16.10.2024 16:47
Berlin (epd). Im Strafprozess gegen den Chefredakteur des Internetportals "FragDenStaat", Arne Semsrott, wegen der Veröffentlichung von Gerichtsbeschlüssen aus laufenden Verfahren wird am Freitag das Urteil erwartet. Die Staatsanwaltschaft am Berliner Landgericht forderte am Mittwoch eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu jeweils 50 Euro. Die Verteidigung forderte die Aussetzung des Verfahrens: Sie hält die Strafnorm, auf die sich die Anklage stützt, für verfassungswidrig und forderte eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. (AZ: (536 KLs) 237 Js 3347/23 (1/24))
Der 36-jährige Angeklagte kündigte am Rande des Verfahrens an, im Falle einer Verurteilung in Revision zu gehen. Der Vorsitzende Richter Bo Meyer hatte zuvor die Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit angeregt. Dies lehnte Semsrotts Verteidiger Lukas Theune allerdings ab. Wegen der besonderen Bedeutung des Verfahrens für die Pressefreiheit erfolgte die Anklageerhebung direkt vor dem Landgericht, wie eine Gerichtssprecherin sagte. Nächste Instanz wäre deshalb im Rahmen eines Revisionsverfahrens der Bundesgerichtshof.
Semsrott wird vorgeworfen, im Zusammenhang mit einem Verfahren der Generalstaatsanwaltschaft München gegen Mitglieder der "Letzten Generation" Gerichtsbeschlüsse in teilweise anonymisierter Form veröffentlicht zu haben. Nach Ansicht von Rechtsanwalt Theune verstößt die Strafnorm des Paragrafen 353d Ziffer 3 unter anderem gegen die Grundrechte der Medien- und Wissenschaftsfreiheit sowie gegen die Freiheit der Meinungsäußerung gemäß Europäischer Menschenrechtskonvention.
Im Strafrechtsparagrafen 353d heißt es: "Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer (...) die Anklageschrift oder andere amtliche Dokumente eines Strafverfahrens, eines Bußgeldverfahrens oder eines Disziplinarverfahrens, ganz oder in wesentlichen Teilen, im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist."
Laut Verteidigung schränkt das Veröffentlichungsverbot von Gerichtsakten in laufenden Verfahren die Pressefreiheit ein. Durch das Verbot des wörtlichen Zitierens aus amtlichen Gerichtsakten sei eine authentische Berichterstattung nicht möglich. Dies könne zu einer sinnentstellenden Wiedergabe von Textpassagen führen, sagte Theune.
Die Möglichkeit der Veröffentlichung aus Gerichtsakten, unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsschutzes Betroffener etwa durch Anonymisierung, diene heutzutage der Glaubwürdigkeit von Medien, sagte der Anwalt unter Verweis auf eine veränderte Medienlandschaft und Fake News. Dazu wurde auf Antrag der Verteidigung auch die Medienwissenschaftlerin Franziska Oehmer-Pedrazzi von der Fachhochschule Graubünden als Sachverständige angehört.
Semsrott begründete sein wissentlich strafbares Handeln mit den aus seiner Sicht "tiefgehenden Grundrechtseingriffen" der Münchner Ermittlungsbehörden gegen die "Letzte Generation". Unter anderem sollen die Ermittler monatelang das Pressetelefon der Klimaaktivisten abgehört und damit auch die Arbeit von Journalisten überwacht haben. Laut Gericht hatte Semsrott am 22. August 2023 im Zusammenhang mit einem von ihm verfassten Artikel auf seinem Blog im Internet drei Gerichtsbeschlüsse mit wenigen Schwärzungen und mit Einverständnis der betroffenen Klimaaktivisten veröffentlicht.
Unterstützt wird Semsrott in dem Gerichtsverfahren von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF).
lob
Zuerst veröffentlicht 16.10.2024 17:14 Letzte Änderung: 16.10.2024 18:47
Schlagworte: Prozesse, Medien, Frag den Staat, Semsrott, Berlin, lob, NEU
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