04.02.2025 09:39
epd Jeder dürfte sie kennen: Die knapp zehn mal zehn Zentimeter großen Betonwürfel mit einer Sichtseite aus Messing, in welche die Lebensdaten von NS-Opfern eingemeißelt sind. Verlegt sind die Stolpersteine vor den Häusern, in denen die Gewürdigten ihre letzte selbst gewählte Wohnstätte hatten. Sie seien "das größte dezentrale Mahnmal der Welt" heißt es aus unterschiedlichem Mund mehrmals in diesem Film über das von dem Künstler Gunter Demnig entwickelte Projekt. Dies begann 1992 als Kunstaktion für von den Nazis deportierte Sinti und Roma in Köln. Entstanden war die Idee, die Verbrechen der Nazis von den großen Gedenkstätten auch zurück zu den Wohnorten der Opfer zu bringen, damals aus der Bemerkung einer Anwohnerin, in ihrem Quartier hätten "doch niemals Zigeuner gelebt", erzählt Demnig im Film.
Mittlerweile gibt es über hunderttausend - immer noch per Hand gefertigte - Stolpersteine in über 30 Ländern Europas, heißt es im Kommentar des Arte-Filmes "Stolpersteine - Gegen das Vergessen", 3.000 allein in Köln. Und aus der Idee des künstlerischen Einzelkämpfers entwickelte sich ein bis heute wachsendes zivilgesellschaftliches Netzwerk, wie Martin Dill von der Initiative Stolpersteine Frankfurt und seine Berliner Kollegin Katharina Kretzschmar berichten.
Dies ist auch ein gigantisches historisches Forschungsprojekt, das Menschen weltweit online über die Aufarbeitung von Lebensgeschichten verbindet. Historikerin Charlotte Jahnz betont, dass die Stolpersteine über Schulprojekte und Apps auch für Jugendliche eine bedeutende lebendige Quelle zur NS-Zeit sind. Im Fokus sind dabei nicht nur Jüdinnen und Juden, sondern auch politisch Verfolgte, Behinderte oder andere Minderheiten: Selbst aktiv in der historischen Bildungsarbeit ist der junge Rom José Xhemajli in Köln.
Und seit wenigen Jahren erst gibt es auch Stolpersteine für schwarze Menschen wie Ludwig M’bebe Mpessa (Künstlername Louis Brody) und Ehefrau Erika Emilie Mpessa, die die Verfolgungen durch Nazis vor allem wegen Ludwigs Beschäftigung als Schauspieler bei der UFA überlebten, wie Enkel Roy Adomako erzählt.
Der Film von Marius Möller ("Die Spioninnen - Im Auftrag der DDR", 2023 ebenfalls für den WDR) verknüpft die Geschichte des Stolpersteine-Projekts selbst mit unterschiedlich breit erzählten illustrierten Lebensgeschichten einzelner Opfer wie der am 23.12.1944 nach vielen Jahren Zwangsarbeit und Haft offiziell an Schwäche verstorbenen Berliner Widerstandskämpferin Eva Mamlok.
Georg und Susanne Silberstein in Frankfurt waren als jüdische Mittelständler erst von Berufsverbot und Enteignung betroffen, 1940 wurden sie in ein sogenanntes Judenhaus umgesiedelt, dann deportiert und am 26. November 1941 ermordet, wie der Kommentar mit unterlegten Familienfotos und Einträgen auf der Transportliste erzählt. Nur ihre 1933 nach Palästina ausgereiste Tochter überlebte. Nun sind Enkel aus Kanada zur feierlichen Verlegung der Stolpersteine nach Frankfurt angereist.
Bei der Erläuterung der historischen Hintergründe bemüht sich der Film mit wissenschaftlicher Unterstützung um Präzision, die über übliche Doku-Standards hinausgeht. So weist etwa der auf die NS-Verfolgungsgeschichte spezialisierte Berliner Historiker Christoph Kreutzmüller in einem Statement deutlich darauf hin, dass es sich beim "Judenboykott" der SA 1933 in der Realität nicht um einen "Boykott", sondern um eine gewaltsame "Blockade" handelte, die bis heute reichende Übernahme der NS-Bezeichnung sei "eine semantische Glanzleistung" der Nazipropaganda.
Der letzte Teil des Films ist unterschiedlichen Widerständen gegen das Projekt gewidmet. So wurde in Frankreich lange angenommen, Stolpersteine würden nur für jüdische Menschen verlegt und damit gegen das Gebot der Laizität verstoßen. Dazu komme dort eine andere offiziös-staatliche Erinnerungspolitik, erzählt der Historiker Christoph Woehrle, der in Paris für die Verlegung von Stolpersteinen kämpft.
In München wiederum dürfen die Steine nach einem Beschluss des Stadtrats nicht auf öffentlichem Straßenland verlegt werden, weil das Betreten mit den Füßen unwürdig und anstößig sei. In dem Eifeldorf Hellenthal macht die Gemeinde das Einverständnis der jeweiligen Anwohner zur Bedingung, was einigen Steinen zum "Asyl" in einer Kirche verhalf. Gerade angesichts der aktuellen Angriffe auf die deutsche Erinnerungskultur ist dieser Film ein wichtiger und runder Beitrag.
infobox: "Stolpersteine - Gegen das Vergessen", Dokumentation, Regie und Buch: Marius Möller, Kamera: Guido Schweren (Arte/WDR, 23.1.25, 21.05-21.58 Uhr und bis 21.2.25 in der Arte-Mediathek)
Zuerst veröffentlicht 04.02.2025 10:39
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KArte, Möller, Hallensleben
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