Ménage-à-trois in Mecklenburg - epd medien

03.10.2024 13:15

Aufgepasst bei den Himmelsrichtungen: Die ARD-Reihe "Nord bei Nordwest" bekommt mit "Nord bei Nordost" einen neuen Ableger, über den es wenig Negatives zu sagen gibt.

Eingespieltes Trio: Felix Bittner (Franz Dinda, l.), Chefin Nina Hagen (Cordelia Wege) und Tim Engelmann (David Bredin, r.)

epd Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt, Schöpfer der seit 2014 laufenden ARD-Reihe "Nord bei Nordwest" mit Hinnerk Schönemann, hat für die neueste Krimi-Offensive des Senders namens "Mörderischer Herbst" den Ableger "Nord bei Nordost" entwickelt. Titel der Auftaktfolge: "Westend". So heißt die fiktive Gemeinde im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, in der das Geschehen spielt. Auch wer sich mit Seefahrts-Kursangaben nicht so auskennt, wird aber kaum Schwierigkeiten haben, die Genre-Verortung des Formats zu dechiffrieren: Selbstverständlich handelt es sich um einen weiteren norddeutschen Regionalkrimi mit kantig-kauzigen Figuren, trockenem Humor, wohldosierter Spannung und der Landschaft als zusätzlicher Hauptdarstellerin.

Protagonistin ist die resolute örtliche Hauptkommissarin Nina Hagen (Cordelia Wege), die gleich zur Eröffnung im Bett mit ihrem Kollegen Tim Engelmann (David Bredin) gezeigt wird, aber, wie sich wenig später zeigt, auch mit ihrem zweiten Kollegen Felix Bittner (Franz Dinda) eine amouröse Beziehung unterhält.

Alltag auf dem Provinzrevier

Ob die unaufgeregt erzählte Ménage-à-trois und der gemütliche Alltag auf dem Provinzrevier so fortbestehen können, wird allerdings schnell infrage gestellt: Auftritt Hartwig Schulz (Thilo Prothmann) von der Personalabteilung des Landesinnenministeriums Mecklenburg-Vorpommern. Der Beamte ist aus Schwerin angereist, um die Polizisten davon in Kenntnis zu setzen, dass ihre Dienststelle seit der Wendezeit mit einer Planstelle zu viel besetzt sei. Ob vielleicht eine oder einer von ihnen zum Verzicht bereit wäre, bei vollen Bezügen und Pensionsansprüchen? Da heben alle drei die Hand, machen aber erst mal trotzdem weiter.

Schließlich gibt es gerade einiges zu tun: Auf dem Westender See ist ein Hausboot explodiert, dabei ist der bekannte Investigativjournalist Jan Witt ums Leben gekommen, der sich dort eingemietet hatte. Wie sich herausstellt, war der Mann beruflich vor Ort, um über die Machenschaften der in Westend ansässigen Schleuserorganisation "Zweite Welle" zu recherchieren. Deren Leiterin (Helene Grass) rühmt sich zwar, weiterhin für ukrainische Flüchtlinge da zu sein, während sich andere Initiativen längst abgewandt hätten. Aber sie macht auch keinen Hehl daraus, ihre Schützlinge direkt an den deutschen Arbeitsmarkt zu vermitteln, vorbei an der ausufernden Behördenbürokratie. Um welche Art von Arbeitsmarkt es sich dabei handelt, wird den Ermittlern klar, als sie Jan Witts Laptop finden.

Geschickt kreist Regisseurin Esther Rauch ("Schnee") die "Zweite Welle"-Schlepper von zwei Seiten ein: In einem parallelen Erzählstrang bricht im ukrainisch-polnischen Grenzgebiet eine Flüchtlingsgruppe auf, der sich ein offenbar verfolgter Mann (Knut Berger) anschließt. Im Lauf der Reise avanciert er zum Beschützer der ukrainischen Krankenschwester Uljana (Irina Potapenko) und ihrer kleinen Tochter Ana (Laeni Geiseler). Während der Flüchtlingsbus gen Westen fährt, kann Rauch spannungsmäßig noch eine Schippe drauflegen, indem sich der Mann als per Haftbefehl gesuchter Sexualverbrecher entpuppt.

Gesellschaftlich relevanter Plot

Ja, das ist schon ein seriös erzählter, sogar gesellschaftspolitisch relevanter Episodenplot. Und ja, die Konstellation der fortlaufenden Figuren hat Potenzial: Cordelia Wege stattet ihre Nina Hagen im Sinne der Namenspatronin mit einer guten Portion Rebellion, Trotz, Eigenständigkeit und sexueller Selbstbestimmtheit aus. Dieser Ermittlerin mit grauer Kapuzenjacke, die im DDR-Oldtimer übers Land tuckert und das Intro von Falcos "Der Kommissar" als Handy-Klingelton eingestellt hat, wird man auch weiter gerne zusehen. Nebulösen Andeutungen zufolge fiel ihre Mutter vor Jahren einem Gewaltverbrechen zum Opfer, die Täter wurden nie gefasst. Hier hat sich Autor Holger Karsten Schmidt schon Anknüpfungspunkte geschaffen, auf die er sicher zurückkommen wird.

Bei aller Skepsis gegenüber dem Kalkül, möglichst risikoarm an den Erfolg von "Nord bei Nordwest" anzuknüpfen, lässt sich über "Nord bei Nordost" wenig Negatives sagen. Innerhalb des selbst gesteckten Rahmens zwischen Krimi-Thriller und Posse bietet der Ableger ein gutes handwerkliches Niveau.

infobox: "Nord bei Nordost - Westend", Krimireihe, Regie: Esther Rauch, Buch: Holger Karsten Schmidt, Kamera: Peter von Haller, Produktion: Triple Pictures (ARD/NDR/Degeto, 3.10.24, 20.15-21.45 Uhr und seit 30.9.24 in der ARD-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 03.10.2024 15:15 Letzte Änderung: 04.10.2024 09:51

Peter Luley

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, Krimi, Luley, Triple Pictures, NEU

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