Fachwissen und Fanseele - epd medien

16.07.2024 11:06

Die Fußball-EM in Deutschland ist vorbei. Tilmann Gangloff sind bei den TV-Übertragungen einige Informationslücken und viele Übertreibungen aufgefallen. Preiswürdig agierte aus seiner Sicht immerhin das ZDF-Trio Christoph Kramer, Per Mertesacker und Jochen Breyer. Auch einige der begleitenden Dokumentationen sind von bleibendem Wert.

Notizen zur EM-Berichterstattung im Fernsehen

Wie vom Laufsteg: Bastian Schweinsteiger und Esther Sedlaczek waren gern mal im Flirtmodus

epd Im Fußball wie im Leben sind es oft die kleinen Momente, die Großes bewirken. Mitunter genügt eine wie aus dem Sprunggelenk geschüttelte kaum wahrnehmbare Finte, um einen Verteidiger in die Irre zu führen, schon ist der Weg zum Tor frei. Und manchmal gibt es winzige Augenblicke, die ganze Verschwörungserzählungen auslösen können.

Beim Vorrundenspiel Belgien gegen die Slowakei ließ eine Szene die Redensart vom Stürmer als "Strafraumphantom" auf beunruhigende Weise Wirklichkeit werden: Als nicht der Ball, sondern der Slowake Milan Skriniar im Tornetz der Belgier zappelte, verschwand er plötzlich aus dem Fernsehbild, nur Unterschenkel und Füße waren noch zu sehen. Der Oberkörper war wie von der Bandenwerbung verschluckt. Notorisch misstrauische Menschen, die "die Medien" ohnehin für Propaganda-Instrumente halten, haben sich angesichts der irritierenden Aufnahme womöglich gefragt, ob die Euro 2024 eine ähnliche Fälschung sei wie einst die Mondlandung.

Qualm war nicht vorgesehen

Beim Achtelfinale zwischen Portugal und Rumänien gab es ein ähnliches Phänomen: Dichte Rauchschwaden zogen durchs Frankfurter Stadion, bloß die elektronische Bandenwerbung war kristallklar zu erkennen. Die Erklärung ist in beiden Fällen die gleiche: Zum ersten Mal hat die UEFA bei einer EM virtuelle Bandenwerbung eingesetzt. Während die Menschen in den Stadien die Namen der internationalen Sponsoren und englische PR-Slogans sahen, wurde für das deutsche TV-Publikum für hiesige Unternehmen geworben. Die Fernsehbilder für die USA und China enthielten ebenfalls eigene Marken; so ließen sich die Werbeplätze gleich viermal verkaufen. Im Fall von Skriniar hat es offenbar einen digitalen Schluckauf gegeben, und Qualm war in der Software-Programmierung wohl auch nicht vorgesehen.

Ersetzt wurde die Bandenwerbung aber nur bei den Bildern der Führungskamera, deshalb waren zum Beispiel bei Nahaufnahmen im Hintergrund andere Sponsoren zu erkennen. Diese optische Dissonanz wurde von den Kommentatoren jedoch nicht näher erläutert, dabei hätte doch ein Satz genügt ("Falls Sie sich wundern..."), um das vermeintliche Mysterium aufzuklären. Offenbar gehen die Sender davon aus, dass der zu Beginn und am Schluss eingeblendete Hinweis "enthält/enthielt virtuelle Werbung" ausreicht.

Beschreiben, was alle sehen

Diese Informationslücke blieb während der gut vier EM-Wochen nicht die einzige Leerstelle. Woher der Rauch in der Achtelfinalpartie stammte, blieb beispielsweise ebenfalls ein Rätsel. Welt- und Europameisterschaften werden von den Verbänden FIFA und UEFA veranstaltet, sie sind auch die Auftraggeber der Fernsehbilder und stets bemüht, ein makelloses Bild zu vermitteln. Alles, was den schönen Schein trüben könnte, wird tunlichst ausgeblendet, ganz gleich, ob es sich um sogenannte Flitzer oder um Pyrotechnik auf der Tribüne handelt. Seltsamerweise verlor im Ersten allerdings auch Christina Graf kein Wort über die eingeschränkte Sicht.

