13.03.2025 09:10
epd Die Bauern aus dem Ort Stühlingen an der deutsch-schweizerischen Grenze hatten irgendwann keine Lust mehr, als Frondienst für ihre Gräfin Schneckenhäuser im Wald zu suchen. Ein knappes Jahr später war halb Deutschland in Aufruhr. So erzählt es die Legende, aber dass sowohl die Ursachen als auch die gesamte Bewertung des sogenannten Bauernkriegs komplexer sind, liegt auf der Hand. Dieses Jahr jähren sich die Ereignisse zum 500. Mal. Ein guter Anlass, sich mal wieder mit ihnen zu beschäftigen.
Der Podcast "Alles Geschichte" vom Bayerischen Rundfunk existiert seit 2020 und veröffentlicht regelmäßig alle ein bis zwei Wochen mehrere thematisch zueinander passende Folgen auf einmal. In der Form bewegen sie sich meist zwischen Feature und Magazin und beleuchten verschiedene Aspekte eines historischen Themas, von Steinzeit bis Zweiter Weltkrieg. Durch die Umstrukturierungen in der ARD ist der Podcast seit neuestem ein senderübergreifendes Angebot aus dem "Kompetenzcenter Wissen/Bildung/Schule". Und als wollte er das mit einem Paukenschlag feiern, ist die erste Produktion sehr aufwendig geworden: "Das war der Bauernkrieg", an dem BR, MDR und SWR beteiligt sind, hat vier Folgen und bietet eine hörspielähnliche Produktion und ein begleitendes Rollenspiel-Event.
Die drei ersten Folgen aus der Feder von Michael Zametzer erzählen in groben Zügen die Chronologie des Bauernkriegs, der eigentlich eine Abfolge von Aufständen und Schlachten in einem Gebiet zwischen dem äußersten Südwesten Deutschlands, Franken und Thüringen (also dem Sendegebiet der produzierenden Anstalten) war und insgesamt kaum ein Jahr dauerte. Bauern und Stadtbewohner fanden sich zu "Haufen" zusammen, verfassten in der beginnenden Buchdruck-Revolution Manifeste wie die "Zwölf Artikel von Memmingen" und zogen, angespornt von reformatorischen Ideen, gegen die Obrigkeit in Klerus und Adel in den Kampf, um meist wenig später von Söldnerheeren mit deutlich mehr Kampferfahrung niedergeschlagen zu werden.
Regisseur Günter Maurer und Sounddesigner Matthias Schneider-Hollek arbeiten hervorragend zusammen und verweben den von Sprecherin Meike Rötzer interpretierten Text mit historischen Zitaten, O-Tönen von Expertinnen und Experten und Klangeffekten zu einem dreidimensionalen, atmosphärischen Ganzen. Zametzers Erzählung gibt den Ereignissen eine narrative Kohärenz, macht sie nahbar und wird nur manchmal etwas zu jugendlich-anbiedernd. Etwa wenn der gefürchtete Truchsess Georg von Waldburg-Zeil, genannt der "Bauernjörg", mit Darth Vader und die kursierenden Flugblätter mit Social Media verglichen werden.
Die bessere Brücke ins Jetzt schlägt die vierte Folge von Stefan Nölke, die zusammenfasst, wie der Bauernkrieg mit seinen vermutlich 70.000 bis 100.000 Toten im Nachhinein bewertet und instrumentalisiert wurde. Das beginnt beim unpassenden Namen - er war weder ein echter Krieg im herkömmlichen Sinn, noch ging er ausschließlich von Bauern aus - und endet in der Vereinnahmung der Ereignisse als proto-sozialistische Revolution sowohl durch die Nazis als auch die DDR. Auch die Figur des Reformators Thomas Müntzer, der ebenfalls bereits von Friedrich Engels als früher Kommunist besetzt wurde, wird genauer unter die Lupe genommen, ebenso wie die Rolle Martin Luthers.
Dessen Werke bilden gewissermaßen die Buchdeckel des Bauernkriegs: Während seine Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen" von 1520 den Aufständischen eine wichtige Grundlage für ihre Forderungen bot, lieferte "Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern" fünf Jahre später eine Rechfertigung dafür, sie zu bekämpfen. Nölke und seine Interviewpartner arbeiten gut heraus, wie ein historisches Ereignis in seiner umstürzlerischen Wirkung überbewertet werden und trotzdem eine wichtige Rolle in der Demokratiegeschichte eines Landes spielen kann.
