Betroffenheitskitsch - epd medien

17.06.2024 09:58

Die vierteilige Musikdokumentation "Millennial Punk" in der ARD-Mediathek rührt ziemlich viel zusammen und trennt nicht zwischen Pop und Punk. Journalistisch ist sie eher anspruchslos, findet Stefan Hentz.

Die Dokumentation "Millennial Punk" beschäftigt sich mit Punkmusik und Popkultur um die Jahrtausendwende

epd Es ist immer gut, wenn man ein starkes Etikett hat, eines, das Interesse weckt, dessen Strahlkraft viele Geschichten zum Leuchten bringt. Also: Punk. Noch besser ist es, wenn sich noch ein verstärkendes Attribut zum Etikett hinzugesellt: "Millennial Punk" ist laut Ankündigung des SWR eine "vierteilige Dokumentation über eine subversive Jugendbewegung aus zweieinhalb Jahrzehnten Punkrock", die Autorin Diana Ringelsiep und Autor Felix Bundschuh mit den Produzenten Nico Hamm und Flo Wildemann für die ARD-Mediathek produziert haben.

Millennial Punk - was immer das sein mag - ist in dieser Serie eine ziemlich deutsche, um nicht zu sagen: ausschließlich deutsche Sache. 69 mehr oder weniger prominente Menschen kommen in den viermal 45 Minuten zu Wort: Musiker (meist männlich, gelegentlich weiblich, selten divers), Veteranen und Vorreiter (immer männlich) Zeitzeugen, Deuterinnen, geistige und ästhetische Erben, die das Team vor die Kamera geholt und dazu gebracht hat, ihre Geschichten zu unterschiedlichen Themenblöcken beizusteuern: Wie bist du mit Punk in Berührung gekommen? Was hat dich daran angezogen? Wer waren Vorbilder? Wo gab es Ablehnung oder Ausgrenzungen? Wo lagen Widerstände? Was war daran "subversiv", was war "Pop"? Und gab es Spannung oder gar Widerspruch zwischen den verschiedenen Elementen und Perspektiven?

Ein großer Eintopf

Es geht, wie das Attribut "Millennial" nahelegt, um den zeitlichen Abschnitt um das Jahr 2000, es geht um Punk, also überwiegend gitarrenlastigen Rock mit jeder Menge Verzerrung und Schmutz im Klangbild und zugleich geht es, wenn die Jüngeren unisono von den Ärzten oder den Toten Hosen als Einstiegsdroge in den Punk berichten, um ziemlich reinen Deutsch-Pop. Um einen Great Rock'n'Roll-Swindle, um die Tragödie in Gestalt einer säuberlich gestylten Boy-Gruppe, als Farce also.

Vor allem aber geht es um die Geschichte einer Generation, erzählt von denen, die Teil dieser Geschichte waren, einer Generation, der sich die vier Filmemacher offenkundig selbst zugehörig fühlen. Das Resultat ist ein großer Eintopf, ein Potpurri, in dem es gehörig durcheinandergeht und in dem die als einzelne Schnipsel montierten Einzelteile so wenig zu einer Klärung der Begriffe beitragen wie die eingestreuten Musikfetzen. Diese wiederum belegen eher einen virtuosen Umgang mit den urheberrechtlichen Möglichkeiten, Tantiemen für Musiker einzusparen, als die Emotionalität der Musik zu transportieren.

Misogyne Männerbande

Und wie es so ist, wenn man nur Akteure und Mitbewohner befragt oder eine Tierschutzaktivistin, die sich dadurch qualifiziert, dass in ihrer Jugend auch mit Punkmusik in Berührung gekommen ist, ergibt sich aus der Gesamtschau genau das, was man vorher schon wusste oder zu wissen glaubte: Punk ist gut, Punk ist wild, Punk ist dagegen, also politisch. Pop ist auch irgendwie gut, wäre ja auch schade, aber wild ist er eher nicht so. Wir waren alle mal jung, oder zumindest waren wir jünger.

Bei Punk waren viele Musiker und Musikerinnen aktiv, die vorher nicht immer so genau wissen mussten, was aus ihren Instrumenten rauskommt. Deshalb mussten sie viel rumprobieren und selber machen. Heute heißt das DIY, oder Do-it-Yourself. Bei Pop arbeiten Profis, die vorher genau wissen, was rauskommt, und was sie tun müssen, damit es schön sauber klingt. Punk war eine verdammt misogyne Männerbande, Pop auch. Aber heute ist das ein bisschen besser, sowohl im Pop wie im Punk, ein bisschen besser noch als zum Beginn des Jahrtausends, und damals war es schon etwas besser als im Urpunk. Aber so genau können wir das nach dem Oberflächentaumel dieser Doku-Serie nicht mehr nacherzählen.

Nach der groß aufgemotzten televisionären Autobiografie des Echt-Sängers Kim Frank in vier Teilen geht der SWR mit "Millennial Punk" konsequent einen Schritt weiter in Richtung Betroffenheitskitsch bar jeder journalistischen Ansprüche. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen erfindet sich als Fanzine neu. Ob es so seine Krise überwindet?

infobox: "Millennial Punk - Eine Subkultur in Zeiten der Digitalisierung", vierteilige Dokumentation, 1. "#THROWBACK - Nostalgie der Nullerjahre", 2. "#AKTIVISMUS - Die politische DNA von Punk", 3. "#NEULAND - Die digitale Revolution", 4. "#FORTSCHRITT - Neue Genres & Feminismus", Regie und Buch: Diana Ringelsiep, Felix Bundschuh (ARD-Mediathek/SWR, seit 28.5.24)



Zuerst veröffentlicht 17.06.2024 11:58

Stefan Hentz

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, KSWR, Musikdokumentation, Ringelsiep, Bundschuh, Hentz

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