08.03.2025 12:30
epd Der blonde Mann fühlt sich sichtlich unwohl, als er in das arabische Land kommt. Das ändert sich erst, als er die Tür seines Mietwagens schließt und alles Fremde aussperrt: "Willkommen zu Hause", erscheint als Schrift auf dem Bildschirm. 35 Jahre später gäbe es einen Aufschrei, wenn Mercedes noch mal einen derartigen Werbespot veröffentlichen würde. Nele Mueller-Stöfen (Buch und Regie, Jahrgang 1967) kennt ihn wohl, denn der Auftakt ihres beeindruckenden Langfilm-Regiedebüts ist ähnlich gestaltet: Auf dem Weg ins südfranzösische Feriendomizil gerät eine Familie mit ihrem Auto in eine Demonstration. Die Menschen protestieren gegen die hohen Preise, erklärt der Chauffeur. Zu sehen ist wegen des Qualms nicht viel, zu hören umso mehr, es gibt Tumulte und Explosionen. Dann klatscht eine Farbbombe gegen die Scheibe, das Bild wird blutrot.
"Delicious" hat Nele Mueller-Stöfen ihren Film genannt. Der Arbeitstitel "Das Spiel ist aus" weckt Assoziationen zu einem 1947 erschienenen Drehbuch von Jean-Paul Sartre. Das erzählte zwar eine völlig andere Geschichte, aber der Tonfall ist ähnlich.
Nach dem Prolog mit den Straßenkrawallen stellt sich erst mal der Mercedes-Effekt ein, als sich das vergitterte Tor hinter der Familie schließt: Auf dem großzügigen Anwesen mit Villa, Pool und Tennisplatz sind die vier Deutschen abgeschottet von der Außenwelt. Natürlich ist das eine Illusion, wie sich später zeigt. Denn ganz gleich, wie hoch die Zäune sind, die Gefahr lässt sich nicht aussperren. Zunächst tummeln sich jedoch nur ein paar Marder auf dem Dachboden.
Nach einem Essen im Restaurant eines luxuriösen Hotels kommt es zu einem nächtlichen Zwischenfall: John (Fahri Yardim) ist einen kurzen Moment unaufmerksam und fährt eine junge Frau an. Gattin Esther (Valerie Pachner) versorgt die Wunde am Arm, Teodora (Carla Diáz) darf über Nacht auf dem Anwesen bleiben, ein paar Scheine sollen über den Schmerz hinwegtrösten.
Wenig später steht Teodora wieder vor der Tür: Wegen der Verletzung hat sie ihren Job als Bedienung verloren. Sie bietet sich als Haushaltshilfe an und wird bald unverzichtbar, zumal es ihr gelingt, zu den Familienmitgliedern eine jeweils eigene Beziehung aufzubauen. Schon bald hat die Tochter den gleichen Nagellack wie Teodora, die mit simplen Mitteln einen Keil zwischen die Familienmitglieder treibt. Wie ein Brandbeschleuniger befeuert sie, was unter der Oberfläche schwelte.
Mit seiner flirrenden Stimmung erinnert "Delicious" nicht nur an Vorbilder wie Jacques Derays Klassiker "Der Swimmingpool" (1969) mit Alain Delon und Romy Schneider. Viele Filme haben sich die unbeschwerte Urlaubsatmosphäre in der Provence zunutze gemacht, um Geschichten über einen mörderischen Sommer zu erzählen, aber selten hat sich das Grauen derart wirkungsvoll angeschlichen wie hier.
Anfangs begnügt sich Mueller-Stöfen mit Andeutungen: Teodoras Blick in die Kamera zum Beispiel oder ihre auf die Marderplage bezogene Warnung, man müsse die Tiere vergiften, sonst würden sie das ganze Haus besetzen. Tiere spielen auch sonst eine besondere Rolle: mal sind es Ameisen, die sich, wie aus dem Nichts auftauchend, über Essensreste hermachen, mal ein Frosch, den die elfjährige Tochter aus dem Pool rettet.
Eindrucksvoll verleiht die Regisseurin selbst scheinbar harmlosen Szenen ein subkutanes Unbehagen. Der ruhig inszenierte, aber von Frank Griebe sehr durchdacht gestaltete Film lebt von der Neugier, was Teodora im Schilde führen mag. Mit zunehmender Dauer wird die Musik immer präsenter, größer und bedrohlicher, die Bilder werden plakativer. Dass der Unfall fingiert war, wird früh verraten, aber worauf der Film schließlich hinausläuft, ist angesichts des Sozialdramas, das er über weite Strecken zu sein vorgibt, eine Überraschung.
Die alte Welt, zitiert Teodora den kommunistischen italienischen Schriftsteller, Antonio Gramsci, liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: "Es ist die Zeit der Monster."
infobox: "Delicious", Fernsehfilm, Regie und Buch: Nele Mueller-Stöfen, Kamera: Frank Griebe, Produktion: Komplizen Film (Netflix, seit 7.3.25)
Zuerst veröffentlicht 08.03.2025 13:30 Letzte Änderung: 10.03.2025 11:57
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KNetflix, Fernsehfilm, Mueller-Stöfen, Gangloff, NEU
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