01.11.2024 08:54
epd Wenig Drehbuch, stattdessen Chancen und Risiken der Spontaneität: Das ist das Konzept der bislang vornehmlich fürs Fernsehen entstandenen Arbeiten von Jan Georg Schütte. Die verhandelten Themen zeigen sich von Senioren-Dating über Klassentreffen bis hin zu Krimi und Familiendrama sehr wandelbar, das Vorgehen bleibt jedoch gleich. Auf eine intensive Rollenvorbereitung folgen Drehtage, bei denen es für die einzelnen Szenen lediglich ein grobes Szenario gibt und die Schauspieler:innen jeweils unterschiedliche Instruktionen bekommen. Der Rest wird ¬improvisiert.
In "Micha denkt groß" führt dieses Konzept in das fiktive Örtchen Klein-Schappleben in Sachsen-Anhalt. Videospieldesigner Micha, der mit seinem Unternehmen zunächst enorm erfolgreich war und dann pleitegegangen ist, möchte hier in seinem Heimatort eine Wellness-Oase, kombiniert mit einem New Work Space errichten. Bei diesem Vorhaben stößt er jedoch nicht nur auf die Skepsis der Dorfgemeinschaft, sondern muss sich auch damit auseinandersetzen, dass das Grundwasser des Dorfs versiegt. Ein erbitterter Kleinkrieg innerhalb des Dorfes ist die Folge.
Wie bereits bei "Für immer Sommer 90" ist Schütte gemeinsam mit Lars Jessen für die Regie verantwortlich und hat zusammen mit ihm und Hauptdarsteller Charly Hübner, Stammschauspieler bei Schütte, die Ideen für das Projekt entwickelt. Schlug "Für immer Sommer 90" noch sehr ernste Töne an, steht "Micha denkt groß" eher in der Tradition von Schüttes klamaukigen Arbeiten wie zuletzt den Serien "Kranitz - Bei Trennung Geld zurück" oder "Das Begräbnis". Die Figuren sind satirische Überspitzungen zahlreicher Stereotype: Ökoaktivist trifft auf Verschwörungsgläubige, trifft auf überforderte Bürgermeisterin. Michas Visionen sowie sein aus Denglisch und einfachen Schlagwörtern bestehender Unternehmenssprech wirken hier in der Provinz fehl am Platz.
Die gedrehten Szenen fungieren bei Schütte als Materialsammlung, aus der sich erst im Schnitt die endgültige Geschichte zusammensetzt. Hinsichtlich der Handlung holpert es bei "Micha denkt groß" schon mal, eine konsistente Auflösung sollte man nicht erwarten. Die Stärke des Films liegt in den einzelnen Szenen. Wenn Schwurbler Bernd Schlüter (Schütte selbst) Micha mit einem Zitat von Goethe konfrontiert und dieser etwas überfordert mit "Goethe ey, voll cool" reagiert, hat das einen trockenen Humor, der sich aus der Spontanität heraus nährt.
Viel Komik entsteht zudem durch den Zusammenschnitt von Reaktionen: Michas euphorische Projektpräsentation zu Beginn wird durch den Blick auf die anwesenden Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner konterkariert. Neben Hübner zeigt vor allem Peter Kurth als Bauer in Existenznöten auch emotionalen Tiefgang. Die bodenständige Ruhe von Kurth ist in den skurril aufgedrehten Szenerien ein wohltuender Kontrapunkt. Schließlich verweist der Film auch auf einen sehr ernsten realen Hintergrund: Auch Deutschland ist im Zuge des Klimawandels zunehmend von Trockenheit bedroht.
infobox: "Micha denkt groß", Komödie, Regie: Lars Jesen, Jan Georg Schütte, Buch: Christian Riedel, Lars Jessen, Charly Hübner, Jan Georg Schütte, Kamera: Moritz Schultheiß, Produktion: Florida Film (ARD/MDR/Degeto, 1.11.24, 20.15-21.45 Uhr und seit 30.10.24 in der ARD-Mediathek)
Zuerst veröffentlicht 01.11.2024 09:54
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, KARD, Fernsehfilm, Schütte, Jessen, Hübner, Riedel, Suhr
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