Durchdachtes Doppelspiel - epd medien

26.07.2024 11:06

Einsamkeit und die Annäherung zweier Menschen im Alter - darum geht es in dem Roman "Unsere Seelen bei Nacht" von Kent Haruf. Ulrich Lampen hat aus der überbordenden Vorlage ein lakonisches und intensives Hörspiel gemacht, das nicht ins Banale oder Sentimentale abrutscht.

Hörspielregisseur Ulrich Lampen (Mitte) mit den Schauspielern Marek Harloff, Hedi Kriegeskotte, Jonathan Johow und Christian Redl (von links)

epd Diese Anfrage verblüfft: Eines Abends im Mai klingelt die 70-jährige Witwe Addie bei ihrem Nachbarn Louis und fragt ohne Umschweife, ob er hin und wieder nachts in ihr Haus kommen und bei ihr schlafen wolle. Diese Frage führt zu weiteren Fragen, sowohl bei Louis als auch bei den Zuhörenden. Wie stellt sich Addie diese Besuche vor? Ist ihr jäher, offenherziger Antrag das Ergebnis von Nachdenken oder unbedacht? Ist Addies Vertrauensvorschuss abenteuerlich oder nur naiv?

Knappe Erklärungen gibt Addie erst, als der ebenfalls verwitwete Louis zögert und Bedenkzeit braucht. Sie sei seit Jahren viel zu einsam, wie er wohl auch. Es gehe, meint sie zunächst, "nicht um Sex", sondern darum, "die Nächte zu überstehen", am besten durch Unterhaltungen im Bett, im Dunkeln. Und am nächsten Abend erscheint Louis tatsächlich bei Addie mit Pyjama und Zahnbürste in seiner Papiertüte.

Bruchstückhafte Zwiegespräche

Ähnlich wie sich in Freuds Psychoanalyse den Einzelpatienten die Zunge löst, wenn sie auf der Couch liegen, beginnen auch hier Addie und Louis im Liegen spontan zu reden. Doch sie kosten es bald aus, autonom und zu zweit zu sein. So führen sie keine Monologe, sondern bruchstückhafte Zwiegespräche. Sie stellen sich wechselseitig Fragen, tauchen scheinbar sprunghaft in ihre Vorgeschichte ein und bringen zentrale Erinnerungen zur Sprache. Hedi Kriegeskotte und Christian Redl in den Hauptrollen, beide lebens- und auftrittserfahren, treffen suggestiv Töne tastenden Kennenlernens, punktuellen Insistierens, wachsender Aufrichtigkeit und Zuwendung. So gelingt unter der Regie von Ulrich Lampen ein durchdachtes Doppelspiel von Lakonie und Intensität, das nicht ins Banale oder Sentimentale ausrutscht.

Das ist staunenswert angesichts der geballten, ja überbordenden Problemlast der Vorlage, Kent Harufs Roman "Our Souls at Night", der den 2015 postum veröffentlichten Abschluss des Kleinstadt-Zyklus des amerikanischen Erfolgsautors bildet. Mit seinem "general appeal" wurde dieses Alterswerk ein Bestseller, zudem verfilmt mit Jane Fonda und Robert Redford. Im Buch geht es um vielerlei Daseinslagen, die jeden angehen, nicht nur um Einsamkeit und Beziehungskrisen, Lebensfreude und Liebe, sondern auch um Berufswahl und Stellensuchen, Verfehlungen und unverschuldete Schicksalsschläge, Sterben und Überleben. Diese Themenskala hat Lampen in seinem Hörspiel gerafft und klug dosiert. Dabei konturiert er zwei Biografien und erreicht eine besondere Subtilität der zentralen Altersliebesgeschichte.

Aufbruch der Alten

Addies Leben wurde seit dem tödlichen Unfall ihrer elfjährigen Tochter ein Leidensweg, zumal ihr Mann verstummte und nicht mit ihr und dem jüngeren Sohn gemeinsam trauern konnte. Auch Louis konnte über den wunden Punkt seiner Ehe, seine kurze Affäre mit einer Kollegin, mit seiner Ehefrau nicht sprechen. Wenn Addie und Louis schon Vergangenes nicht mehr gut machen können, verbindet doch beide nun der Impuls, Neues besser zu machen.

So bleibt das Hörstück kein Kammerspiel, sondern beiden erschließen sich frische Erfahrungsräume und Außenwelten, die Bert Wredes bewegtes Gitarrenspiel markiert. Besonders beeindruckt, wie sie sich während der Sommerferien in den Bergen für Addies familiengeschädigten Enkel Jamie als gute Ersatz- und Großeltern erweisen. Doch als Addies Sohn voller Vorurteile seine Mutter und den Kleinen erpresst, dem Jungen im Falle von Kontakt zur Grandma den Verlust von Hund und Handy androht, ja der alten Frau den Umgang mit Jamie nur bei Trennung von Louis gönnt, verlässt sie tatsächlich ihr Haus und ihr Städtchen, um Jamies willen.

Trotz dieses Einschnitts sprechen die Liebenden weiterhin miteinander - wenn auch nur noch per Telefon. Und über die letzten Worte des Hörspiels hinaus setzt sich das Gitarrenspiel noch eine Weile fort. Geht der Aufbruch der Alten weiter?

infobox: "Unsere Seelen bei Nacht", Hörspiel nach Kent Harufs Roman "Our Souls at Night", aus dem Amerikanischen von Pociao, Regie und Hörspielbearbeitung: Ulrich Lampen, Komposition und Gitarre: Bert Wrede (HR2, 14.7.24, 14.04-15.20 Uhr und in der ARD-Audiothek)



Zuerst veröffentlicht 26.07.2024 13:06 Letzte Änderung: 29.07.2024 14:45

Eva-Maria Lenz

Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KHR, Hörspiel, Lampen, Haruf, Lenz, NEU

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