Ein Liebender - epd medien

10.02.2025 11:48

Kommissar Johannes Fischer hat vor einigen Jahren den Dienst quittiert, weil er davon überzeugt war, dass eine Frau, die als Täterin verurteilt wurde, unschuldig war. In "Die Stille am Ende der Nacht" wird der Fall Jahre später wieder aufgerollt.

Kommissar Johannes Fischer (Henry Hübchen) im Gespräch mit Liane Sievers (Kim Riedle)

epd Wenn ein Fernsehfilm mit einer der berühmtesten Stellen des Neuen Testaments beginnt, dem Hohelied der Liebe im 1. Brief des Paulus an die Korinthergemeinde, ist Vorsicht geboten. Üblicherweise trifft bei so etwas Veredelungsabsicht auf Schwurbel. Meistens meint Lieben im Fernsehfilm ein unbestimmt romantisch-schwärmerisches Gefühl, wortreiches Beteuern. Wer Liebe im Fernsehfilm zeigt, setzt in der Regel das stillschweigende Einverständnis des Publikums voraus.

Die Bestimmungen, Beschreibungen und Handlungen der Liebe im 1. Korintherbrief sind freilich alles andere als schwammig: "Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit." Das ist am Ende von "Die Stille am Ende der Nacht" die Quintessenz des Films.

Ein alter Fall

Der letzte Film der Trilogie um Kommissar Johannes Fischer (Henry Hübchen) nach Motiven von Jan Costin Wagner ist zwar auf den ersten Blick mehr geradeaus erzählt als die beiden Vorgänger-Filme "Tage des letzten Schnees" und "Das Licht in einem dunklen Haus", doch er hat eine fiese Pointe, die die Handlung von den Füßen auf den Kopf stellt.

Zunächst beginnt "Die Stille am Ende der Nacht" im Sinn der antiken "Philia", der fürsorglichen Freundesliebe: Ex-Kommissar Fischer (Hübchen) hat sich ans Meer zurückgezogen, in einen Caravan, wo ihn unverschämte Kinder besuchen. Er scheint angetan von ihrer moralfreien Unbekümmertheit. Die frühere Kollegin Konstanze Satorius (Victoria Trauttmansdorff) sucht ihn auf. Die in Fischers letztem Fall vermisste Tatwaffe ist aufgetaucht beim Diebesgut eines Einbrechers, der vom Dach gestürzt ist. Mit ihr war Werbeagenturchef Nicolai Schweitzer (Julian Weigend) auf einer Büroparty erschlagen worden.

Liane Sievers (Kim Riedle), die rechte Hand Schweitzers war damals wegen der Tat zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden, obwohl sie kein Motiv hatte. Fischer war von ihrer Unschuld überzeugt und quittierte den Dienst. Dass es bei seinem Abschied nicht allein um ein Fehlurteil ging, sondern um Fischers Auffassung, dass es sein Beruf sei, die Wahrheit zutage zu bringen, macht der Film mit vielen Rückblenden deutlich. Satorius vertrat die Pragmatik des Berufs. Auf Sievers' Kleidung waren Blutspuren des Opfers gefunden worden, die Täterin war überführt.

Große Darstellungskunst

Nun führt die Tatwaffe zu einer anderen Verdächtigen. Die junge Angestellte Tessa Hauswald (Barbara Prakopenka), wenige Jahre nach der Tat im Hospiz dem Tod entgegensiechend, erleichtert ihr Gewissen und gesteht die Tat. Ihren Krebs sieht sie als Strafe. Man kann das glauben oder auch nicht. Wiederaufnahme, Freispruch, Entlassung: Liane Sievers kehrt in den Schoß der Familie zurück.

Die Struktur des Films wirkt nur auf den ersten Blick überschaubar. Der großzügige Umgang mit verknappten Zeitabläufen konzentriert das Geschehen und legt die Liebesbestimmungen des Films frei. Der formal wie inhaltlich sehenswerte Film spielt raffiniert mit den Zuschauern, er führt sie aufs Glatteis, indem so viel erzählt wie verschwiegen wird.

Die subtile Inszenierung von Lars-Gunnar Lotz hebt die Darstellungskunst der Hauptdarsteller, vor allem Riedles und Hübchens, hervor. Die Kamera von Julia Daschner fängt sehr genau ihre Gemütslagen und Emotionen ein und zeigt, was handelsübliches handlungsgetriebenes Fernsehen nicht vermag. Wie Kim Riedle ihren Charakter auslotet, wie sie Verzweiflung, Panik und Selbstverstümmelung der Inhaftierten spielt, wie sie nach der Entlassung ihren Platz als Mutter und Ehefrau in der Familie sucht, ist bemerkenswert. Auch Franz Hartwig als nach der Verhaftung seiner Frau mit all den Rollen überforderter "Fels in der Brandung" bleibt im Gedächtnis. Henry Hübchen kehrt zurück zu seinem Ort am Meer als weiser Mann und als Liebender.

infobox: "Die Stille am Ende der Nacht", Fernsehfilm, Regie: Lars-Gunnar Lotz, Buch: Nils-Morten Osburg nach der literarischen Vorlage von Jan Costin Wagner, Kamera: Julia Daschner, Produktion: Network Movie (ZDF-Mediathek seit 1.2.25, ZDF, 10.2.25, 20.15-21.45 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 10.02.2025 12:48

Heike Hupertz

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Fernsehfilm, Lotz, Osburg, Wagner, Hupertz

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