24.10.2024 08:22
epd Ein Dorf, eine kleine Ortschaft, ein Flecken - die können traulich und anheimelnd sein, aber auch trist, öde, gottverlassen. Letzteres trifft für das fiktive Dornbach zu, das junge Menschen schnell verlassen, sobald sie auf eigenen Füßen stehen. So auch Anita (Lou Strenger), die Kommissarin geworden ist. Als solche kehrt sie nach Dornbach zurück, als dort ein ungeklärter Todesfall nach Aufklärung ruft und Ortskenntnisse nützlich sein können.
Geblieben ist Paul (Aaron Hilmer), der als Erzieher in einer Kita arbeitet, eine Freundin namens Isabella (Antonia Moretti) hat und am Wochenende gerne feiert. Feiern? Das ist eigentlich nicht das richtige Wort. Kräftig Trinken bis zum Überdruss, bis zum Filmriss, ist das Einzige, was man in Dornbach machen kann. Es gibt da eine Clique, Isabellas Ex-Liebster Adem (Georg Paluza) zählt dazu und Pauls bester Freund Frido Heiliger (Max Wolter) mit seiner Schwester Pia (Johanna Götting). Man gibt sich die Kante und fragt am nächsten Morgen die anderen, eventuell nicht ganz so Bezechten, was denn so passiert ist. Denn die Erinnerung der Kampftrinker - und da ist Paul vorneweg - ist meist löchrig.
Das Dorffest ist eine besondere Gelegenheit, sich volllaufen zu lassen, und Paul nutzt sie. Doch diesmal ist mehr geschehen als eine Prügelei. Adem liegt tot am Boden, erschlagen nach einem Kampf. Paul entdeckt Blut an seinem T-Shirt. Er weiß von nichts. Und er befürchtet alles. Denn die Eifersucht auf den Ex-Lover seiner Isabella ist er nie ganz los geworden, ein Motiv für Wut und Tritt hätte er gehabt. Aber Totschlag? Er bespricht sich mit Freund Frido, den alle nur Heiliger nennen. Der erinnert sich auch nicht mehr.
Dann erscheint Anita, die Kommissarin. Sie ist einst aus Dornbach getürmt, weil sie gemobbt und gedemütigt wurde. Da war was mit einem Video, das sie in verfänglichen Posen zeigte und gegen ihren Willen im Netz erschien. Und sie soll jetzt einen Mord aufklären? Der Vater des Getöteten spricht ihr die Autorität ab. Sie habe sich doch hier unmöglich gemacht. Der Verdächtige Paul und die Ermittlerin Anita stehen nun beide in diesem gottverlassenen Dornbach sehr unglücklich da. Und sie kommen sich näher.
Was vom Stoff her gesehen ein ganz normaler Fernsehkrimi hätte werden können, geriet bei "Wer ohne Schuld ist" zu einem beklemmenden Drama, bei dem der Schauplatz, die Dorfödnis, und die Anstrengung der Dörfler, sich mit dem Alkohol über die innere und äußere Leere hinwegzutrösten, den verhängnisvollen Hintergrund bilden, vor dem Anita und Paul gerade mal so eben an der Katastrophe ihres Lebens vorbeischrammen.
Dem Autoren-Duo Lilly Bogenberger und David Weichelt ist ein vortreffliches Drehbuch gelungen, in dem die milieuspezifschen Dialoge genauso stimmen wie der immer wieder rechtzeitig mit neuer Spannung aufgeladene Plot.
Sabrina Sahari zeichnet als Regisseurin für ungewöhnliche Stimmungs- und Tempiwechsel verantwortlich, die das Fernsehen zu einem interessanten Seherlebnis adeln. Sie hat keinen Psychokrimi gedreht, die Figuren bleiben einem fremd, man versteht sie nicht, man wundert sich eher über sie. Dennoch ist der Film ein psychologisch feinsinniges Werk, weil er die Abhängigkeit der Dornbacher von ihrer Umgebung, von der Enge und Dumpfheit, sowie von den Ritualen zur Huldigung von König Alkohol konsequent als eine Art Macht des Schicksals in den Vordergrund schiebt. Sie und wir alle sind Gefangene der Umstände, und unsere Befreiungsversuche machen manchmal alles nur noch schlimmer.
Ein düsterer Film also? Nicht ganz. Das Drehbuch ist gnädig und lässt die Hauptfiguren noch einmal davonkommen. Schließlich gibt es trotz aller bösen Umstände, trotz aller Hemmnisse durch atmosphärische Bedrückungen und 3,3 Promille, doch noch den freien Willen. Und die Notwendigkeit, Verantwortung für das eigene Tun und Lassen zu tragen.
Mit dieser Botschaft schließt der Film. Sie klingt hier belehrend, im Film ist sie aber die durchaus überzeugende Moral von der Geschichte. Und die Transporteure dieser nicht nur tröstlichen, sondern überlebenswichtigen Moral, die Figuren Paul und Anita, haben in Aaron Hilmer und Lou Strenger zwei Darsteller, die es schaffen, Verlorenheit, Verzweiflung und dabei zugleich das Prinzip Hoffnung, das der Jugend eignet, zu verkörpern. Sie tun das leise, ohne Druck, mit vorsichtiger Intensität.
infobox: "Wer ohne Schuld ist", Fernsehfilm, Regie: Sabrina Sarabi, Buch: Lilly Bogenberger, David Weichelt, Kamera: Michal Grabowski, Produktion: Relevant Film (ARD/SWR, 23.10.24, 20.15-21.45 Uhr und in der ARD-Mediathek)
Zuerst veröffentlicht 24.10.2024 10:22
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, KSWR, Fernsehfilm, Sarabi, Bogenberger, Weichelt, Sichtermann
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