Fortbewegung nutzt er nach wie vor den Spreewaldkahn. Anfangs sehen wir, wie hinter seinem Boot eine urzeitlich anmutende Seeschlange auftaucht und hinter ihm herschwimmt.
Krüger möchte zur Ruhe kommen, aber das gelingt ihm nicht. Denn es passieren seltsame Dinge. So erlebt er, dass seine Buchhändlerin stürzt und sich verletzt, und als er sie kurz danach wieder trifft, spricht er sie darauf an und sieht zugleich, dass ihr gar nichts fehlt. Etwas stimmt mit der Reihenfolge seiner Realitätswahrnehmung nicht. Erst vermutet er eine beginnende Demenz und macht ein paar Tests. Nein, tüdelig ist er nicht.
Hat er das zweite Gesicht? Er fragt einen Experten, den Astrophysiker und Zeitphilosophen Levi A. Than (Fabian Hinrichs), der im Spreewald einen Vortrag gehalten hat. Der wortgewandte Forscher, der sich auf Einstein beruft, erklärt Krüger, dass die Zeit aus Bruchstücken besteht, die da heißen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und dass die gern mal durcheinander geraten. Dass die Zeit nur eine Richtung kenne, sei eine alberne Annahme. Wenn ich "jetzt" gesagt habe, ist "jetzt" ja schon vorbei, doziert er. Im übrigen sei alles festgelegt, der freie Wille eine Illusion. Man könne also, fragt Krüger, nicht eingreifen, wenn man wahrnehmend ein Zukunftsbruchstück zu fassen bekomme, um die Dinge zum Bessern zu wenden? Nein, sagt Than, dessen Name auf ein Wasserungeheuer anspielt. So etwas zu denken, sei Hybris.
Vor dieser Zeitrelativierungstheorie entfaltet sich der Krimi. Kollegin Luise Bohn (Alina Stiegler) wird angeschossen, Krüger soll auf die Zeugin dieses Anschlags, die Tochter des Kollegen Martin Fichte (Thorsten Merten) aufpassen, denn der Killer könnte die junge Mutter (Mercedes Müller) als Nächste aus dem Weg schaffen wollen. Krüger sagt zu, obschon er lieber weiter gelesen und über die Zeit nachgedacht hätte.
Inzwischen läuft die Fahndung. Es stellt sich heraus, dass ein gewisser Hoffmann, den Krüger vor langer Zeit überführt hatte, kürzlich aus der Haft entlassen wurde. Hoffmann hatte den Mord an einer jungen Frau stets bestritten und könnte nun, nachdem ihm während seiner Haft seine gesamte Familie abhandengekommen ist, zur Rache schreiten. Eine Familie hat Krüger nicht, aber einen Freundes- und Kollegenkreis. Mit dem Schuss auf die Polizistin hat es begonnen, und es wird so weitergehen. Krüger weiß: Auch Fichte ist in Gefahr. Und dessen Tochter Fina.
Jetzt werden Zeitbrocken aus der Zukunft in die Handlung hineingeworfen. So stirbt der arme Fichte, von Hoffmann in den Bauch getroffen, in Krügers Armen. Krüger wird selbst vom Killer überwältigt, er soll mitanzusehen, wie Fina erschossen wird. Aber die Zeitbrocken stürzen übereinander, und Krüger begreift plötzlich, dass Than ihn angelogen hat: Man kann doch etwas abwenden, ändern, bewerkstelligen in der Gegenwart. Als er einen zurückliegenden Zeitbrocken erwischt, rettet er Fichte vor dem Tod, organisiert Verstärkung und lässt Hoffmann ein zweites Mal überwältigen und abführen. Für den Bösen endet das Böse böse.
Man muss einige hochspekulative, wackelige Hypothesen kaufen, um an diesem Krimi Freude zu haben. Aber wenn man das tut, wächst das Interesse an einem Hergang, der nicht linear abrollt, sondern seinen Plot erst mal in die Luft sprengt und dann die einzelnen Versatzstücke mal so und mal so ordnet. Solche Spiele mit dem Zeitstrahl hat sich die fiktionale Fernsehunterhaltung immer mal wieder geleistet, sie gehen mal gut, mal weniger gut aus, sie sind ja auch recht gewagt, und nicht immer hat man so viel Glück wie die Macher des Films "Und täglich grüßt das Murmeltier".
Aber der 17. Spreewaldkrimi ist mit dieser Zertrümmerung des Zeitstrahls zumindest seinem Versprechen treu geblieben, Mord, Totschlag und Verfolgung mit einer Prise Mystery anzureichern. Man sieht die Autoren des Drehbuchs, Nils-Morten Osburg und Wolfgang Esser, vor sich, wie sie über dem Plot brüten, stets bemüht, einen Rest von Plausibilität durch Erklärung der veränderten Zeit-Koordinaten mit dem Bemühen in Einklang zu bringen, immer wieder zu überraschen und auch nicht zu viel zu verraten.
Unter der Regie von Jan Fehse werden Thorsten Merten und der geheimnisvolle Christian Redl ihren Rollen mehr als gerecht. Mercedes Müller überzeugt als gejagte Tochter Fina, die eigentlich anderes zu tun hätte, denn sie ist gerade Mutter geworden und trägt ihr Baby, das stets an den richtigen Stellen weint, also die geheime Dramaturgie dieses Films offenbar kraft seiner Unschuld verinnerlicht hat, die ganze Zeit liebevoll im Arm.
Am Ende sieht man wieder die Wasserschlange, die sich im Kielwasser von Krügers Kahn schlängelt. Ein Gruß aus der Vergangenheit, die wieder Zukunft werden will.
infobox: "Spreewaldkrimi: Böses muss mit Bösem enden", Regie: Jan Fehse, Buch: Nils-Morten Osburg, Wolfgang Esser, Kamera: Holly Fink, Produktion: Network Movie (ZDF, 24.2.25, 20.15-21.45 Uhr, ZDF-Mediathek bis 14.2.26)
Zuerst veröffentlicht 03.03.2025 11:16
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Krimi, Spreewaldkrimi, Fehse, Osburg, Esser, Sichtermann
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