17.02.2025 10:33
"Die Geburt - das vielleicht größte Ereignis in unserem Leben!" Wenn die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim diese "Terra-X"-Dokumentation über Geburt und Tod so anmoderiert, dann wird bereits spürbar, dass es hier nicht um eine allzu verstörende Auseinandersetzung mit den großen Fragen des Lebens geht. Dieses Narrativ funktioniert seit dem Filmklassiker "Das Wunder des Lebens" von Lennart Nilsson aus dem Jahr 1982: das Staunen über die Wunder der Natur.
Die Dokumentation setzt auf Hochglanzbilder aus einem Labor für künstliche Befruchtung, eine Zellteilung wird im Zeitraffer gezeigt. Hinzu kommt ein seltsamer Cartoon, in dem die Moderatorin als Comicfigur im U-Boot um einen Fötus kreist, und das galaktische Motiv des Sternenstaubs.
Ergänzt wird das von Selbstversuchen. Einem jungen Mann wird ein Anzug angelegt, der das Druckerlebnis der Wehen simuliert. Schon bei 30 Prozent ist er überwältigt. Später sieht man eine reale Geburt, aber kein Blut. Nguyen-Kim hält einen dicken Granatapfel neben die schmale Anatomie eines Hüftskeletts.
An der Universität Genf wird die Hirnreifung von Frühchen erforscht. Der Komponist Andreas Vollenweider hat eigens sphärische Klänge geschaffen, die den Babys eingespielt werden. Obertöne menschlicher Stimmen, Glocken - das soll die Reifung beschleunigen. Am besten wirke die indische Schlangenbeschwörerflöte, sagen die Forscher. Die Babys lächeln - Wellness im Babyparadies.
Offenbar, so die Psychologin Claudia Buß, können Babys die Kaskaden ihnen noch unbekannter optischer Reize sehr präzise katalogisieren. Ob es lebendige Wesen oder Objekte sind, können sie selbst bei Abfolgen von sechs Bildern pro Sekunde unterscheiden. Auch ihre Hirnphysiologie passe sich an die Umgebung an. Nur kurz kommt zur Sprache, was die Entwicklung der Babys stören kann: mütterlicher Stress wird per Cortisol auf das Ungeborene übertragen. Doch auch das ist nicht wirklich beunruhigend. "Mittlerer Stress" bereite die Kleinen schließlich auf die große Welt vor.
Eine größere Fallhöhe erreicht die zweite Folge der Dokumentation, "Wie wir sterben". Eingangs wird allerdings wieder esoterisch geraunt: "Zweimal im Leben beschreiten wir ein Portal in eine neue Realität." Eine zentrale Rolle spielen die Nahtoderfahrungen, die der Extremsportler Andreas Stollreiter gleich mehrfach machte: In Tibet fast erfroren, auf dem Atlantik fast ertrunken. Das Ende? "Ganz blurry, entspannt, ohne Anstrengung - ein Flow", sagt er. Eine für ihn transzendentale Erfahrung des tiefen Glücksgefühls.
Auch der ehemalige Komapatient Guy van der Linden beschreibt "das Gefühl purer Liebe". Die Dokumentation konzentriert sich auf das, was der Neurologe Jens Dreier als eine Art Blackout beschreibt. Im Moment des Sterbens werden hohe Dosen von Hormonen und Neurotransmitter ausgeschüttet. Binnen zehn Minuten steigern sich die 86 Milliarden Nervenzellen des menschlichen Körpers zu einer Entlastungswelle, gefolgt vom Kurzschluss und der Vergiftung der Zellen.
Mai Thi Nguyen-Kim wagt sich mit einer Bestatterin an eine Leiche, kleidet sie an. Ängste lösen sich auf, es ist "auch nur ein Mensch". Aber wozu muss sie sich dann auch noch als Cartoonfigur durch eine Illustration von Dantes neun Kreisen der Hölle schlagen? Oder in einem Schnelldurchlauf durch Science-Fiction-Szenen des ewigen Lebens, als DNA-Klon oder durch Gehirn-Scan unsterblich geworden?
So viele Ideen, so viele Fundstücke, an allen huscht die Dokumentation vorbei, auch an den Ausstellungsstücken der Koffer für die letzte Reise oder der Fotoserie "Das letzte Hemd". Die hohe Schlagzahl der Szenen macht es dem Zuschauer leicht, sich den schweren Gedanken zu entziehen und die Dokumentation als Unterhaltung an sich vorbeiziehen zu lassen.
infobox: "Terra X: Unser Leben", zweiteilige Dokumentation mit Mai Thi Nguyen-Kim, 1. "Unser Leben: Wie es beginnt", 2. "Unser Leben - Wie wir sterben", Regie und Buch: Luise Wagner, Kamera: Jonas Sichert, Produktion: Gruppe 5 Filmproduktion (ZDF, 9.2.25 und 16.2.25, jeweils 19.30-20.15 Uhr, ZDF-Mediathek seit 9.2.25)
Zuerst veröffentlicht 17.02.2025 11:33
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Terra X, Dokumentation, Dehler
zur Startseite von epd medien