Witzig und herzzerreißend - epd medien

30.10.2024 08:53

Lalo nervt. Das sagen die Freunde dem Mittzwanziger in "Schwarze Früchte" immer wieder. Die ARD-Serie, an der Hauptdarsteller Lamin Leroy Gibba mitgeschrieben hat, ist humorvoll und erschreckend.

Lalo (Lamin Leroy Gibba) und Karla (Meldoie Simina) suchen in "Schwarze Früchte" nach ihrem Platz im Leben

epd Es ist wohl fair zu sagen, dass Lalo (Lamin Leroy Gibba) nervt. Zumindest sagen das die, die ihn gut kennen und trotzdem lieben. Wie seine Freundin Karla (Melodie Simina). Bei allen anderen könnte diese Aussage vielleicht übergriffig sein. Zumal Lalo in punkto Übergriffigkeit übertrieben aufmerksam ist. Lalo beginnt dann zu reden, lässt andere kaum mehr zu Wort kommen, rüstet seine Verletzungen mit seiner Suada. Schwarz und queer, hat Lalo, Mitte 20, gerade sein Studium der Architektur abgebrochen. Könnte man mit Wörtern Häuser bauen, wäre seines eine Burg mit ausschweifend dekorierten, doch widerstandsfähigen Wänden.

Die Serie "Schwarze Früchte" von und mit Lamin Leroy Gibba handelt von Leuten, die selten und so eher gar nicht im deutschen Fernsehen zu sehen sind. Oft überwiegt das Thesenartige oder der Disput, wenn es hierzulande um marginalisierte Personen geht. Meist raschelt das Drehbuchpapier in jedem Dialog, Didaktik ist der im Schloss knirschende Schlüssel zu den Figuren. Nicht so in "Schwarze Früchte", wo sich Humor und Tragik aus dem Leben des fiktiven oder autofiktional erzählten Personals ergeben.

Abgründige Szenen

Hier sind die Figuren komplex und keine Sprachrohre allein für Queerness oder Schwarzsein. Und das scheintolerante, übertriebene Gebaren mancher Weißer gegenüber schwarzer Lebenserfahrung führt in komisch abgründige Szenen. Zum Beispiel in der ersten Folge, als Lalo mit seinem festen Freund Tobias (Nick Romeo Reimann) zu dessen Eltern zum Essen eingeladen ist. Die Eltern betonen, dass sie praktisch schon immer bei "Black-Lives-Matter"-Demonstrationen dabei waren. Die Mutter (Judith Engel) stellt heraus, dass sie sich schon früh mit Rassismus beschäftigt habe, sie habe das Buch "Exit Racism" gelesen und kenne jetzt all die blinden Flecken.

Im übrigen solle Lalo doch in der Dinnerrunde mal seine Erfahrungen mit Polizeigewalt schildern, man habe auch extra Couscous gekocht. Und könne er bitte die Schuhe anziehen, oder mache er das sonst nicht? Lalos gereizte Antworten führen dazu, dass Tobias später mit ihm Schluss macht: "Du bist das Problem!"

Diese erste Folge ist entlarvend, aber auch sehr unterhaltsam. Nicht alle weiteren setzen in ähnlicher Weise auf die Darstellung eines wohlfeilen Anti-Rassismus, doch tauchen wiederholt weiße Menschen im Umfeld der schwarzen Hauptfiguren auf, die begierig auf fremde Leiderfahrung sind. Wie die politisierte Kuratorin einer Nachwuchsausstellung zum Thema Fremdheit und Familiarität, die Lalo dazu bewegen will, seine Auseinandersetzung mit Kolonialismus künstlerisch zu bearbeiten. Lalo mit seiner selbstbezogenen Weltsicht kriegt in einer sehr komischen Szene gerade die Kurve. Er verspricht allerhand Kritisches, was er kaum zu halten gedenkt.

Übertrieben nervig

Mehr und mehr wird der Ton der Serie privater. Natürlich ist das Private hier politisch. Aber subtiler und weniger eindeutig als gemeinhin gewünscht. Das ist die Stärke der Serie. Rückblenden zeigen Lalos Schulzeit in Hamburg, Demütigungen und Erpressungen. Freundin Karla haut ihn raus, ist und bleibt Zuflucht. "Du wurdest hauptsächlich zusammengeschlagen, weil du schon immer übertrieben nervig warst", findet sie. Das ist wahr, sieht man, aber es ist nicht die ganze Wahrheit.

Karla lebt die Zielstrebigkeit. Intellektuell brillant, den teuren Dingen der Lebensverschönerung zugetan, hat sie eine enorme Karriere im Finanzbereich hingelegt. Dass Leistung allein nicht zur Beförderung geführt hat, dass Quote und Sexismus auch weiterhin eine Rolle spielen, macht sie ihre Entscheidungen überdenken. Auch ein Besuch mit Lalo bei der ehemals gemeinsamen Freundin Yvonne (Paula Kober), die auf Rügen traditionelle Familie spielt, mischt die Karten neu.

Unbedingt sehenswert

Auch für Lalo. Joshua (Daniel Hernandez) flirtet mit ihm, aber ist dessen offene Sicht von Beziehungen etwas, womit Lalo leben möchte? Mehr und mehr wird "Schwarze Früchte" von einer Art Bestandsaufnahme zur zukunftserweiternden Coming-of-Age-Geschichte. Die siebte Folge stellt Lalo ganz in den Mittelpunkt, lässt die Trauer um seinen kürzlich verstorbenen Vater ahnen, die Beziehung zur Mutter, greift erzählerisch aus in seine Geschichte und seine Möglichkeiten der Zukunft. Einen Akt der selbstlosen Liebe hat Lalo gezeigt: Er als einziger stand Lotta (Vanessa Yeboah), der 16-jährigen Schwester Karlas, beim Schwangerschaftsabbruch zur Seite.

"Schwarze Früchte" ist witzig, erschreckend, herzzerreißend und macht wütend. Die Drehbücher von Gibba und den anderen Autoren wirken überlegt und geschickt komponiert. Im Gegensatz zur Hauptfigur sind sie nicht geschwätzig, sondern spitzen Realitäten und Probleme überzeugend und nachvollziehbar zu. Die Kamera von Malcolm Saidou und Claudia Schröder und die Regie (Elisha Smith-Leverock, David Uzochukwu) tun ein übriges, um die Serie unbedingt sehenswert zu machen.

infobox: "Schwarze Früchte", achtteilige Serie, Regie: Elisha Smith-Leverock, David Uzochukwu, Buch: Lamin Leroy Gibba, Sophia Ayissi Nsegue, Naomi Kelechi Odhiambo, Lisa Tracey Michalik, Sarah Claire Wray, Kamera: Malcolm Saidou, Claudia Schröder, Produktion: Jünglinge Film, Network Movie, Studio Zentral (ARD-Mediathek/Degeto seit 18.10.24, One, 18.10.24, 23.00-3.20 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 30.10.2024 09:53

Heike Hupertz

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, Serie, Smith-Leverock, Uzochukwu, Gibba, Nsegue, Odhiambo, Michalik, Wray, Hupertz

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