06.03.2025 10:25
epd Die dreiteilige WDR-Dokumentation "Der Kinderpsychiater - Die Macht des Dr. Winterhoff" ist eine Zusammenfassung, Fortsetzung sowie Vertiefung des Films "Warum Kinder keine Tyrannen sind - Das System von Dr. Winterhoff", der 2021 im WDR lief. Die Autorin Nicole Rosenbach hat mit ihrer jahrelangen Recherche gezeigt, was Medien leisten können: Missstände aufzeigen, Betroffene zu Wort kommen lassen und gesellschaftliche Konsequenzen anstoßen.
Im Fall von Michael Winterhoff gibt es nun einen Prozess beim Landgericht Bonn: Dem ehemaligen Kinderpsychiater wird laut Anklage vorgeworfen, in 36 Fällen gefährliche Körperverletzung an Kindern und Jugendlichen durch die Gabe von Medikamenten begangen zu haben. Die "Süddeutsche Zeitung" und der WDR hatten mit ihren Recherchen aufgedeckt, dass Winterhoff Kindern Psychopharmaka verschrieben hatte, die eine sedierende Wirkung haben und - das zeigt der neue Film - auch irreversible Nebenwirkungen haben können.
Das Perfide: Vermutlich wussten auch Jugendämter davon. Die betroffenen Kinder waren oft in Heimen untergebracht, die eng mit Winterhoff zusammenarbeiteten. Immer wieder versuchten zwar Einzelne - eine ehemalige stellvertretende Leiterin eines Jugendamtes, ein Vormund, eine Lehrerin, eine Apothekerin, eine pädagogische Fachkraft treten in dem Film auf - dem etwas entgegenzusetzen. Wirkliche Durchschlagskraft hatte keiner von ihnen, und die Kinder waren dem "System Winterhoff" weiter ausgeliefert. Möglicherweise, so eine These des Films, wurden Tausende Kinder über Jahrzehnte nach den unter Experten umstrittenen Methoden Winterhoffs behandelt.
Es gibt einige sehr anrührende Szenen in dieser Dokumentation und viele, die einen fassungslos zurücklassen: Wie ist es möglich, dass ein Mann über Jahre hinweg seine Macht derart missbrauchen konnte? Und es macht wütend zu sehen, dass Kinder und Jugendliche kaum eine Lobby haben. Wie sonst könnte so etwas überhaupt möglich sein? Von dem Prozess, der im Februar vor dem Landgericht in Bonn begonnen hat, erhoffen sich die Betroffenen späte Gerechtigkeit. Ein schwacher Trost, wenn man bedenkt, dass sie sagen, Winterhoff habe ihnen Kindheit und Jugend genommen.
Auch der neue Film arbeitet sich an der Rolle der Medien ab. Die nämlich haben Winterhoff mit seiner steilen These, dass Kinder Tyrannen seien, erst richtig groß gemacht. Mit dieser Annahme wurden "schwarze" Erziehungsmethoden rechtfertigt, Winterhoff wurde in den Talkshows und in der Presse herumgereicht wie eine Trophäe. Bis auf Reinhold Beckmann aber wollte sich keiner der Moderatoren von damals vor der Kamera äußern. Eine gute Fehlerkultur sieht anders aus.
Die gut 100 Minuten lange Dokumentation kann sich Zeit nehmen. Sie geht dort in die Tiefe, wo es wichtig ist, verliert sich aber nicht in effektheischenden, künstlich langen Erzählsträngen, die unnötig auf Spannung setzen und damit die Opfer nur vorführen würden. Die Balance zwischen harten Fakten und dem sehr emotionalen Zugang, vor allem durch die Berichte von betroffenen Kindern, von denen einige heute schon erwachsen sind, macht den Film stark und sehenswert.
Warum die ARD diese Dokumentation aber erst nach 23 Uhr sendete, darüber kann man sich nur wundern. Eine solche jahrelange Recherche mit dieser gesellschaftlichen Breitenwirkung ist ein Glanzstück journalistischer Arbeit und sollte - linear wie im Internet - die Resonanz bekommen, die sie verdient hat.
infobox: "Der Kinderpsychiater - Die Macht des Dr. Winterhoff", dreiteilige Dokumentation, Regie und Buch: Nicole Rosenbach, Kamera: Maren Kuhlmann (ARD-Mediathek/WDR/SWR, seit 24.2.25, ARD, 24.2.25, 23.00-00.40 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 06.03.2025 11:25
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KWDR, Dokumentation, Winterhoff, Makowski, ema
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