Es fließt Blut - epd medien

19.01.2024 10:00

Die neue Mystery-Serie "Oderbruch", die die ARD ab dem 19. Januar zeigt, spielt mit einem klassischen Mythos und erzählt von einer Zeit voller Schmerz und Blut.

Die Serie "Oderbruch" steht ab dem 19. Januar in der ARD-Mediathek

epd Am Anfang steht das Bild eines gewaltigen Leichenbergs mitten auf einem einsam gelegenen Feld: Wer bitteschön soll diesen Riesenhaufen an verwesenden Menschen- und Tierkörpern da unbemerkt gestapelt haben? "Oderbruch", von der ARD als Mystery-Crime-Serie angekündigt, verblüfft und schockiert mit einem ziemlich grausamen Einstieg, zumal ein (gerade noch) lebender Mensch in dem Berg gefunden wird. Das müffelt doch stark nach Effekthascherei, vielleicht weil man der zweifelhaften Ansicht ist, dies sei für den ersehnten Zuspruch des jungen Publikums notwendig. Aber als eine Metapher für das Aufbäumen gegen das eigene Schicksal wird der Leichenberg am Ende sogar etwas Sinn ergeben.

Auf Ekel und Schaudern folgt eine Polizeiermittlung, als wäre man hier in einem "Tatort" XXL gelandet, begleitet von mysteriösen Andeutungen und unheimlichen Rückblenden. Polizist Roland Voit (Felix Kramer) und seine Jugendfreundin Magdalena "Maggie" Kring (Karoline Schuch), eine ehemalige Polizistin, kehren wegen des spektakulären Leichenbergs in ihre Heimat zurück und werden mit verstörenden Erinnerungen, rätselhaften Wendungen und übernatürlichen Kräften konfrontiert.

Maggie Kring muss erst einmal ein Sondereinsatzkommando davon abhalten, ihr altes Elternhaus zu stürmen. Alle scheinen eine Mordsangst vor ihrem greisen Vater Arthur zu haben, was man einigermaßen glauben kann, weil Volkmar Kleinert seinen kantigen Charakterschädel für diese Figur hinhält. Die jüngere, noch furchteinflößendere Variante des Arthur Kring gibt in den Rückblenden Stefan Weinert. Wenn der mit Mordlust im stechenden Blick auf den eigenen Sohn losgeht, weiß man, warum die Serie im linearen Fernsehen erst ab 22 Uhr ausgestrahlt wird.

Gespür für den Zeitgeist

Der Plot folgt auf mehreren Zeitebenen verschiedenen Perspektiven, aber insbesondere Karoline Schuch prägt mit ihrem handfesten und entschlossenen, aber auch gefühlvollen Spiel die Serie. Felix Kramer ist der sympathische und tragisch verstrickte Sidekick. Julius Gause überzeugt als Maggies jüngerer Bruder Kai in einer anspruchsvollen Grenzgängerrolle. Und Liedermacherin Bettina Wegner überrascht mit einer reifen Darstellung in der zumeist schweigsamen Nebenrolle als Magdalenas Mutter Minna.

In "Sløborn" erzählten Christian Alvart, Arend Remmers und Adolfo J. Kolmerer während der gerade ausgebrochenen Corona-Pandemie von einer tödlichen Seuche. Das Trio scheint ein besonderes Gespür für den Zeitgeist zu haben, denn die Sorge vor einem neuen Zeitalter voller Schmerz und Blut ist derzeit wohl so groß wie lange nicht mehr. Auf ungemütliche Weise trifft diese Serie also das aktuelle Zeitgefühl, auch wenn sie auf einen klassischen Mythos zurückgreift.

Nicht mal einen Wolf sieht man durch das deutsch-polnische Grenzgebiet streifen, obwohl diese unvermeidliche Tiermetapher durchaus bemüht wird. In Folge sieben geht die Reise nach Transsylvanien, jedoch nicht in düstere Wälder, sondern in eine imposante Bibliothek - eine schöne Reminiszenz an den alten Mythos.

Vergessene Landschaft

Natürlich fließt Blut, aber nicht in dem Maß, das nach dem Leichenbergauftakt zu befürchten wäre. Dennoch steht der besondere Saft auch hier für ewiges Leben und vorzeitigen Tod - und ist in unscheinbaren Details gegenwärtig wie auf Maggies gelben Gummistiefeln, mit denen sie anfangs malerisch über die Felder stapft.

Die Genre-Variante mit Wesen, die gegen ihre Sucht und mit der eigenen Verzweiflung kämpfen, ist allerdings keine neue Idee. Und wie bei anderen Serien auch scheint fraglich, ob das Ganze wirklich auf sieben Stunden Länge gezogen werden muss. Das Übernatürliche in ein Szenario mit realitätsnahem Anspruch einzubinden, gelingt jedoch überraschend gut, einschließlich einiger Anspielungen auf Elite-Internate und rassistische Ideologien. "Oderbruch" greift weit über den Horizont eines Fernsehkrimis hinaus und ist spannender als die meisten.

Der Titel hebt zu Recht den Schauplatz hervor: Das dünn besiedelte Oderbruch wird als vergessene Landschaft mit vergessenen Menschen in Szene gesetzt, mal als düstere Horrorkulisse, mal als wunderbarer Naturraum. Die reale Vergangenheit - die verlustreiche Schlacht im Zweiten Weltkrieg, das verheerende Hochwasser im Jahr 1997 - fließt in die Fiktion mit ein. Bis heute werden hier angeblich immer noch Soldatenleichen aus dem Krieg gefunden.

Die Serie ist die erste Koproduktion der ARD-Filmtochter Degeto mit dem Unternehmen CBS Studios aus dem Paramount-Konzern. Degeto-Redaktionsleiter Christoph Pellander erhofft sich von ihr "internationale Strahlkraft". Das Zeug dazu hat sie.

VOR-SICHT: "Oderbruch", achtteilige Mystery-Crime-Serie, Regie: Adolfo J. Kolmerer, Christian Alvart, Buch: Arend Remmers, Christian Alvart, Martin Behnke, Ronny Schalk, Kamera: Christian Huck, Christian Alvart, Produktion: Syrreal Entertainment, CBS Studios (ARD/Degeto, 19.1.24, 22.20-1.50 Uhr und 26.1.24, 22.20-1.50 Uhr, ab 19.1.24 in der ARD-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 15.01.2024 11:18 Letzte Änderung: 19.01.2024 11:00

Thomas Gehringer

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, Kolmerer, Alvart, Remmers, Behnke, Schalk, NEU

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