Das begleitende Highlight zum Podcast boten insgesamt sechs Stunden Pen&Paper-Rollenspiel, livegestreamt auf Twitch und seither auf dem Youtube-Kanal "ARD Gaming" abrufbar. "Actual Plays", also livegestreamte Rollenspiel-Sessions, verlangen vom Zuschauenden in der Regel eine gewisse Vertrautheit mit den Spielen und ihren Figuren. Aber die Dichte des gewählten Szenarios sowie die Vorprägung durch den Podcast und das enge historische Setting sorgen dafür, dass die bekannte deutsche Rollenspiel-Botschafterin Mháire Stritter und ihre Mitspielerinnen die historischen Geschehnisse erfolgreich an einem fiktiven Beispiel erlebbar machen.
Es schadet nicht, dass zwei der drei Charaktere aus einem Bauernhaufen in Franken von Streamerinnen und Youtubern geführt werden, die sich auch sonst gerne mit Geschichte beschäftigen, Stephan Bliemel alias Steinwallen spielt den Zisterziensermönch Bruder Albert, Andrej Pfeiffer-Perkuhn, der sonst den Youtube-Kanal "Geschichtsfenster" betreibt, den Lumpensammler Ludwig. Dritte im Bunde ist Autorin und Streamerin Liza Grimm, die im Spiel als Katharina eine Papiermühle betreibt.
Gemeinsam mit den Einwohnern des Dorfes Schillingsfurt stellen die Charaktere erst Forderungen auf, bringen sie erfolglos bei ihrem Fürsten vor, plündern ein Kloster und ziehen als Haufen durchs Land, um schließlich in einem weiteren Kloster vom Bauernjörg besiegt zu werden. So erleben sie nicht nur den gesamten Bauernkrieg im Kleinformat, sondern spielen am Beispiel ihrer Charaktere auch typische "Karrieren" durch: Bruder Albert, der sich reformatorisch emanzipiert, Ludwig, der zum Amateursoldaten wird und einen wenig heldenhaften Tod stirbt, und Katharina, die mit Worten kämpft und überlebt, um die Geschichte zu erzählen.
Auf jede der zwei Sessions folgte noch eine Fragerunde mit Mitarbeitern der Luthermuseen, die Fragen aus dem Chat beantworteten und die fiktiven Ereignisse aus dem Spiel mit historisch Belegtem abglichen.
Geschichtsvermittlung besteht heutzutage häufig aus einem Balanceakt zwischen dem modernen Wunsch, historische Geschehnisse nahbar und immersiv aufzubereiten, und der (nicht nur öffentlich-rechtlichen) Pflicht, dabei immer wieder auf die tatsächliche Geschichtswissenschaft zu verweisen und die Grenzen zwischen Quellenwissen und Interpretation aufzuzeigen. Das gelingt dem Bauernkriegs-Event geradezu vorbildlich.
infobox: "Alles Geschichte: Das war der Bauernkrieg", vierteilige Podcastreihe, Regie: Günter Maurer, Buch: Michael Zametzer, Stefan Nölke, Sounddesign: Matthias Schneider-Hollek (ARD-Audiothek/BR/MDR/SWR, seit 28.2.25, Bayern2, 5.3., 6.3., 7.3. und 11.3.25, jeweils 15.10-15.30 Uhr); "1525 - Wenn Worte brennen", zweiteilige Pen&Paper-Rollenspiel-Session mit Mháire Stritter, Steinwallen, Geschichtsfenster und Liza Grimm (TwitchTV/ARD/BR, 3.3. und 6.3.25, jeweils 19.00-23.00 Uhr und bei Youtube)
Zuerst veröffentlicht 13.03.2025 10:10
Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Audio), Podcast, KBR, KMDR, KSWR, ARD-Audiothek, Bauernkrieg, Geschichtspodcast, Pen&Paper, Rollenspiel, Gaming, Maurer, Zametzer, Nölke, Schneider-Hollek, Matzkeit, Stritter, Steinwallen, Grimm
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