Grausames Spiel - epd medien

19.08.2024 07:44

Menschen, die sich auf sozialen Plattformen wie Instagram oder Youtube exponieren, werden immer wieder auch Opfer von Hass und Mobbing. Die ARD-Dokumentation "Das Cybermobbing-Kartell" geht dem Phänomen der sogenannten Maskengames nach, bei denen Tausende einzelne Personen mobben. Die Hater versuchen, das Leben der Opfer mithilfe der sozialen Plattformen zu zerstören.

Ein unkenntlich gemachter Cybermobber berichtet in "Das Cybermobbing-Kartell", wie er seine Opfer im Internet findet

epd Für diese Dokumentation hat die ARD sogar in der "Tagesschau" geworben. Dabei war massenhaftes Cybermobbing schon einmal Thema im Ersten: Vor zwei Jahren berichtete Autor Christoph Kürbel bereits in der "Rabiat"-Reportage "Bekenntnisse eines Haters" (epd 33-34/22) darüber. Doch das sogenannte Maskengame ist weiterhin ein der größeren Öffentlichkeit kaum bekanntes, erklärungsbedürftiges Phänomen.

Es wird nicht von einer kleinen Gruppe gespielt, sondern von "Zehntausenden", die sich anonym und dezentral organisieren. Sie nennen ihre Opfer "Masken" und mobben sie auf allen sogenannten sozialen Medien. Bekannteste Beispiele sind der Youtuber "Drachenlord" und die aus dem Privatfernsehen wie von diversen Plattformen bekannte Influencerin Aline Bachmann. 2022 hatte sie Interviewanfragen abgelehnt, nun äußert sie sich ausführlich. Auch, weil die Kampagne gegen sie weiter läuft.

Die Täter, hier zu Recht als "Hater" bezeichnet, sind online organisiert in einer Gruppierung namens NWO - was für "Neue Weltordnung" stehen könnte. Für die NWO spricht im Film ein laut Off-Kommentar "selbsternannter Pressesprecher", der womöglich nicht mehr als Mobber aktiv ist, vielleicht aber doch. Der Mann ist durch Maskierung und KI-generierte Stimme unkenntlich gemacht. Die Hater verstehen es, in der Anonymität zu bleiben - auch wenn zwei von ihnen identifiziert wurden und gegen sie inzwischen Ermittlungsverfahren laufen. Das hat die 26-jährige Hackerin Nella erreicht, die in der Dokumentation als "Cybersecurity-Spezialistin" vorgestellt wird. In der Vergangenheit war sie wohl auch auf der anderen Seite aktiv.

Eskalierendes Phänomen

Als "Trophäen" sammeln die Hater in sozialen Medien dokumentierte Ausraster und weitere Reaktionen ihrer Opfer. Auch das geschieht online, in einer "Haidcloud", in die der Filmautor Einblick nehmen konnte. Eine vergleichsweise harmlose Trophäe ist es, wenn ein Opfer, während es sich für eine Streamingplattform live filmt, zur Tür geht, weil es klingelt und unbestelltes Essen geliefert wird. Weniger harmlos ist, wenn dieselbe Anschrift Süchtigen als Dealeradresse genannt wird.

Die Hater hinterlassen Gewaltfantasien mit generierten Stimmen auf analogen Anrufbeantwortern, etwa bei Bachmanns Mutter. Vor allem am Fall von Bachmann zeichnet der Film Verläufe dieses grausamen Spiels in Form von "Leveln" nach. Dazu gehört, dass unbeteiligte, nicht böswillige Dritte involviert werden. "Swatting" nennen die Hater es, wenn sie zum Beispiel mit Bombendrohungen, die mit "Allahu Akbar" oder "Hamas" unterzeichnet sind, Polizeieinsätze um die Wohnsitze ihrer Opfer auslösen. Gegen Ende des Films heißt es, wegen solcher Vorfälle werde Bachmann wohl ihre Wohnung in Dresden verlieren.

Die Polizei steht dem eskalierenden Phänomen hilflos gegenüber, weil sie offenbar wiederholte fingierte Alarme um dieselbe Anschrift nicht im Zusammenhang betrachtet. Das Bundeskriminalamt habe Interview-Anfragen abgelehnt und auf die Länder verwiesen, sagt Kürbel. Polizeibehörden teilen mit, das Phänomen sei bekannt, die Zuständigkeit liege aber woanders.

Man kann gegen Trolle nicht gewinnen.

Das gibt Stoff für zukünftige Dokumentationen. Seit kurzer Zeit gibt es bekanntlich auf Bundesebene und im europäischen Raum neue Gesetze, die, so versprachen es zumindest Politiker, dafür sorgen sollen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Hilft all der Aktionismus hier nicht? Und wie agieren die Plattformkonzerne, deren Allgemeine Geschäftsbedingungen ebenfalls Regeln setzen, die sie auch durchsetzen müssten? Unterlaufen die Hater potenzielle Gegenmaßnahmen gezielt, indem sie auf mehreren unterschiedlichen Plattformen agieren? Gezeigt werden Beispiele von vielen Plattformen: Youtube, Instagram, Twitch, aber auch Discord und Telegram.

Am Rande deutet sich an, dass vor allem der Lebensstil besonders von sozialen Medien getriggerter Menschen diese zu dankbaren Opfern macht. Der Drachenlord gab sein Haus auf, übernachtete zeitweise wohl im Wald, ging aber nie offline. Bachmann litt noch mehr, nachdem Hacker sich Zugang zu ihren in einer Cloud gespeicherten Daten, Adressen und privaten Fotos verschafft hatten. "Informationen sind das Wichtigste im Game", sagt Kürbel. "Nie wieder online" (wie die Abkürzung NWO manchmal auch aufgelöst wird) wäre gewiss illusorisch, aber könnte eine gewisse Entwöhnung von den sogenannten sozialen Medien den Opfern nicht helfen?

"Das Cybermobbing-Kartell" endet fatalistisch: "Man kann gegen Trolle nicht gewinnen", sagt Nella. In der Anonymität des Internets verbleibende Mobber müssten "so gut wie keine Strafverfolgung befürchten", ergänzt Kürbel. Das klingt leider überzeugend. Bei dem wichtigen Thema der Dokumentation nimmt man auch Abstriche in Kauf: Die Visualisierung der Mobber als kleine Avatare, die an Marionetten-Strippen ziehen, wäre nicht notwendig gewesen. Doch um das von der Anonymität der Täter geprägte Phänomen greifbar machen zu können, müssen auch prahlerische, kaum überprüfbare Aussagen zitiert werden. Es wäre schön, wenn der Autor beherzt weiterfragen würde: Bei Politikern und den Konzernen, über deren hochprofitable Plattform-Infrastrukturen bösartig gemobbt wird.

infobox: "Das Cybermobbing-Kartell", Dokumentation, Regie und Buch: Christoph Kürbel, Kamera: Vanessa Schiesser, Johannes Weis, Produktion: Labo TV (ARD/WDR, 7.8.24, 22.50-23.35 Uhr undin der ARD-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 19.08.2024 09:44

Christian Bartels

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, KWDR, Dokumentation, Kürbel, Bartels

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