Die SWR-Reporterin gehört wie ihr NDR-Kollege Gerd Gottlob zur Kommentarkategorie "Ich sehe nichts, was du nicht auch siehst". Im Grunde kämen Fußballspiele auch ohne Erklärung aus, schließlich sind die Regeln kinderleicht. Trotzdem ist es gut, dass jemand im Stadion ist - schon allein, um über jene Ereignisse zu informieren, die die Kameraleute ignorieren müssen. Gute Kommentare folgen daher der Devise "Ich sehe was, was du nicht siehst". Zum Beispiel taktische Feinheiten, die die Führungskamera oft nicht einfängt, weil sie sich auf das Spielgeschehen in Ballnähe konzentriert. Umso ärgerlicher ist es, wenn Graf, Gottlob, Oliver Schmidt (ZDF) oder Marco Hagemann (Magenta TV/RTL) nur das beschreiben, was die Menschen an den Bildschirmen selbst wahrnehmen.

Unkenntnis im Spiel

Kommt dann auch noch Unkenntnis ins Spiel, wird es endgültig skurril. Im Verlauf der Eröffnungspartie zwischen Deutschland und Schottland kommentierte Schmidt gleich mehrfach am Geschehen vorbei: Antonio Rüdiger stellte einen schottischen Stürmer, spitzelte den Ball ins Aus und gestikulierte. Schmidt war überzeugt, der Verteidiger feiere seine Aktion, dabei wollte er bloß einen Einwurf. In der zweiten Halbzeit kam Leroy Sané im Strafraum zu Fall und schaute zum Schiedsrichter, Schmidt legte sich fest: kein Elfmeter! Darum ging’s aber gar nicht: Sané wollte Eckball, und er hatte recht, wie die Wiederholung belegte. Schmidt blieb dennoch hartnäckig bei der Strafstoßthese.

Auch Gottlob ließ sich beim deutschen Viertelfinale gegen Spanien selbst durch mehrere Wiederholungen nicht davon abbringen, dass Toni Kroos für sein Foul an Rodri gleich zu Beginn die Gelbe Karte verdient gehabt hätte ("trifft nur den Mann"), obwohl die Bilder zeigten, dass Kroos klar den Ball gespielt hatte - Freistoß war die richtige Entscheidung. Als Dani Carvajal kurz vor Schluss Jamal Musiala umriss, war der Reporter nicht mehr zu halten: "Das ist 'ne Sauerei!". Zuvor hatte Kroos Dani Olmo vor dem deutschen Strafraum auf exakt die gleiche Weise zu Fall gebracht, das war offenbar keine Sauerei.

Ständige Übertreibungen

Nicht minder nervig waren die ständigen Übertreibungen, auch das ein typisches Fußballmerkmal. Mitunter war es regelrecht absurd, was alles auf Topniveau hochgejubelt wird; in dieser Hinsicht tut sich neben Gottlob vor allem der ansonsten eher zur Langeweile neigende Hagemann hervor, der ordentliche Torwartparaden gern zur "absoluten Weltklasse" adelt. Andererseits: Was soll man davon halten, wenn Graf den sehenswerten Führungstreffer von Xavi Simons im Halbfinale der Niederländer gegen England mit "Alter Verwalter!" kommentiert?

Auch das Geschrei gerade der männlichen Reporter ist mitunter nur schwer erträglich. Als halbwegs nützlich erweist es sich freilich, wenn ein nicht gerade mitreißendes Abendspiel wie das Viertelfinale zwischen Frankreich und Portugal zu nachtschlafender Zeit in die Verlängerung geht und Schmidt stets "Achtung!" brüllt, wenn es brenzlig wird; auf diese Weise ist dann auch der zwischenzeitlich weggedämmerte Teil des Publikums wieder voll da. Dafür ging der ZDF-Reporter im spanischen Halbfinale gegen Holland vergleichsweise nonchalant über die Pfiffe der (mutmaßlich) deutschen Fans gegen Marc Cucurella, den Handspiel-"Sünder" aus dem Viertelfinale, hinweg. Tom Bartels (SWR) machte im Finale klar, was er vom unsportlichen Verhalten des Publikums hielt ("beschämend").

