03.02.2025 09:30
epd Eine Frau unterzieht sich einer Star-Operation. Das Risiko, dass etwas schiefläuft, liegt bei eins zu fünftausend. Bei der Frau läuft etwas schief. Keime geraten ins Auge, die Folge: elf Krankenhausaufenthalte, vier Operationen inklusive Hornhauttransplantation. Ein Martyrium, bei dem sie beinahe ihr Auge verliert.
Die Geschichte der Augenerkrankung ist die Geschichte der Autorin Barbara Eisenmann. In ihrem jüngsten Feature geht die bekannte Rundfunkautorin der Frage nach, wie sich Krankheit im Allgemeinen und diese Krankheit im Speziellen erzählen lässt. Damit knüpft sie implizit an eine Vielzahl von Büchern an, die diese Frage vor allem anhand von Krebs verhandeln. Angefangen von Susan Sontags Essay "Krankheit als Metapher" bis zu Christoph Schlingensiefs Tagebuch "So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!" und Wolfgang Herrndorfs Blog "Arbeit und Struktur".
Eisenmann erwähnt diese Bücher in ihrem ebenso persönlichen wie anspruchsvollen Feature zwar nicht, zitiert dafür aber ausführlich sieben andere Werke aus der Philosophie und der Literaturwissenschaft, die alles andere als leicht verständliche Lektüre sind. Darunter französische Klassiker wie Georges Canguilhelms "Gesundheit - eine Frage der Philosophie" und Louis Althussers "Ideologie und ideologische Staatsapparate".
Damit legt sie die Messlatte hoch. Hörerinnen und Hörer müssen sich nicht nur konzentrieren, sondern grundsätzlich bereit sein, deren Gedankengängen zu folgen. Sie fragen, was Krankheit mit dem Subjekt macht; ob sie Mittel zur Erkenntnis sein kann; wie politisch sie in einer neoliberalen Gesellschaft ist, die Krankheit ebenso verdrängt wie das Sterben und jeden von uns beständigem Selbstoptimierungsdruck aussetzt. Bedeutet krank zu sein folglich auch, im Leben versagt zu haben?
Eisenmann ist sich den Anforderungen, die das Feature stellt, bewusst. Nicht zufällig lässt sie die Augenkrankheit und die sich daraus ergebenen Fragen von zwei Sprecherinnen (Anja Schneider und Constanze Becker) erörtern, die in eine Art Dialog miteinander treten. Während die eine die Erkrankung theoretisch begreifen will und Hilfe bei den Philosophen sucht, lehnt die andere das mit harschen Kommentaren ab. Zurückweisungen und Rückfragen wie "Das muss ich erstmal verdauen", "Was soll das heißen?" und "Mensch Kinder, ihr wollt Konkretes und redet abstrakt" dürften beim Hören auch dem einen oder anderen selbst auf der Zunge liegen. Verschnaufpausen gönnt einem die dazwischen geschnittene Barockmusik - damit und mit Prousts "Recherche" in der legendären Hörbuchfassung von Peter Matić hat sich die Patientin einst während der Krankenhausaufenthalte die Zeit vertrieben.
Außer den beiden Sprecherinnen kommen mit der Autorin Zoro del Buono, dem Journalisten Stefan Ripplinger, der Bildenden Künstlerin Regine Spangenthal sowie der Psychoanalytikerin Mai Wegener vier Gesprächs- und Interviewpartner zu Wort. Spezialgebiet von Wegener ist die komplexe Lehre des Psychoanalytikers Jacques Lacan, was das Feature auch damit nicht gerade verständlicher macht.
Es durchzieht die Frage, wie sich Krankheit erzählen lässt. Mehrere Möglichkeiten werden durchgespielt. Von "der exemplarischen Erfolgsgeschichte" bis zur "emanzipatorischen Erzählung" einer Selbstermächtigung gegenüber einem Gesundheitssystem, dem man erst einmal hilflos ausgeliefert ist. Dabei zeigt sich, dass es die eine richtige Erzählung nicht geben kann, sondern alle ihre Vor- und Nachteile haben. Das gilt letztlich auch für das zweifelsohne anregende, über weite Teile aber doch sehr akademische Feature selbst, dem man anhört, dass seine Autorin einst über das Erzählen in Therapiegesprächen promoviert hat.
infobox: "Krankheit erzählen - Krankheit politisieren - Die Frau mit dem Auge", Feature, Regie und Buch: Barbara Eisenmann (Deutschlandfunk Kultur, 25.1.25, 18.05-19.00 Uhr und in der ARD-Audiothek)
Zuerst veröffentlicht 03.02.2025 10:30
Schlagworte: Medien, Radio, Internet, Kritik, Kritik.(Radio), KDLF, Feature, Eisenmann, Welle
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