Spiel mit Krimi-Konventionen - epd medien

17.01.2024 10:36

In seinem ORF-Krimi "Das Schweigen der Esel" fordert der Schauspieler und Regisseur Karl Markovics die Sehgewohnheiten der Zuschauer heraus und schafft ein meisterliches Verwirrspiel.

Per Telefon nimmt Horak aus dem Gefängnis Kontakt zur Außenwelt auf

epd Der Horak ist wieder da. Sicher verwahrt in einer "Sonderanstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher" züchtet er Gemüse, bestellt den Garten wie die Zauberin im Märchen "Rapunzel" und schaut manchmal aus dem Dachzimmerfenster seines luxuriösen burgartigen Gefängnisses auf das Treiben der Welt unten. Der weiße Bart gibt seiner Erscheinung etwas zusätzlich Märchenhaftes.

Der in sich gekehrte Mann, so wortkarg, dass sich aus seiner Rede alles Mögliche heraus- und hineindeuten lässt, vermehrt nun Setzlinge und bespricht Kräuterpflanzen. Und wirkt trotzdem immer noch beunruhigend und gefährlich wie ein "Schläfer" eines Geheimdienstes. Jonas Horak (Karl Markovics), der als unzurechnungsfähiger Doppelmörder am Ende des Vorarlberger Landkrimis "Das letzte Problem" (epd 7/20) verhaftet wurde, tritt nun im Folgekrimi "Das Schweigen der Esel" auf. Man muss "Das letzte Problem" nicht gesehen haben, um den neuen Film zu begreifen, aber es könnte das Sehvergnügen bereichern.

Die Geschichte ist in sich abgeschlossen, bezieht sich aber auf den Vorgänger. Das Drehbuch des ersten Films stammte von Daniel Kehlmann, diesmal schrieb es Hauptdarsteller Markovics, der auch Regie führte. In beiden Fällen war Kamerafrau Leena Koppe für die originelle, manchmal gruselig-groteske, herausragende Bildgestaltung zuständig.

Überführt hatte den Horak damals, nach den Morden im Hotel Edelweiß, die einfache Postenpolizistin Sophie Landner (Julia Koch). Heute noch wird sie deswegen von den Kriminalern aus der Stadt, strunzdummen Erscheinungen, aber mit der "richtigen" Fachausbildung und passendem Auftreten, mit sexistischen Kommentaren aufgezogen. Sophie Landner, die ergebnisorientiert ermittelt, statt lachhaft zu posieren, kennt seit damals auch den Freitag (Stefan Pohl), Horaks Dämon, seine Figur gewordene schizophrene Abspaltung.

Wie in Grimms Märchen

Der Freitag, ein leutseliger junger Mann mit Schmäh, sucht sich laut Horak jeweils ein "Wirtstier", ein Opfer, das für ihn mordet. Logisch. Denn der Freitag ist, wie jeder literarisch Bewanderte weiß, eine klassische Figur. Ein Satan als Gentleman mit bösem Witz, ein Allesverneiner, einer, der mit dem Bemühen der Menschen um Moral Schabernack treibt.

Eigentlich will Horak nur noch seine Ruhe, doch damit ist es seinem fast schon luxuriösen Gefängnis, das wie eine Märchenburg auf dem Hügel über dem Tal thront, bald vorbei. Mehrere Morde geschehen, inszeniert wie in den Märchen der Brüder Grimm. Eine Frau wird im Swimmingpool ertränkt, zurück bleibt eine Katze. Der Kopf einer Bäuerin schwimmt im Kochtopf, draußen auf der Leine frisch gewaschene weiße Kinderhemdchen, dazwischen flattert ein Hahn. Zufällig kommt Sophie Landner vorbei und beginnt zu ermitteln. Eine Katze, ein Hahn. Fehlen noch ein Hund und ein Esel? Hat der Mörder sich von den "Bremer Stadtmusikanten" inspirieren lassen?

Kann Horak, der Märchenkenner, bei der Aufklärung helfen wie weiland Hannibal Lecter? Die Morde könnten eine Hommage an Horak sein, als Referendar im Justizarchiv hat er einst das Buch "Die strafrechtlich relevanten Tatbestände in den Märchen der Brüder Grimm" verfasst und ließ das Manuskript privat drucken.

Liebevoller Blick auf die Charaktere

Noch wichtiger: Was geben die augensinnverwirrenden Parallelmontagen, Puzzlebilder und vieldeutigen Szenen des Films preis, was verschweigen sie mit teuflischem Humor, was lassen sie geschickt aus, welches perfide Rätselspiel treiben sie mit dem Zuschauer? Karl Markovics spielt in diesem Film großartig mit Krimikonventionen, vor allem macht er ernst mit Abgründen des Glaubenmachens, sprich: des allgemeinen Prinzips der Fiktion.

Sicher Geglaubtes wird in der nächsten Szene auf den Kopf gestellt, Horaks Wahnvorstellungen werden so ins Bild gesetzt, dass sie unmittelbar real und gleichzeitig höchst irre wirken, alle Personen erscheinen abgründig, könnten die wahren Gestörten sein. An die Stelle der Interpretationssicherheit tritt das vieldeutig Authentische. Hierzu gehört der Vorarlberger Dialekt. Jede Person scheint zu sprechen, wie ihr der Schnabel gewachsen ist.

Der Film ist ein Meisterwerk des Vexierspiels von Amoralität und Strafrecht. Er erzeugt Sympathie, wo es ihm zupass kommt, Antipathie, wo Figuren eigentlich auf der "richtigen" Seite stehen und Misstrauen gegenüber tausendundeiner konventionellen Fernsehkrimi-Erzählung. Er bleibt durchweg spannend und blickt liebevoll auf die Charaktere - besonders auf die unerschrockene Sophie Landner. Dass es für dieses vergnügliche, rätselhafte, immanent krimikritische Vorarlberger Sittenbild 2023 den Hauptpreis des Deutschen Fernsehkrimi-Festivals in Wiesbaden gab und den Sonderpreis für die beste Darstellerin Julia Koch, ist mehr als gerechtfertigt.

infobox: "Das Schweigen der Esel", Krimi, Regie und Buch: Karl Markovics, Kamera: Leena Koppe, Produktion: Superfilm (Arte/ORF 12.1.2024, 20.15 - 21.45 Uhr, bis 10.2.24 in der Arte-Mediathek )



Zuerst veröffentlicht 17.01.2024 11:36 Letzte Änderung: 17.01.2024 11:55

Heike Hupertz

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KORF, Krimi, Markovics, Hupertz, NEU

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