Pat und Patachon

Weil die Reporterinnen und Reporter nicht alles wissen (können), bekommen sie gerade bei Turnieren Unterstützung von ehemaligen Profis. Die verstehen in der Regel viel von Fußball, sind aber keine Entertainer, weshalb zum Beispiel die Kombination von Gottlob mit dem sachlichen Thomas Hitzlsperger recht sinnvoll ist. Im ZDF übernahmen diese Aufgabe unter anderem Hanno Balitsch und Moritz Volz, letzterer vor allem bei den England-Spielen, weil er eine Weile in der Premier League gekickt hat. Beide haben einen guten Blick für Taktik, sind jedoch etwas eintönig, selbst wenn Volz gelegentlich gute Sprüche draufhat. (Über die defensive Einstellung des englischen Trainers Gareth Southgate: "Sitzt in einem Ferrari, aber fährt wie meine Oma.")

Ungleich dankbarer für einen Bericht über die EM-Berichterstattung sind die Sendungen rund ums Turnier. Das ZDF hatte seine Zentrale im Innenhof seines Hauptstadtstudios eingerichtet, was sich nicht zuletzt dank des Studiopublikums als gute Idee erwies. Das Duo Christoph Kramer und Per Mertesacker hat sich samt Moderator Jochen Breyer, der Kramer anlässlich der WM 2018 zum ZDF geholt hatte, mit Nachdruck für die Kategorie "Sport" beim Deutschen Fernsehpreis empfohlen. Die Frotzeleien zwischen den ehemaligen Weltmeistern wirkten wie verbale Scharmützel zwischen einem besonnenen älteren und einem aufmüpfigen jüngeren Bruder.

Der Vergleich mit Pat und Patachon würde zu diesen beiden jedenfalls schon allein wegen des Größenunterschieds ungleich besser passen als zu dem von Esther Sedlaczek im Ersten ebenfalls mit dem dänischen Komikerduo verglichenen spanischen Sturmpaar Lamine Yamal und Nico Williams. Bastian Schweinsteiger hatte bis dahin offenkundig noch nie von den Stummfilmstars gehört, seine Reaktion ließe sich sinngemäß mit "Hä?!" zusammenfassen.

Wurmfortsätze, die niemand braucht

Kramer gelang es bravourös, Fachwissen mit Fanseele zu kombinieren, weil er stets die richtigen Worte fand. England im Halbfinale, Deutschland draußen: "Das kannst du keinem erklären" - aber genau das mache die Faszination des Fußballs aus. Andernorts sprach Fahri Yardim in diesem Zusammenhang vom "Unverfügbaren", und womöglich hätte ein Gespräch mit Julian Nida-Rümelin dem Magenta-Talk "Studio Pille-Palle" tatsächlich zu einer gewissen Relevanz verholfen. Auf dem Sofa zwischen dem Schauspieler und dem Kölner Ex-Profi Jonas Hector saßen aber nur abwechselnd Frederick Lau, Tom Beck, Peri Baumeister oder "Stern TV"-Moderator Steffen Hallaschka, der im Vorlauf zur Sendung darüber sinnierte, ob er nicht doch besser zu Michael Ballack und Johannes B. Kerner ins Magenta-EM-Studio gegangen wäre.

Die jeweils gut 30 Minuten "Studio Pille-Palle" gehörten trotz Schlagzeugerin Linda-Philomène Tsoungui als "Studioband" gemeinsam mit dem "Kneipen-Quiz", mit dem die ARD ihre EM-Tage beschloss, zu den typischen Appendix-Produktionen rund um solche Turniere: Wurmfortsätze, die niemand braucht.

