Clubs, Lügen und Immobilienspekulation - epd medien

25.01.2025 09:50

In der Serie "The Next Level" erzählt "Spiegel"-Reporter Alexander Osang viele Geschichten von und über Berlin. Im Mittelpunkt steht die Reporterin Rosa, die zu einem Todesfall im Club und zu einem Immobiliengroßunternehmer recherchiert.

Rosa (Lisa Vicari) schaut sich für ihre Recherchen Video-Aufnahmen an

epd Was im "Reaktor" passiert, bleibt auch dort. Hinter der harten Einlasskontrolle des Technoclubs, so das Versprechen, beginnt die Freiheit. Die Freiheit braucht das Klandestine, um zu überleben. Schutzräume. Wird die Freiheit beleuchtet, untersucht, gar seziert, geht sie drauf. Oder erweist sich als nützliche Illusion für Geschäfte. So wie in der sechsteiligen Berlin-Hochglanzserie "The Next Level" von Alexander Osang, in der der "Reaktor" zum Symbol wird für einen neuen Mythos der Stadt Berlin. Für einen Zukunftsglauben, der sich vom alten Bild des Molochs der Großstadt vampirisch nährt und bei Tech-Milliardären und Investoren wunderbar vermarkten lässt.

Berlin, der Vibe des Unfertigen, Hässlichen, Aufbruchwütigen und Energetischen spielt in Osangs Fernsehepos eine Hauptrolle. Die neue "Sinfonie der Großstadt", die Osang im Drehbuch geschaffen hat, wird von Pia Strietmann und Julia Langhof in Szene gesetzt und grandios ins Bild gesetzt von Jakub Bejnarowicz und Simon Dat Vu. Es geht um Technobeats, Sex und Drogen und viel, viel Geld. Klingt aufregend. Die Komposition von Martina Eisenreich und Michael Kadelbach, die "The Next Level" den klanglichen Rhythmus gibt, ist leider Anlass zu erster Enttäuschung.

Urbane Legenden

"The Next Level" will womöglich das neue "Babylon Berlin" sein. Will Berlin als neues New York fiktionalisieren. Erzählt werden viele Reportergeschichten, die sich verknüpfen, trennen und wieder begegnen, gerahmt von diesen beiden urbanen Legenden des Aufbruchs: Berlin und New York. Orte der Verdichtung von Anschauung und Geschichte, der Verknüpfung von Mythos, Vermarktung, zu der auch die Lüge von Berlin als Laboratorium der Zukunft gehört.

Osang mischt reale Anknüpfungspunkte mit Erfindungen, mit allerhand verbal pompösen Reflexionen über das Reporterleben als Daseinsform. Er erzählt von der Berliner Wohnungsbaupolitik, dem Sterben der Lokalzeitungen aus dem Osten, von Trauer um die vergangene DDR, von Systemkritik als Deckmantel für neue Schweinereien, Geschichten von Vätern, Müttern und Töchtern. Es gibt eine Neuauflage der Geschichte von Romeo und Julia, sie spielt zwischen erfolgreichen Juden von der Upper East Side und polnischen katholischen Kleinbürgern aus Queens und mitten darunter eine Mephistopheles-Figur: der Immobiliengroßunternehmer Bodo Brenner (Jens Harzer), der zum Brennpunkt der meisten Handlungsstränge wird.

Storytelling-Regeln

Kurz: Osang will eine Menge Geschichten erzählen, und er neigt dazu, alles mit allem zu verknüpfen. Kein Motiv, kaum eine Aktion darf für sich stehen oder Bedeutung gewinnen. Alles muss einander bespiegeln, erhellen. Auf die Länge macht das ganz wuschig. Zwar nimmt sich "The Next Level" sechs Dreiviertelstunden Zeit, aber die zeitigen Merkwürdiges: trotz (oder wegen?) der Fülle wird es irgendwann langatmig, bisweilen sogar oberflächlich, allem "Deep Talk" zum Trotz. Die erzählte Zeit zieht sich wie die tatsächliche, das Sounddesign schafft immer wieder übertriebene Dramatik und deplatzierten Hörbombast.

Vielleicht liegt es daran, dass "The Next Level" wirkt wie eine Print-Reportage mit entsprechenden Storytelling-Regeln. Zeitungsjournalistin Rosa (Lisa Vicari), in Doppelfunktion als rasende Reporterin und Handelnde, muss herausfinden, was geschehen ist. Zum Schluss führt ihre Recherchereise nach New York, wo der Kamera, die in Berlin sprechende Orte findet, plötzlich nur noch Klischeebilder vors Auge kommen. By the way: Hätte Rosa die Zahl der Etagen von Brenners New Yorker Firmensitz nicht auch durch Digitalrecherche herausfinden können?

Hochzeitsreise in den Tod

Das erste Kapitel der Serie beruht auf einer wahren Geschichte, die von Osang bereits vor Jahren im "Spiegel" erzählt wurde: Im "Reaktor" nimmt Zof (Jenny Walser), eine New Yorkerin auf Hochzeitsreise mit ihrem Mann Josh (Ben Lloyd-Hughes), Drogen und stirbt anschließend in der Nacht im Krankenhaus. Dort wartet Rosa, deren Mutter Petra (Michaela Winterstein) wieder einmal versucht hat, sich mit Schlaftabletten umzubringen. Petra hat das Ende der DDR und das Ausbleiben der versprochenen Zukunft psychisch nicht verkraftet. Einst war ihr Ex-Freund Brenner Mitgründer des "Neuen Forums". Jetzt recherchiert Rosa zu seinem Aufkauf der Karl-Marx-Allee, des Baudenkmals Henselmann-Turm, und zu seiner Rolle als Förderer von Ostkunst.

Das kommt vielen ungelegen, auch ihrem Freund Mark (Jerry Hoffmann), Nachwuchs-Politiker und Mitarbeiter der Wirtschaftssenatorin (Birge Schade), ebenfalls eine Weggefährtin Brenners, genau wie Matthias Kowalski (Thorsten Merten), Rosas Chefredakteur. Rosa recherchiert parallel zu Zofs Tod. Sie sucht die schattenartige Nachtmanagerin Paula (Paula Kober), Brenners Tochter, macht sich wegen der Honeymoon-des-Todes-Story an Josh heran, während Mark mit einer Investorengruppe ein Megageschäft mit Brenner einzutüten sucht. Ein Zukunftslab soll gegenüber dem "Reaktor" entstehen, mit gleichartig schicker Ästhetik des Abgerissenen.

Am Ende stehen die Story, die Selbsterkenntnis der Reporterin und der Blick auf Berlin zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Es war ein langer Weg. Wer sich im Dokumentarischen über die Berliner Immobilienspekulation, Politik und Intrigen der vergangenen Jahrzehnte schlaumachen möchte, dem sei die Dokureihe "Capital B" empfohlen, die noch bis Oktober in der Arte-Mediathek steht.

infobox: "The Next Level", sechsteilige Serie, Regie: Pia Strietmann, Julia Langhof, Buch: Alexander Osang, Kamera: Jakub Bejnarowicz, Simon Dat Vu, Produktion: Letterbox Filmproduktion, Real Film Berlin (ARD-Mediathek/HR/RBB/NDR/Degeto, seit 24.1.25, ARD, 31.1.25, 22.20-2.50 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 25.01.2025 10:50 Letzte Änderung: 27.01.2025 14:48

Heike Hupertz

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, Serie, Strietmann, Langhof, Osang, Hupertz, NEU

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