16.02.2025 13:00
epd Katrin Rothe, mehrfach preisgekrönte Regisseurin von engagierten Dokumentarfilmen wie "Betongold" (2013) oder "Johnny & Me" (2023), arbeitet gern mit Animation und anderen spielerischen Elementen. Allen Werken der Filmemacherin, die an der Berliner Universität der Künste studierte, lässt sich ein ganz eigener ästhetischer Ansatz zuschreiben. "Laura, Linda, Gera und ich", ein Beitrag für die 3sat-Porträtreihe "Docume", ist wohl ihr bisher persönlichster Film. Denn Rothe geht zurück in ihre Geburts- und Kindheits-Stadt Gera in Thüringen, die nach der deutschen Wiedervereinigung von einer bedeutenden Bezirkshauptstadt mit etwa 140.000 Einwohnern zur Mittelstadt heruntergeschrumpft wurde.
Als Aufhänger der Geschichte dient Rothe ihre 22-jährige Großnichte Laura, die für ihre Videos spektakulärer Schmink-Maskeraden 135.000 Follower im Netz hat. Sie fühle sich Laura besonders verbunden, sagt Rothe zu Beginn des Films im Zug. Ein intendiertes Porträt der jungen Frau ist Anlass für die erste Arbeitsreise der Regisseurin in die alte Heimat seit ihrem Weggang. Doch zu einer persönlichen Begegnung der beiden wird es wegen der Schüchternheit der Videobloggerin und ihrer Scheu vor fremden Kameras nie kommen, nur ihre Stimme ist einmal zu hören bei einem Video-Chat im Film. So widmet sich Rothe nach den ersten knappen zehn Filmminuten der Wiederbegegnung mit der Stadt Gera und ihren Erinnerungen an ihre Jugend dort.
Rothe gibt sich in ihren Worten wie im Auftreten mit blau gefärbtem Haar und roten Kniestrümpfen als ungewohnt schnoddrige Presenterin, die bei ihrer Erkundung erstaunt registriert, dass viele Menschen großen Unmut wegen der aktuellen Stadtentwicklungen hegen. Bald ist sie selbst entsetzt über die enormen Verluste an historischer Substanz durch Umbenennungen, Abriss und Kahlschlag, der etwa die ganze bauliche Basis des früheren Wirtschaftszentrums zerstörte. Vom VEB Modedruck, dem VEB Elektronik und dem VEB Textilmaschinen mit ehemals tausenden Beschäftigten sind nur noch traurige Steinhaufen übrig. Dort, wo in ihrer Kindheit das Freibad mit Sprungturm war, befindet sich jetzt eine Spielfläche für Beachvolleyball ohne Wasser. Und im historischen Stadtzentrum sind auf dem Pflaster "Selfie Points" der Initiative "Schönes Gera" markiert.
Einzig das 1977 erbaute "Haus der Kultur" hat den Zeiten getrotzt und ist - wenn auch mit Verlusten - als "Kultur- und Kongresszentrum" in der Stadtmitte geblieben. Der Höhepunkt eines geführten Rundgangs ist ein Besuch im seit DDR-Zeiten unberührt gebliebenen Technik-Studio, wo immer noch die Schränke für die Aufzeichnung von Fernsehshows stehen. ORWO-Schachteln und Tonbandspulen liegen so lässig im Regal, als sollten sie gleich morgen wieder genutzt werden. Und durch das Fenster der Dolmetscherkabine lässt sich herunter in den großen Saal sehen, wo auf einem kleinen Teil der Bühne gerade eine Sitzung zum Stadtmarketing stattfindet.
Katrin Rothe hatte hier im Haus mit dem Tanzensemble für eine Vorführung bei den Kulturfesttagen der Werktätigen geprobt, bevor sie nach der Wende zum Filmstudium nach Berlin ging. Es falle ihr immer noch schwer, davon zu erzählen, ohne das Gefühl zu bekommen, sich erklären oder rechtfertigen zu müssen, sagt sie. Doch die Heimatreise hat die Filmemacherin selbstbewusster in ihrer Ost-Identität gemacht. Und dann trifft Katrin Rothe doch noch auf ein jugendliches Alter Ego. Linda ist mit 18 Jahren gerade frisch nach Gera gekommen und gemäß eigener Auskunft nach Abschluss von Schule und Ausbildung gerade in einer Phase der Selbstfindung.
Die Filme der Reihe "Docume" erzählen mit den "kreativen Erzählformen des Autorenfilms" von "Menschen in Auf- und Umbrüchen, die vor persönlichen Herausforderungen stehen", heißt es in der Beschreibung von 3sat. Diese programmatische Vorgabe ist hier in weniger als 35 Minuten mit großer Offenheit und ungewöhnlich lebendig umgesetzt.
infobox: "Laura, Linda, Gera und ich", Dokumentation, Regie und Buch: Katrin Rothe, Kamera: Knut Rothe, Produktion: Katrin Rothe Filmproduktion (3sat/ZDF, 10.2.25, 23.46-0.20 Uhr, in der 3sat-Mediathek bis 1.2.26)
Zuerst veröffentlicht 16.02.2025 14:00 Letzte Änderung: 18.02.2025 14:42
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), K3sat, Rothe, Dokumentation, Hallensleben, NEU
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