Sportliche Dilettantismen

Gleiches gilt im Wesentlichen auch für das "RTL EM-Studio". Moderator Alexander Duszat hat aufgrund einer angeblichen Ähnlichkeit mit Elton John irgendwann den Künstlernamen "Elton" angenommen. Der echte Elton war viele Jahre Präsident des englischen FC Watford und wäre angesichts der sportlichen Dilettantismen des Namensvetters vermutlich schockiert gewesen. Elton, die Kopie, wurde vor gut 20 Jahren als "Show-Praktikant" von Stefan Raab bekannt, der wiederum das "EM-Studio" produziert hat. Das dürfte erklären, warum Duszat hier sein Unwesen treiben durfte; die schlechte Figur, die er als Moderator einer Sportsendung machte, hatte nicht nur mit dem hautengen Deutschlandtrikot zu tun.

Das Konzept der Show funktionierte ebenfalls nicht: Einerseits ging es um Fußball, wenn Toni Kroos’ jüngerer Bruder Felix einzelne Spielszenen analysierte, andererseits sollte es auch unterhaltsam sein. Deshalb wurde Duszat regelmäßig ein bisschen zappelig, wenn ihm die Ausführungen an der Taktiktafel zu lange dauerten. Zum Ausgleich folgte dann gern ein bisschen Action mit Torwandschießen oder eine Sequenz mit hämischen Videoschnipseln. Zu den regelmäßigen Gästen gehörte neben anderen Thomas Helmer. Der frühere Innenverteidiger und langjährige "Doppelpass"-Gastgeber war der einzige Einschaltgrund. Er hätte den Moderator - der wenig glaubwürdig versicherte, früher in der "Bunten Liga" gekickt zu haben - einfach aus der Sendung grätschen sollen.

Zweimal allerdings traf ausgerechnet Duszats Amateuransatz einen interessanten Punkt. Als er auf das Gerücht hinwies, der Schweizer Granit Xhaka sei beim Viertelfinale gegen England mit einem Muskelfaserriss angetreten, machten ihm die Ex-Profis klar: Das ginge gar nicht. Später sprach der Spielmacher tatsächlich von einem Muskelfaserriss in der Leistengegend. Auch ein zweiter Einwurf des Moderators wurde sogleich ins Reich der Fabel verwiesen. Wenn man vor dem Spiel spüre, dass man heute keinen Ball treffen werde: Sei es dann nicht sinnvoll, den Trainer zu bitten, jemand anderen aufzustellen? "Das machst du einmal und nie wieder", lautete die Antwort von Felix Kroos: "Weil dann bist du nicht mehr da."

Psychische Belastung

Dazu passt ein Beitrag über ein "stilles Leiden" im Profifußball: Ein Drittel der Spieler, heißt es in Ella Poulhalecs sehenswerter ZDF-Dokumentation "Erfolgsdruck im Fußball", laboriere an den Folgen der psychischen Belastung. Uli Hoeneß erinnert sich in der "Sportstudio-Reportage" daran, wie ihm Sebastian Deisler, einst ein ähnlicher Hoffnungsträger wie heute Musiala und Florian Wirtz, 2007 gestanden habe: "Ich kann nicht mehr." Martina Voss-Tecklenburg spricht über ihre psychische Erschöpfung nach der WM 2023, Robin Gosens berichtet von Anfeindungen gegen seine Familie in digitalen Foren, bloß weil ein Fehlpass zu einem Gegentor geführt habe. Auch das ist der moderne Fußball.

In eine ähnliche Richtung geht "Anführer und Antreiber". Für seine 90-minütige Langzeit-Doku (auch sie steht in der ZDF-Mediathek) durfte Jan Mendelin Joshua Kimmich acht Jahre begleiten und von einer ganz anderen Seite zeigen. Die Momente des privaten Glücks als Ehemann und vierfacher Vater sind als typische Homestory vor allem was fürs Herz, aber die Passage über die "Impfdebatte" rund um den Bayern-Star ist ungewöhnlich und sehr bewegend. Das gilt besonders für ein während der Pandemie geführtes Videogespräch, als Kimmich die Stimme versagt und er das Interview unterbricht. Viele Fußballfans werden den medialen Spießrutenlauf, den Kimmich erlebte, nachdem er kundgetan hatte, sich nicht impfen lassen zu wollen, längst vergessen haben - er selbst sicher nicht. Kein Wunder, dass er von "Grenzüberschreitungen" spricht: Sogar bei der Beerdigung seines Großvaters seien die Medien zugegen gewesen.

In der Doku stellt Kimmich unter anderem klar, dass er, anders als kolportiert, nie gesagt habe, er wolle nicht als Verteidiger auflaufen. Er sehe sich zwar eher als Sechser, spiele aber auch gern rechts. Kramer, der auch mal unbequeme Sachen sagt, nutzte die Gelegenheit für eine berechtigte Medienschelte: Zitate würden aus dem Zusammenhang gerissen, weil das bei Instagram schnelle Clicks verspreche. Auch deshalb gebe es im Fußball keine "Typen" mehr - "weil man sich hundertmal überlegt, was man sagt".

Exkursionen auf die Meta-Ebene

Während die EM-Berichterstattung im ZDF auch dank solcher Exkursionen auf die Meta-Ebene regelmäßig für Mehrwert sorgte, bekamen die Fußballfans im Ersten eine Dreingabe ganz anderer Art: Wenn Sedlaczek und der stets wie frisch vom Laufsteg gekommene Schweinsteiger in den Flirtmodus schalteten, wurde es ähnlich kurzweilig wie weiland bei Gerhard Delling und Günter Netzer.

Schweinsteiger schoss allerdings auch ein veritables Eigentor: Vor dem zweiten Halbfinalspiel (Holland gegen England) verschwand er kurz aus dem Gespräch mit Alexander Bommes, um mit dem Niederländer Daley Blind zu plaudern. Also gestaltete der Moderator das Interview kurzerhand allein: Er stellte seine Frage, machte einen Schritt zur Seite und gab in der Rolle von "Basti" eine durchaus schlüssige Antwort. Gut möglich, dass sich der mutmaßlich großzügig entlohnte Ex-Profi mit seiner vorübergehenden Absenz keinen Gefallen getan hat, denn die Szene offenbarte: Im Grunde wird er gar nicht gebraucht. Der einstige "Schweini" ist zwar hoch sympathisch, aber Erkenntnisse über den Tag hinaus verbreitet er nur selten.

Einzahlung ins Phrasenschwein fällig

Für viele seiner Expertenkollegen gilt das allerdings nicht minder. Gerade Michael Ballack (Magenta TV, DAZN) und Lothar Matthäus (RTL, Sky) schwadronieren grundsätzlich drauflos, als gäbe es kein Morgen. Es traut sich jedoch niemand, diesen Stars mal in die Parade zu fahren. Ein weiteres Indiz für ihre Mischung aus Ignoranz und Selbstherrlichkeit ist die beharrlich falsche Aussprache von Eigennamen. Matthäus hat zwar endlich gelernt, dass Leroy Sané nicht "Sahne" heißt, aber bei ausländischen Kickern gibt es noch viel Lernbedarf. Schweinsteiger verstieg sich gar zu einem Wortspiel, als er dem von ihm hartnäckig "Damfries" genannten Holländer Denzel Dumfries nach dem Achtelfinale gegen Rumänien bescheinigte, er habe "unglaublich viel Dampf nach vorn" gemacht. Immerhin stellte er gleich fest, dass jetzt eine Einzahlung ins Phrasenschwein fällig sei.

Weil alle Abläufe akribisch geplant sind, ist es manchmal umso witziger, wenn die Dinge ein bisschen außer Kontrolle geraten. Vor dem Spiel gegen die Schweiz schnorrte sich Schweinsteiger auf dem Weg in den Mittelkreis beim deutschen Team einen Kaffee und beantwortete anschließend Sedlaczeks erste Frage nicht ins Mikro, sondern in den Becher. Nach dem Münchner Achtelfinalspiel der Holländer gegen Rumänien verabschiedete sich Bommes mit Grüßen aus Köln.

Andere Fehler waren eher peinlich als lustig: Vor einem Spiel der Ukraine zeigte Magenta TV eine Karte des Landes, auf der die Krim fehlte. Johannes B. Kerner entschuldigte sich später für den Fauxpas, ebenso wie für seinen verbalen Fehlgriff, als er das brutale Foul eines Schotten an Ilkay Gündogan als "Attentat" bezeichnete.

Der feste Vorsatz, angesichts des Kriegs in der Ukraine auf martialische Begrifflichkeiten zu verzichten, wurde ohnehin nicht immer durchgehalten, zumal unschöne Begriffe wie "Abnutzungskampf" längst Teil der Fußballsprache sind. Für Ausgleich sorgte Lea Wagner. In nahezu jedem Interview der "Sportschau"-Moderatorin mit deutschen Spielern oder Funktionären fielen Fragen wie "Was macht das mit Ihnen?" oder "Wie fühlt sich das an?". Früher galten solche Fragen als verpönt, aber früher sind die Profis nach dem Schlusspfiff auch noch nicht mit ihren Kindern über den Platz getollt.

Sehenswerte Tagebucheinträge

Davon abgesehen hat sich erneut gezeigt, wie gut der Frauenanteil - obwohl nach wie vor nicht von allen Fans goutiert - der Berichterstattung tut. Die einstige Welttorhüterin Almuth Schult hat das im Ersten schon bei der EM 2021 bewiesen. Friederike "Fritzy" Kromp, als Trainerin Weltmeisterin mit den DFB-Juniorinnen, ergänzte den Profiblick von Mertesacker und Kramer um die Coach-Perspektive. Einzig Katrin Müller-Hohenstein tat der weiblichen Sache keinen Gefallen, als sie vor dem deutschen Achtelfinale gegen Dänemark eine Frage stellte, die erhebliche Zweifel an ihrer Kompetenz weckte. Als einige deutsche Spieler ihr Schuhwerk wechselten, wollte sie ernsthaft wissen: "Kann das mit dem Rasen zusammenhängen?" Da hätte selbst der stets freundliche Kramer fast die Contenance verloren.

Auch sonst gab es durchaus Momente, in denen die Seriosität der Berichterstattung vorübergehend ins Wanken geriet. Was sich die Sender dabei gedacht haben, nach deutschen Siegen die gestammelten Aussagen (freude-)trunkener Fans einzusammeln, lässt sich nur erahnen. Magenta-Abonnenten hatten immerhin den Luxus, den Sender wechseln zu können, wenn's in der Vor- oder Nachberichterstattung von ARD oder ZDF allzu fadenscheinig wurde: Die Telekom-Tochter hat als Rechteinhaberin sämtliche 51 Spiele übertragen.

Bei den RTL-Partien waren die Angebote wegen der engen Kooperation zwischen den beiden Unternehmen zwar deckungsgleich, aber bei Magenta wurden die Rahmenberichte viel seltener durch Werbung unterbrochen. Ein echter Gewinn für alle, denen auch das ballferne Spiel wichtig ist, war dort der Taktikkanal: Die Perspektive zeigte durchgehend das gesamte Spielfeld und präsentierte den Stadionblick; Experten wie der frühere Schalke-Trainer Manuel Baum erläuterten die taktischen Finessen. Die ARD hatte dieses Angebot auch, allerdings gänzlich unkommentiert.

Selbst nach der EM noch sehenswert sind die nicht nur wegen ihrer optischen Einfälle gelungenen kurzen Tagebucheinträge von Alexander Ruda, der fürs ZDF auf der Suche nach dem "Sommermärchen" quer durchs Land gereist ist und dabei allerlei bemerkenswerte Erkenntnisse gewonnen hat. Das gilt auch für die ZDF-Doku "UEFA - Fußball. Macht. Geld", in der Laren Müller und Thilo Neumann detailliert auflisten, was für ein teurer Spaß die Euro 2024 für den deutschen Staat war.

Tilmann Gangloff Copyright: Foto: privat Darstellung: Autorenbox Text: Tilmann Gangloff ist freier Journalist. Er schreibt regelmäßig Kritiken und Debattenbeiträge für epd medien.



Zuerst veröffentlicht 16.07.2024 13:06 Letzte Änderung: 16.07.2024 13:14

Tilmann Gangloff

Schlagworte: Medien, EM, Fußball, Sport, ARD, ZDF, Gangloff, tpg, NEU

zur Startseite von epd medien